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21.08.04 / Die Herren der Zeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. August 2004


Gedanken zur Zeit:
Die Herren der Zeit
von Gottfried Loeck

Es gibt Zeiten, in denen die Menschen mehr über die Zeit nachsinnen als in der Hektik, dem Getriebe des Alltags; bei einem Todesfall, bei einer Geburt oder dem Abschied vom Beruf. Wenigstens in solchen Momenten setzt Nachdenklichkeit ein. Der Mensch wird sich plötzlich seiner Vergangenheit bewußt. Selbst "zwischen den Jahren" gibt es Menschen, die vorgeben, nie Zeit zu haben. Ähnliche Beobachtungen sind auf den "politischen Betrieb" zu übertragen. Nicht wenige Politiker wollen die Gesetze von Raum und Zeit aufheben. Sie sind der Hybris unterlegen, als seien sie der Herr ihrer Zeit beziehungsweise die Herren der Geschichte und nicht in Wirklichkeit dem selben ewigen Gesetz unterworfen wie alle. Dank der gleichgeschalteten Medien möchten sie selbst dann dem gemeinen Volk "erscheinen", wenn sie weitab von Berlin Urlaub machen. So werden künstlich Ereignisse inszeniert, eine Art Sommerpanik erzeugt, die beim unbedarften Zuschauer den Eindruck vermittelt, möglichst noch alles zu erledigen, was in den Monaten zuvor liegen geblieben ist. Daß die politisch Verantwortlichen unter dem Druck vieler Termine kaum Zeit, geschweige denn Muße zum Nachdenken haben, zeigt sich in den letzten Jahren an vielen Gesetzesvorhaben. Mit heißer Nadel gestrickt ist dabei noch eine der freundlichsten Umschreibungen von fehlender Qualität.

Alle Betriebsamkeit in Familien, Behörden, Betrieben mit dem Ziel, die Gesetzmäßigkeiten der Zeit auszuhebeln, zeigt ähnlich desaströse Ergebnisse. Da Tage, Wochen, Jahre bei vielen Zeitgenossen fast gleichförmig ablaufen, oft allein Geld und Ansehen den Wert eines Menschen bestimmen, verändert sich der Zeitbegriff von der Erfahrung Zeit zu haben zur Vorstellung, über keine Zeit zu verfügen. Obwohl fast alle Neuerungen wie Computer dem einzelnen mehr Zeit versprachen, war das Ergebnis noch mehr Hektik, Abhängigkeit. Fast könnte man das Klagelied Walthers von der Vogelweide als Ausdruck des Lebensgefühls unserer Zeit heranziehen: "owe war sint ver-swunden alliu miniu jar".

Mit welcher Empfehlung könnte man Bürgern in dieser hektischen Zeit raten, wieder mehr Zeit für sich und andere zu haben? Ein wichtiger Schritt wäre, sich und sein Verhalten einmal in aller Ruhe zu überprüfen. Vielleicht hilft die Antwort eines befreundeten Arztes auf die Frage: "Warum kommst du in der Woche oft so spät von deinen Besuchen nach Hause?" mir antwortete: "Weil ich mir für meine Patienten Zeit nehme." Solche Menschen, die sich trotz Gesundheitsreform und Kostenexplosion Zeit nehmen, sind auf den ersten Blick selten geworden. Ihr Weltbild wird von der Erkenntnis bestimmt, daß man anders mit dem Gut Zeit umgeht, wenn man sie im Angesicht der Ewigkeit sieht. Dieser Rhythmus des Lebens, wie er im "Prediger" des Alten Testaments festgehalten ist, setzt ein anderes Zeitgefühl voraus als die überquellende Terminplanung, die jubiliert, wenn sie in Wirklichkeit von einer Hektik in die nächste fällt. Die Worte aus dem Alten Testament: "Alles hat seine Stunde, und es gibt eine Zeit für jegliche Sache unter dem Himmel ..." könnten gar manchen Terminkalender neu ordnen. Wie oft will man Kranke besuchen, schiebt aber die Termine weiter. Wie oft wollen Mutter oder Vater die Schularbeiten kontrollieren, sind aber bei der Hektik des Tages, den kleinen und großen "Verpflichtungen" oft zu müde. Wie oft wollte man sich für eine Grobheit, eine Lüge entschuldigen, fand aber nie die passende Gelegenheit. Beliebig ließen sich solche Fragen fortsetzen. Da wir möglichst im täglichen Wettbewerb bestehen wollen, machen wir vieles auf einmal, oberflächlich versteht sich. Nur manchmal wird uns in ruhigen Momenten klar, daß wir uns mitunter gegenseitig Zeit stehlen, wir Zeit weitaus besser nutzen könnten. In der modernen Massengesellschaft gibt es wenig Gelassenheit, weil es vielen von uns an Demut fehlt, die Zeit als "Karawanserei" zu empfinden.

Bei Rückbesinnung auf die Zeitplanung unserer Altvorderen und deren Lebensgestaltung wird manchem deutlich, daß wir dabei sind, die Gültigkeit des Satzes: "Die Zeit eilt, heilt und teilt" aufzuheben, indem wir uns selbstvergessen zeitlos verhalten. Statt mit gutem Beispiel voranzugehen, können viele Politiker nicht mehr die Zeichen der Zeit deuten, weil sie dafür scheinbar keine Zeit mehr haben. Dies erklärt vieles an der Hysterisierung des politischen Betriebs, bei der Vernachlässigung eigener nationaler Interessen, der Unfähigkeit über das Leid des eigenen Volkes zu trauern. Wenn Schröder & Co. eines Tages mit Raketen zu den Staatsbesuchen fliegen und die Redenschreiber die Gedanken der Mächtigen noch schneller in die Computer einspeisen, so hilft ihnen nichts, wenn sie nicht neu über die Zeit und Vergänglichkeit nachdenken und dabei Zeit gewinnen. Eltern, die aus falsch verstandener Fürsorge die Zeit ihrer Kinder unbotmäßig überfrachten, damit sie es angeblich einmal besser haben, sollten einmal der Frage nachgehen, warum Kinder so gerne von "Momo" lesen, die Zeit hatte und sich diese von niemandem abkaufen ließ.


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