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14.08.04 / Deutschlands Großoffensive im Westen / Vor 90 Jahren beginnen die deutschen Streitkräfte mit der halbherzigen Umsetzung des Schlieffenplanes

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. August 2004


Deutschlands Großoffensive im Westen
Vor 90 Jahren beginnen die deutschen Streitkräfte mit der halbherzigen Umsetzung des Schlieffenplanes
von Heinz Magenheimer

Die Mittelmächte waren 1914 beim Feldheer zahlenmäßig der gegnerischen Allianz deutlich unterlegen (4,2 Millionen Mann gegen 5,7 Millionen unter Einschluß der belgischen Festungstruppen und der britischen Heimatarmee). Deshalb bestand der deutsche Kriegsplan darin, durch einen machtvollen Großangriff auf Frankreich die militärische Entscheidung in möglichst kurzer Zeit herbeizuführen, während Österreich-Ungarn hinhaltend gegen Rußland kämpfen sollte. Erst nach dem erwarteten Sieg im Westen wollte die Oberste Heeresleitung alle verfügbaren Kräfte nach Osten werfen, um gemeinsam mit der k.u.k. Armee gegen Rußland vorzugehen.

Ein Nachteil für Deutschland lag darin, daß man keine Alternative zum Aufmarsch im Westen gemäß dem modifizierten "Schlieffenplan" besaß, das heißt also zuerst unter Mißachtung der Neutralität Belgiens Frankreich schlagen mußte. So hatte auch die Idee Wilhelms II., mit der Masse des Heeres gegen Rußland aufzumarschieren, keine Chance auf Realisierung. Die politische Führung besaß also keinen Spielraum. Die Verletzung der Neutralität Belgiens stellte sie vor vollendete Tatsachen. Außerdem hatten die Heeresleitung und der Admiralstab kein Konzept ausgearbeitet, um ihre Anstrengungen auf dem Kriegsschauplatz zu bündeln.

Der Schlieffenplan vom Dezember 1905 sah vor, mit einem sehr starken rechten Flügel über belgisches und luxemburgisches Gebiet nach Nordfrankreich vorzustoßen, Paris westlich zu umgehen und hierauf die französischen Hauptkräfte durch eine weite Schwenkung einzuschließen. Die Entscheidung sollte in einer Schlacht in der Champagne und in Lothringen fallen. Währenddessen sollte der Defensivflügel ostwärts der Mosel durch Angriff gegnerische Kräfte binden. Das Verhältnis der Armeekorps zwischen beiden Flügeln betrug neun zu eins.

Der Zeitbedarf, um Frankreich zu besiegen, wurde von Generalstabschef Alfred Graf v. Schlieffen mit nur sechs Wochen veranschlagt, so daß man unter extrem hohem Zeitdruck stand. Gelang es im ersten Ansturm nicht, die französische Armee zu besiegen, so drohte ein unübersehbarer Stellungskrieg. Da alle Kräfte für den Angriff in der Hauptrichtung festgelegt wurden, fehlte es an "strategischen Reserven", um beispielsweise Festungen einzuschließen. Immerhin würden allein sechs Armeekorps für die Belagerung von Paris erforderlich sein. Schlieffen hatte ausdrücklich auf solche Reserven verzichtet, da diese auf dem Angriffsflügel fehlen würden und letztlich für die Entscheidung zu spät kämen. Was würde aber geschehen, wenn sich die Franzosen der Umfassung großräumig entzogen?

Der Plan baute außerdem darauf, daß Großbritannien die Verletzung der Neutralität Belgiens nicht als Kriegsgrund betrachten würde. Geschähe dies trotzdem, sollten Kräfte des Umfassungsflügels abgezweigt werden, um zunächst das britische Landekorps zu schlagen. Schwerer wog jedoch, daß die ganze Konzeption kein umfassender Kriegsplan war. Sie schloß einen länger dauernden Krieg von vornherein aus.

Generaloberst Helmuth v. Moltke, der Nachfolger Schlieffens, veränderte 1909 den Plan, indem er im Elsaß und in Lothringen zwei Armeen aufstellte, obwohl ursprünglich nur eine vorgesehen war. Als Begründung galt eine erkannte Angriffsabsicht der Franzosen, die man vereiteln wollte. Somit umfaßten die 6. und 7. Armee in Elsaß-Lothringen acht Armeekorps entgegen nur vier Korps in der ursprünglichen Planung. Schlieffen hätte hingegen einen gegnerischen Angriff in Lothringen in Kauf genommen, da ein solcher die Vorteile auf dem Umfassungsflügel erhöhte.

Vergleicht man die im Aufmarschplan von 1905 vorgesehenen Kräfte mit den tatsächlich eingesetzten Truppen, so ergibt sich, daß zwar der Offensivflügel mit 54 Divisionen gleich stark war, daß aber der linke jetzt 16 zählte. Moltke hatte den Defensivflügel mit Hilfe von Neuaufstellungen, aber nicht auf Kosten des Umfassungsflügels verdichtet. Dennoch hätte sich von Anfang an eine Stärkung des rechten Flügels angeboten: Selbst ein zusätzliches Korps hätte im September 1914 die Entscheidung zu Deutschlands Gunsten bewirken können. Moltke gedachte, die Entscheidungsschlacht im Gegensatz zu Schlieffen je nach Lageentwicklung anzulegen. Da sich die Mittelmächte einen Krieg unbestimmter Dauer auch politisch nicht leisten konnten, blieb nur die Chance einer raschen Niederwerfung Frankreichs. Der spätere Mißerfolg des Westfeldzuges 1914 resultierte weniger aus dem heiklen Operationsplan als vielmehr aus seiner halbherzigen Durchführung. Die Oberste Heeresleitung baute auf das Können der Offiziere und die hervorragende Kampfmoral der Truppe.

Nach dem Überschreiten der belgischen Grenze am 4. August entfaltete sich der Angriff des Umfassungsflügels (1. bis 5. Armee) am 18. August gegen die Maaslinie zwischen Lüttich und Diedenhofen. Kronzprinz Rupprecht von Bayern, der die 6. Armee führte, wollte ein französisches Vorrücken gegen die Reichslande Elsaß-Lothringen nicht abwarten, sondern schritt selbst zum Angriff, der sich nur zu einem frontalen Zurückdrängen des Gegners entwickelte. Dabei dürfte das dynastische Interesse mitgespielt haben, die Reichslande nach Kriegsende Bayern anzugliedern.

Die Grenzschlachten endeten alle mit deutschen Erfolgen und nährten die Siegeszuversicht. Die französischen Truppen erlitten schwere Verluste durch schonungslos vorgetragene Infanterieangriffe ohne Artillerieunterstützung. In Belgien fielen rasch die Festungen, vor allem Lüttich und Namur, des weiteren Brüssel am 20. August, während die belgische Armee im Raum Antwerpen eingeschlossen wurde. Am 25. August erreichte der Vormarsch im Nordwesten alle für die erste Phase gesteckten Ziele. Immerhin hatte man den Angriffsflügel bereits schwächen müssen: Zwei Armeekorps mußten zur Belagerung Antwerpens und eines zur Belagerung der Festung Maubeuge abgezweigt werden. Die Befehlshaber der 1. und 2. Armee auf dem äußersten rechten Flügel befahlen rastlose Verfolgung, da ihre Verbände im Zuge der Umfassungsbewegung den weitesten Weg vor sich hatten. Die großen

Marschleistungen dämpften aber keineswegs die Kampfmoral, die auch im Lied anklang: "Als wir nach Frankreich zogen, wir waren unser drei, ein Schütze und ein Jäger und ich, der Fahnenträger der schweren Reiterei ... Noch tut die Fahne schweben, die mir auf Tod und Leben mein Kaiser anvertraut ..."

Am 27. August ergeht dann die Weisung Moltkes für die Verfolgung an alle fünf Armeen und die Einleitung der Entscheidungsschlacht. Die 1. Armee (v. Kluck) soll als stärkste Stoßkraft westlich an Paris vorbeimarschieren und dann nach Osten einschwenken, um die Flanke des Gegners aufzurollen. Die 2. Armee (v. Bülow) hat zwischen Oise und Marne von Nordosten her auf Paris anzugreifen, während die 3. Armee (v. Hausen) an Reims vorbei über die Marne vorstoßen soll. Die 4. und 5. Armee haben westlich und östlich von Verdun nach Süden anzugreifen, um möglichst viele Kräfte zu binden und damit das Vorkommen der 6. und 7. Armee in Französisch-Lothringen zu erleichtern. Es wird aber bereits angekündigt, daß starker Widerstand ein frühzeitiges Eindrehen der beiden Flügelarmeen aus ihrer bisherigen Richtung nach Süden erfordern könnte. Schon daraus ist ersichtlich, daß diese Armeen zu wenig Kräfte besaßen, um Paris westlich zu umgehen und einzuschließen.

Der Befehl traf obendrein erst zwölf Stunden später bei den Armeen ein. Das lag an der völlig überlasteten Funkstation auf dem rechten Flügel, die obendrein von Paris her gestört wurde. Die Armeebefehlshaber waren also überwiegend auf ihr eigenes Lagebild angewiesen und sollten daneben den Ansuchen der Nachbarn entsprechen. Generalstabschef v. Moltke, der schon alle Reserven verausgabt hatte, verzichtete auch auf ein zwischenge-

ordnetes Oberkommando für den Angriffsflügel. Alles in allem fehlte es an straffer Führung. Jetzt kam es auf die Eigeninitiative der Armeen an: würde es trotz allem gelingen, zu einer erfolgreichen Umfassung zu kommen?

Alfred Graf v. Schlieffen: Er hatte als Generalstabschef 1905 den Schlieffenplan entwickelt. Fotos (2): DHM

Helmuth v. Moltke: Er war als Generalstabschef 1914 für die Umsetzung des Schlieffenplans zuständig.


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