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14.08.04 / Lichtblick und Herausforderung / Eine Reisegruppe um Margarete Pulver fuhr zur Einweihung der Kirche in Groß-Legitten in die Heimat

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14. August 2004


Lichtblick und Herausforderung
Eine Reisegruppe um Margarete Pulver fuhr zur Einweihung der Kirche in Groß-Legitten in die Heimat

Margarete Pulver vom Förderverein Groß-Legitten hatte in der PAZ-Folge 51/52 des letzten Jahres dazu eingeladen, mit ihr zusammen zur Einweihungsfeier des Legittener Kirche zu fahren. Der Einladung folgten Menschen, die zuvor noch nie im Königsberger Gebiet gewesen waren, ebenso wie Personen, die auf der Reise Vergleiche ziehen konnten mit Erlebnissen aus früheren Jahren. Alle einte jedoch der Wunsch, sich ein Bild von diesem Teil Ostpreußens und dessen Entwicklung in den Jahren seit der Öffnung zu machen.

Die so zusammengesetzte Gruppe startete vom deutschen Hauptstadtbahnhof Berlin-Lichtenberg. Der Südbahnhof der ostpreußischen Hauptstadt empfing sie mit renovierter Halle und vergoldeten Kronleuchtern - ganz im Stil des frisch eingerichteten Schlafwagens mit der Bourbonenlilie im Polsterstoff und Doppeladler im Wappen. In die Gepäckhalle wurden gerade neue Sicherheitskontrollen eingebaut. Das Hotel Tourist bot den Reisenden eine angenehme Bleibe.

Die Rundfahrt durch die Pregelmetropole zeigte den Wandel. Gastronomie und Handel haben sich entwickelt und an einigen Stellen westlichen Standard erreicht. Auf dem Markt bot sich ein buntes Treiben mit Früchten des Landes und aus südlichen Gegenden mit ungewohnten Düften und Gerüchen. Auf dem Hansaplatz wächst im Rücken Lenins nach einigen Jahren Stillstand rapide die orthodoxe Kathedrale, für die eine große Glocke schon bereitsteht. Auf dem Platz war gerade eine Kolonne nagelneuer Straßenreinigungsfahrzeuge aufgefahren, als erwarteten sie ihren Einsatzbefehl.

Von der Stadtbefestigung wird nach dem Dohnaturm mit dem Bernsteinmuseum nun auch der Wrangelturm zu einem Museum mit Exponaten aus deutscher Zeit mit Café ausgebaut. Am Königstor ruhen die Bauarbeiten, doch der Dom soll im nächsten Jahr eröffnet werden, wenn, so der Baudirektor Igor Odinzow, die Spenden in größeren Beträgen kommen. Die Fenster im Chor und im Kirchenschiff sind mit Buntglas und biblischen Motiven geschmückt. Noch wird an der Rekonstruktion des Gewölbes gearbeitet. Man träumt von einer großen, nicht elektronischen Orgel für eine Million Euro. In der früheren Wallenrodtschen Bibliothek im Turm ist das Kantmuseum schön eingerichtet, und ein kleiner Chor erfüllte den ganzen Raum mit seinen herrlichen Stimmen, als die Gruppe da war.

Das neue Kirchenzentrum der evangelisch-lutherischen Propstei lebt. Besuchergruppen strömen hinein - links zu den Toiletten, rechts zum Kirchenraum - wie ein Gästepfarrer den Weg wies. Unten gibt es eine Küche für Mitarbeiter und Gäste, einen Raum für Besprechungen und Kinderarbeit.

In Juditten betrat die Reisegruppe eine der ältesten Kirchen Ostpreußens, die mit ihrer Umgebung noch eine Vorstellung vermittelt vom früheren Kirchhof mit Pfarr- und Küsterhaus, die gerade umgebaut wurden. Das Innere der Kirche war wundervoll mit Schnitzereien aus dem Süden Rußlands geschmückt und so die Ikonostase schön in das alte Gotteshaus eingepaßt, dessen wertvolle Innenausstattung - wie überall im mittleren Ostpreußen - in der Nachkriegszeit vollkommen verlorengegangen war.

Die Ostseeküste zeigte sich von einer für die Jahresmitte ungewöhnlich kalten und stürmischen Seite. Der Wind blies fast die Haare vom Kopf. Interessiert besichtigten die Reisenden die Vogelwarte in Rossitten, und von der hohen Düne hatten sie einen herrlichen Blick auf Nidden mit dem Haff und die Ostsee.

Auf der Fahrt zum Forsthaus in Großbaum kam die Gruppe an einigen Kirchen vorbei, um deren Erhalt sich Initiativen aus der Bundesrepublik Deutschland bemühen; es sind die Ausnahmen unter den alten deutschen Gotteshäusern. Die Katharinenkirche in Arnau blieb den Reisenden zu ihrem Leidwesen leider verschlossen, trotz Zusage des NPC, der russischen Denkmalbehörde; hinter dem Bauzaun bellte nur ein Hund. Von außen sahen die Reisenden den wiedererrichteten Turm, von dem seit letztem Herbst wieder eine Glocke läutet. Sonst hat sich der Zustand seit 1995 eher verschlechtert. Vor dem Aufbau des geplanten Ziegeldaches muß wohl erst einmal die Mauerkrone saniert werden. In Heiligenwalde erlebte die Gruppe eine freudige Überraschung: Das Scheunentor der Kirche ist mittlerweile durch eine Chorwand mit Fenstern ersetzt, das Betreten des Gotteshauses jetzt von der Nordseite her möglich, wo früher die Brennesseln wucherten, und der Turm mit ins Gebäude einbezogen. Innen arbeitete der Schuldirektor Georg mit zweien seiner früheren Schüler. Sie verputzten das Gewölbe mit Carbidkalk, den die Technische Universität Aachen für denkmalgerecht befunden hatte. Anschließend sollte alles mit Kalk geweißt werden und die Rippen rot gestrichen. Die Fenster waren pflegeleicht mit Glasbausteinen geschlossen. Ein Gymnasium in Neuhausen will die Kirche als Museum unterhalten. So haben sich die jahrelangen Mühen mit der Kolchose gelohnt.

Auch in Tharau waren Arbeiter an der Kirche am Werk. Die Mitarbeiter der Firma "Goldene Bastion" besserten Ecken aus und errichteten einen Zaun. Angesichts dieses großen Sakralbaus müssen schon große Mittel für eine Sanierung zur Verfügung stehen: Im letzten Jahr kam sogar Geld aus Moskau, das jedoch nur für das Abreißen des Dachgebälks mit Hilfe eines Traktors reichte. Der Brand des letzten Jahres hat wohl keinen wesentlichen Schaden angerichtet.

In Mühlhausen gibt es ebenfalls eine Baustelle. Im letzten Herbst wurde die Chordecke, die einzustürzen drohte, denkmalgerecht dokumentiert. Nun wartet man auf Geld, sie wieder in den alten Zustand zu versetzen. Dies könnte mit Hilfe der früheren Patronatsfamilie von Kunheim gelingen. Diese Kirche wurde schon Anfang der 90er Jahre der evangelischen Kirche übergeben, bevor das Dach zu sehr gelitten hatte. Sie ist gut erhalten, und die örtliche Gemeinde wuchs stetig.

Von weitem grüßt den Besucher die Stadtkirche von Friedland mit ihrem Turm über die Alle. Pfarrer Wadim, der jetzige Priester der orthodoxen Gemeinde, kümmert sich tatkräftig um sie und schuf zusammen mit einigen russischen Arbeitern wieder einen Raum mit kirchlichem Leben. Die Ikonostase ist inzwischen im Mittelschiff und gegenüber eine Empore errichtet. Im Turm blieb noch das alte Gebälk erhalten, und eine Uhr mit elektrischen Werk schlägt von hier wieder die Stunde. Die Unterstützung aus der Bundesrepublik kann sich hier auf Gelder für Material beschränken. Die Stadtarchitektin und die Bibliothek dieser Stadt unterstützen den Erhalt der früheren Architektur.

Am Tag vor dem eigentlichen Anlaß ihrer Reise erlebte die Gruppe einen gemütlichen Tag an dem Haff, dem Friedrichsgraben und der Gilge. Zwei Fahrräder konnten aufgetrieben werden, die anderen Gruppenteilnehmer spazierten auf dem alten Kopfsteinpflaster unter Birken entlang an zuwuchernden Gräben, setzten mit der Fähre über die Gilge, um nach der alten Kirche und dem Friedhof zu suchen. Abends war ein Fischessen in Labiau vorbereitet.

Der folgende Tag, ein Sonntag, stand ganz im Zeichen des Höhepunktes des Reiseprogramms, der Einweihung der Legitter Kirche. Die Gestaltung der Feier lag ausschließlich in den Händen der örtlichen evangelischen Gemeinde und der Propstei in Königsberg. Das sechsstündige Programm wurde ein herrliches Fest bei Sonnenschein und guter Stimmung. Dies hatten sich weder die evangelische Kirche noch der Förderverein im Jahre 1996, als der Aufbau der Kirchenruine begann, so vorgestellt. Ein Posaunenchor rief alle zum Gottesdienst, die sich um die Kirche herum begrüßten. Die kleine Sakristeitür war wie ein Nadelöhr, das nur einzelne hindurchließ. Der Haupteingang durch den Turm war gesperrt, um auf die eingeschränkte Sicherheit des Kirchenschiffs hinzuweisen, denn für neue Zuganker fehlen die Möglichkeiten. Der nach der Kirchenordnung verlesene Bibeltext, das Gleichnis vom großen Abendmahl, konnte als Hinweis auf die fast 200 Gäste verstanden werden, die gekommen waren ohne Ausreden, aus den Gemeinden des Königsberger Gebietes und aus verschiedenen Gruppen aus der Bundesrepublik. Wer hätte 1996 daran geglaubt, daß es 43 Gemeinden und zwei Kirchenchöre geben würde, dazu noch einen Posaunen- und einen Flötenchor, die alle zur Gestaltung der Feier beitragen und die gute Akustik der alten Ordenskirche genießen? Propst Osterwald wurde durch seinen Vorgänger Wolfram, den Gemeindepfarrer Michelis und Gastpfarrer Passauer aus Berlin unterstützt, und auch Gemeindeglieder beteiligten sich an den Lesungen, die durch eine Dolmetscherin übersetzt wurden. Die Choräle wurden simultan in den zwei Sprachen Deutsch und Russisch gesungen und die Lithurgie nacheinander in den beiden Sprachen gesprochen. Nach dem gemeinsamen Abendmahl wurde die Kirche als Gottesraum ihrer früheren Bestimmung übergeben.

Nach diesem sakralen Teil wurden Grußworte gesprochen und Geschenke der Gäste an die örtliche Gemeinde von Pronitten, die ihr Gemeindehaus jetzt im früheren Legitter Pfarrhaus hat, übergeben; dazu wurden auch Margarete Pulver als Vertreterin des Fördervereins Groß-Legitten und der örtliche Bürgermeister gebeten. Der Aufbau wurde unter das Motto Traum, Hoffnung und Gottvertrauen gestellt - im Gegensatz zum Unglauben auf der russischen Seite über das Gelingen. Die Kindergruppe der Labiauer Gemeinde stellte pantomimisch den Kampf des Lichtes mit dem Bösen dar. Auch praktische Geschenke - wie eine große Thermoskanne - wurden von Gastgemeinden überbracht. Und die Königsberger Gemeinde versprach ihre Hilfe beim Unterhalt der Kirche, die nun in die Obhut der örtlichen Kirchengemeinde übergehen und von dieser als ihre Kirche angenommen werden soll. Die Kollekte war für einen Zaun um das Kirchengelände bestimmt, der hier zur Befriedung eines Gebäudes notwendig ist. So kam auch die Realität nicht zu kurz, wie auch durch die Einladung zu einem reichhaltigen Buffet für den knurrenden Magen gesorgt wurde. Danach beschloß ein zweistündiges Konzert die Feier, und es wurde sogar zu einem Fußballspiel geladen. Alle gingen oder fuhren erfüllt von diesem herrlichen Erlebnis nach Hause oder ließen es auf einem Spaziergang durch Labiau ausklingen.

Danach konnte der letzte Reisetag niemanden mehr erschüttern, die Fahrt auf dem Memelmündungsarm Pait fiel buchstäblich und übertragen ins Wasser. So blieb noch etwas Zeit für einen Abstecher nach Tilsit, das im Regen und im Vergleich zu Königsberg einen eher trostlosen Eindruck hinterließ. Dabei sah es vor fünf Jahren noch so aus, als wenn die Jugendstilhäuser restauriert würden, und die Bühne der Stadt soll immerhin den zweiten Rang nach Königsberg einnehmen. Am Abreisetag war noch Zeit, die wegen Nato-Manövern vertagte Fahrt nach Pillau nachzuholen oder mit dem Taxi den Heimatort zu besuchen. Ausgefüllt von den Erlebnissen dieser Tage trafen sich alle um 17 Uhr am Bahnhof zur Rückreise.

Das Resümee war wohl bei allen, daß man als Tourist den Eindruck hat, es gehe etwas aufwärts im mittleren Ostpreußen, wenn dies auch noch nicht alle Bewohner erreiche. Die Gewöhnung an den Sozialismus haben noch nicht alle abgelegt, und der Unterschied zwischen Königsberg und dem Umland ist nicht zu übersehen. Es wird viel gebaut, Häuser und Straßen, die Denkmäler werden teilweise erhalten - nur Fahrradwege gibt es im mittleren Ostpreußen bisher nicht. M. P.

Einweihungsgottesdienst: Blick zum Chor in der Kirche von Groß-Legitten  Foto: Ries

 

Die Geschichte der Kirche

Legitten ist eine Dorfkirche aus dem 15. Jahrhundert, die eine Holzkirche von 1330 ersetzte. 1467 wird eine Bruderschaft zum Heiligen Leichnam erwähnt, die vermutlich den Chor baute und diesen später um das Kirchenschiff und den Turm erweiterte - wie man aus Fundamentresten schließen kann. 1473 gibt es einen Pfarrer Hermann, 1489 einen Hinweis auf einen Kirmes im Cremittener Meßbuch. Das Gewölbe aus dem

16. Jahrhundert ersetzte die erste Holzdecke; dazu wurden Schildbögen eingezogen und Stützpfeiler vorgesetzt. Im Barock entstand der nördliche Eingang, zusammen mit einem Verputzen der ganzen Kirche und einer schönen Innenausstattung. Schon vor der Eroberung durch die Russen wurden Reparaturen am Gewölbe vorgenommen, wie eine Besichtigung zwischen Gewölbe und Kirchenschiff ergab. Seit 1996 bemüht sich ein Förderverein um die Reparatur der Kirche, bis 1999 mit der Firma Kaferalny Sobor unter dem Management des ZHD in Fulda, das für das Dach Geld aus Bonn einwarb - aber jetzt nicht mehr existiert. M. P.


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