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07.08.04 / Das Zauberwort heißt: Mehr Flexibilität / Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt über Fehler und Chancen des stagnierenden "Aufbau Ost" / Teil IV

© Preußische Allgemeine Zeitung / 7. August 2004


Das Zauberwort heißt: Mehr Flexibilität
Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt über Fehler und Chancen des stagnierenden "Aufbau Ost" / Teil IV

Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland hat sich in den letzten Jahren verfestigt und ist im Durchschnitt doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Die reale Situation wird durch die Statistik sogar noch unterzeichnet. Ohne die Abwanderung von Erwerbsfähigen wäre die Lage am Arbeitsmarkt noch dramatischer. Traditionelle Vorschläge zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit haben wegen der eingeschränkten Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes nur begrenzte Erfolgsaussichten.

Wir brauchen ein Umdenken beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Konjunkturaufschwung und wirtschaftliches Wachstum sowie arbeitsmarktpolitische Instrumente reichen alleine nicht aus, um die ostdeutsche Arbeitslosigkeit merklich abzubauen. Wir müssen die Strukturen ändern, damit Wachstum wieder mehr Beschäftigung schafft.

In Ostdeutschland stiegen seit der Wiedervereinigung in vielen Bereichen die Löhne schneller als die Produktivität. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität (gemessen als BIP je Erwerbstätigen) liegt zur Zeit bei rund 70 Prozent des Westniveaus. Stellt man bei der Berechnung der Produktivität statt auf die Erwerbstätigen auf die deutlich größere Zahl der Erwerbsfähigen ab, liegt Ostdeutschland sogar nur bei knapp 60 Prozent. Die Bruttolöhne erreichen aber in Sachsen bereits im Durchschnitt 80 Prozent des Westniveaus.

Mehr Beschäftigung wird es nur geben, wenn sich die Entwicklung der Löhne am Produktivitätsniveau orientiert. Dabei ist zu beachten, daß Produktivitätswachstum auch durch Entlassungen und durch das Ausscheiden wenig produktiver Betriebe erreicht wird. Die Lohnpolitik sollte sich daher am tatsächlich durch technischen Fortschritt verursachten Produktivitätswachstum orientieren.

Eine ganz andere Frage ist, durch welche Lohnpolitik Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können und wie wir dem Lohndruck in der Folge der EU-Osterweiterung begegnen müssen. Gerade für Langzeitarbeitslose und gefährdete Arbeitnehmergruppen kommt es darauf an, die Lohnkosten für die Unternehmen zu senken. Eine Möglichkeit ist, daß der Staat für diese Personengruppen Lohnzuschüsse statt Sozialhilfe zahlt. Wir brauchen auch eine größere Flexibilität und eine differenzierte Lohnstruktur, die sich an den betrieblichen, sektoralen und regionalen Bedingungen sowie an den jeweiligen Qualifikationen und der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten orientiert. Lohnflexibilität bedeutet aber nicht - wie vielfach behauptet -, daß damit der Weg zu einem Niedriglohnland beschritten wird. Wir benötigen in Ostdeutschland eine Lohnentwicklung, die sich am Produktivitätsfortschritt und am Markt-erfolg der Unternehmen orientiert. Erforderlich ist eine Spreizung der Löhne in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung nach oben und unten. Nach oben, damit weniger Fachkräfte abwandern und Spitzenkräfte nach Ostdeutschland kommen. Nach unten, damit gering qualifizierte Arbeitslose wieder eine Chance auf neue Beschäftigung haben.

Dieser Appell richtet sich nicht nur an die Tarifparteien, sondern vor allem auch an die Gesellschaft. Sie wird größere Lohnunterschiede akzeptieren, wenn diese durch eine neue Sozialpolitik (zum Beispiel Lohnsubventionen) abgesichert werden.

Wir müssen uns vom bisher wenig flexiblen Flächentarifvertrag verabschieden. Denn allgemein geltende Lohnvereinbarungen erhöhen das Beschäftigungsrisiko vor allem in den wirtschaftsschwachen Gebieten und grenzen Arbeitslose, und hier insbesondere die älteren Arbeitslosen, dauerhaft vom Arbeitsmarkt aus. Hohe Pilotabschlüsse, die von West- nach Ostdeutschland übertragen werden, sind ein entscheidendes Hemmnis im Aufholprozeß, denn sie belasten die ostdeutsche Wirtschaft stärker als die westdeutsche. Die Sozialpartner stehen in der Verantwortung, den für ihren Bezirk abzuschließenden Flächentarifvertrag den regionalen Erfordernissen anzupassen. Dabei muß auch die Möglichkeit bestehen, für eine bessere Lösung Vereinbarungen auf Betriebsebene abschließen zu können.

Tarifverträge müssen in Zukunft so gestaltet werden, daß Unternehmer und Betriebsräte die Möglichkeit haben, abweichend vom Tarifvertrag auf betrieblicher Ebene freiwillig etwas anderes zu beschließen, wenn die betrieblichen Belange dies erfordern. In jedem Tarifvertrag sollte also eine wirksame Öffnungsklausel aufgenommen werden. Darüber hinaus braucht diese Form der "betrieblichen Bündnisse für Arbeit" weitere Rechtssicherheit. Es ist daher das Tarifvertragsgesetz dahingehend zu ändern, daß auch für beschäftigungssichernde Vereinbarungen das sogenannte "Günstigkeitsprinzip" nach Paragraph 4 Absatz 3 Anwendung findet. Im Betriebsverfassungsgesetz sind die "betrieblichen Bündnisse für Arbeit" zu verankern, damit auch auf gesetzlicher Grundlage die Betriebsparteien von Flächentarifverträgen abweichen können.

Für die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, durch die bisher zwangsweise Teile von ausgehandelten Tarifen auf nicht tariflich gebundene Unternehmen übertragen werden, besteht daneben kein Raum mehr.

Die Kündigungsschutzregelungen haben in der Vergangenheit vor allem bewirkt, daß bestehende Beschäftigungsverhältnisse zwar sehr sicher sind, andererseits aber Arbeitslose vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt bleiben. Um die Bereitschaft von Unternehmen zu Neueinstellungen zu vergrößern, muß der Kündigungsschutz neu geregelt werden. Der hohe arbeitsrechtliche Schutz schadet vor allem kleinen Unternehmen in Ostdeutschland. Sie verfügen weder über große Personalabteilungen noch über das erforderliche Kapital, um aufwendige Kündigungsschutzprozesse und Abfindungszahlungen durchzustehen. Deshalb investieren sie lieber in Überstunden als in Neueinstellungen. Das Kündigungsschutzgesetz sollte daher um eine Komponente für Kleinunternehmen und Existenzgründer ergänzt werden. Das Kündigungsschutzgesetz ist auf Neueinstellungen in Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten nicht mehr anwendbar. Dabei sind die Teilzeitbeschäftigten nur entsprechend ihres Arbeitsumfanges zu berücksichtigen. Die Regelung gilt ebenso für Existenzgründer - unabhängig von ihrer Unternehmensgröße - während der ersten vier Jahre nach Existenzgründung. Das Bürgerliche Gesetzbuch bietet weiterhin ausreichenden Schutz vor willkürlicher Kündigung.

Besonders betroffen von den Regelungen des Kündigungsschutzes sind die Langzeitarbeitslosen in Ostdeutschland (Anteil ungefähr 40 Prozent). Die größte Gruppe der Langzeitarbeitslosen wiederum stellen die über 50jährigen. Da für sie der Kündigungsschutz ein besonderes Hemmnis für eine neue Beschäftigung ist, sollte er für diese Altersgruppe unabhängig von der Unternehmensgröße wegfallen.

Für neu einzustellende Arbeitslose, die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 50. Lebensjahr vollendet haben, ist der Kündigungsschutz aufzuheben. Diese Regelung ergänzt die bereits bestehende Möglichkeit, Arbeitslose ab dem 52. Lebensjahr befristet einzustellen. Nur ein größtmögliches Maß an Flexibilität erhöht die Beschäftigungschancen dieser Altersgruppe deutlich.

Die Befristungsregelungen für Arbeitsverträge werden derzeit weder den betrieblichen Bedürfnissen (Betriebs-, Auftrags- und Konjunkturschwankungen, Flexibilität des Arbeitseinsatzes) noch den Arbeitsmarkterfordernissen gerecht. Folge: mehr Überstunden, weniger Einstellungen.

Neuere Untersuchungen belegen, daß sich die Teilzeitregelungen gerade für junge Frauen als Einstellungshemmnis erweisen. Die Arbeitgeber nehmen häufig an, daß sie nach Ablauf der Probezeit Teilzeitwünsche äußern könnten, und verzichten auf die Übernahme nach der Probezeit. Der bisherige Rechtsanspruch auf Teilzeit erschwert, daß in den Betrieben individuelle Regelungen gefunden werden, die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen berücksichtigen. Ein geändertes Teilzeitarbeits- und Befristungsgesetz wird insbesondere auch die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit fördern. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz ist künftig nur in Betrieben mit über 20 Mitarbeitern anwendbar. Der Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung ist auf Kindererziehung und Pflege naher Angehöriger zu begrenzen. Befristete Arbeitsverhältnisse ohne sachlichen Grund dürfen sich über vier statt bisher zwei Jahre erstrecken. Innerhalb dieses Zeitraums können mehrere befristete Arbeitsverträge aufeinander folgen.

(Fortsetzung folgt)

Georg Milbradt wurde am 23. Februar 1945 in Eslohe/Sauerland geboren, aufgewachsen ist er in Dortmund, wo die Familie, die aus Wongrowitz in der Nähe von Posen stammt, nach Kriegswirren und Flucht schließlich landete. 1964 machte er in Dortmund sein Abitur. Im selben Jahr begann er ein Studium der Fächer Volkswirtschaft, Jura und Mathematik an der Universität Münster, welches er 1968 mit dem Diplom als Volkswirt und der Note "sehr gut" abschloß. 1973 promovierte er zum Dr. rer. pol. "summa cum laude". 1980 erhielt er die Lehrbefugnis für das Fach Volkswirtschaft. In den Jahren 1983 bis 1990 war er als Finanzdezernent der Stadt Münster tätig. Von November 1990 bis Februar 2001 war er sächsischer Staatsminister der Finanzen. 1973 wurde er Mitglied in der CDU, und 1991 wurde er in den Landesvorstand, im November 1999 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der sächsischen Christdemokraten gewählt. Im September 2001 wurde er dann Landesvorsitzender der Sachsen-CDU. Seit dem 18. April 2002 hat Georg Milbradt das Amt des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen inne.


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