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21.08.04 / Nur die japanische Mafia expandiert / Abwanderung, Armut, Mißwirtschaft und südostasiatische Einwanderung bedrohen Russisch-Fernost / Teil I

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. August 2004


Nur die japanische Mafia expandiert
Abwanderung, Armut, Mißwirtschaft und südostasiatische Einwanderung bedrohen Russisch-Fernost / Teil I
von A. Rothacher

Mit der Befreiung vom Kommunismus brach auch in Rußland die Geburtenrate ein. Sie liegt jetzt bei 1,1 Kindern pro Frau, eine der niedrigsten Raten der Welt. Zunächst konnte der Bevölkerungsverlust durch die Zuwanderung von Russen aus Zentralasien und dem Transkaukasus ausgeglichen werden. Seit dieser Zustrom vor fünf Jahren versiegte, sank die Bevölkerung von 149 auf derzeit 144 Millionen. Doch auch die Todesrate nimmt wegen steigender Unfallzahlen, wachsender Kriminalität, zunehmenden Drogenmißbrauchs, sich verschlechternder Volksgesundheit und verschlimmerter medizinischer Versorgung zu. Deshalb wird sich die Abnahme der Zahl der Russen über den aktuellen Wert von einer Million jährlich weiter beschleunigen. Manche Demographen erwarten gar eine Halbierung in drei Jahrzehnten.

Am dramatischsten ist die Entwicklung in Russisch-Fernost, jenen zehn Gebietskörperschaften, die zwischen Ostsibirien, dem Eismeer, dem Pazifik und der Grenze zur Mandschurei liegen. Sie umfassen 36 Prozent des russischen Territoriums. Dort lebten 1989 noch 8,1 Millionen Menschen. Heute sind es 6,9 Millionen. Tendenz: weiter stark fallend.

Ursprünglich waren alle Prognosen für die Region nach der Wende von 1991 positiv gewesen. Russisch-Fernost ist reich an Bodenschätzen (Öl, Erdgas, Kohle, Gold, Diamanten, Edelmetalle, sowie Holz und Fische), dabei arm an Arbeitskräften, Kapital und moderner Technologie. Das ist bei seinen pazifischen Nachbarn umgekehrt. Japan, Korea, Taiwan und China haben zwar Menschen, Kapital und Technologie im Überfluß, nicht aber die Rohstoffe, die in Sibirien und in Fernost der Erschließung harren. Doch statt jene Komplementarität zu nutzen, sollte es anders kommen. Schon in den 80er Jahren hatten interessierte japanische Konzerne im Umgang mit unwilligen sowjetischen Behörden reichlich Lehrgeld zahlen müssen. Anfang der 90er Jahre ging es koreanischen Firmen ebenso. Voller Begeisterung hatten sie nach der Normalisierung der diplomatischen Beziehungen das benachbarte Fern-ost bereist und hatten Hunderte von Entwicklungsprojekten in Höhe von insgesamt fünf Milliarden US-Dollar vorgeschlagen. Die meisten blieben im Widerstreit zwischen unwilligen Moskauer Ministerien, mißtrauischen Regionalmachthabern und einheimischen, oft mafiosen Wirtschaftsinteressen stecken. Nur der risikofreudige, mittlerweile konkursreife Hyundai-Konzern führte schließlich zwei Großinvestitionen durch. Das Svedaya Projekt wurde nach internationaler Kritik am maßlosen Abholzen gewaltiger Waldflächen in Primorje 1993 eingestellt. Das einzig überlebende Projekt, ein weitgehend leerstehendes 13stöckiges Geschäftshochhaus in Wladiwostok, wird von willkürlich erhobenen Nachsteuerforderungen langsam ausgeblutet.

Ähnliche Erfahrungen machten australische Firmen, als sie das Stahlwerk Amurstal in Komsomolsk am Amur oder in Sukhoi Log ein Goldbergwerk sanieren wollten. Stets erfolgten nach ersten Investitionen blockierende Interventionen und Dispute zwischen vorgesetzten Moskauer Behörden und Regionalpolitikern über die Verfügung der Rohstoffe, Steuerquellen und Exportlizenzen, die das Gesamtprojekt dann verzögerten, unmäßig verteuerten und letztlich verhinderten. Obwohl Fernost dringend Auslandskapital nötig hätte, blieb es - abgesehen von Sachalin - stets unwillkommen oder sah sich als wohlfeile Beute geldgieriger Regionalpolitiker mißbraucht - und machte sich nach erstem Lehrgeld entsprechend rar.

Im Sowjetkommunismus war Kohle kostenfrei geliefert worden. Nach Stalins Tod 1953 wurde das GULag- System, dem allein im Bergbaubezirk Magadan bis zu vier Millionen Häftlinge, darunter viele deutsche und japanische Kriegsgefangene, zum Opfer fielen, langsam aufgelöst. Deshalb mußten neue Arbeitskräfte mit hohen Lohn- und Transportsubventionen für die knochenbrechende

Arbeit unter subarktischen Bedingungen angeworben werden. Dabei blieb Ostsibirien im sowjetischen Plansystem ausschließlich die Rolle eines Rohstofflieferanten zugewiesen. Diese sollten, abgesehen von Rüstungsgütern und dem Fisch, nur in Westsibirien und im europäischen Rußland verarbeitet werden. Gefördert wurde unter Autarkieprämissen ohne Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit. So waren angesichts der weiten Strecken und des widrigen Klimas die Transportkosten für die in Fernost abgebaute Kohle dreimal höher als der Wert der Kohle selbst.

Nachdem Jelzin im Zuge der Staatskrise von 1991 alle Subventionen gestrichen hatte, stellten sich die meisten fernöstlichen Wirtschaftsaktivitäten bald als unrentabel heraus. Die Transportkosten für die Versorgung der Belegschaften und alle geförderten Bodenschätze übertrafen weit ihren Marktwert. Als Ergebnis der verteuerten Frachtraten, der reduzierten Förderung und der gefallenen Kaufkraft der Bewohner halbierte sich bald das Frachtaufkommen der Transsibirischen Eisenbahn, die nach wie vor die Hauptachse des Verkehrs zwischen dem fernen Osten und dem europäischen Rußland darstellt. Die meisten Flug- und Schiffahrtslinien gingen in Konkurs, auch weil Armee und Grenzschutz nie für den Transport ihrer Leute zahlten. Die meisten Provinzflughäfen schlossen. Die Personenschiffahrt entlang der Pazifikküste wurde eingestellt. Doch ohne den Transport von Menschen, Nahrung und Energie überlebt in dieser einseitig als Rohstofflieferant strukturierten Region schon seit ihrer Besiedlung in der Zarenzeit kein arbeitsteilig organisiertes Leben. Von der Regierung in Moskau fühlte sich der subventionsabhängige Fernosten abgeschrieben.

Aufgrund von Korruption blieben auch einheimische Investitionen aus. Die wenigen Gewinne wurden ins Ausland vertunnelt. Ohne Erneuerungen und Instandsetzungen verrotten Betriebe, Gebäude und Infrastruktur in dem rauhen Klima schnell. Nur mit dem Alteisen läßt sich angesichts hoher Schrottpreise in China gutes Geld verdienen. So fehlen in den Städten schon häufig die Kanalroste und Verkehrszeichen.

Statt dessen blüht die Mafia, die sich allerorts höchster politischer Protektion vor Polizei und Justiz erfreut. Laut Innenminister Boris Gryzlow hat Russisch-Fernost die höchste Verbrechensrate pro Kopf Rußlands. Dies will einiges heißen. Seit Ende der 90er Jahre wird die einheimische Unterwelt von härteren Banden aus Zentralasien, Tschetschenien und von chinesischen Triaden verdrängt. Von den Zentralasiaten - Tadschiken, Kasachen und Kirgisen - und den Aserbaidschanern wird der Drogenhandel aus Afghanistan kontrolliert,. Angesichts der grassierenden Suchtverbreitung unter der Jugend auch der besseren Familien ist er die einzige Wachstumsbranche, in den Großstädten Chabarowsk und Wladiwostok. Tschetschenische Banden kontrollieren im Raum Nachodka etliche Grenzübergänge in die Nordmandschurei, über die nach China gekaperte Öltankwagen, illegal gefälltes Holz, gewilderte Tiger, Waffen, und in der Gegenrichtung Drogen, Alkohol und Unterhaltungselektronik verschoben werden. Mit den Yakuza, der japanischen Mafia, organisieren sie den Tausch illegal in japanischen Häfen angelandeter russischer Fische gegen gestohlene Luxusautos in japanischen Provinzhäfen, die über Nachodka nach Fern-ost eingeschleust werden. Die chinesischen Triaden sind ebenfalls mit Schmuggel befaßt. Dazu kontrollieren sie die Spielhöllen, erpressen Schutzgelder von ihren Landsleuten und organisieren die illegale Immigration. Russische Pässe sind unschwer für jeden, der zahlt, zu erhalten.

Angesichts der politischen Protektion der Syndikate werden nur "kleine Fische" oder Amateure erwischt, wie jene nordkoreanischen Diplomaten, die 1994 und 1999 Opium verkaufen wollten. Unterweltdispute und Schutzgeldeinwerbungen werden wie sonst in Rußland auch durch Entführungen, Feuerüberfälle aus fahrenden Pkws und Autobomben geregelt. Eine fernöstliche Spezialität ist dagegen, Bomben vom Dach herabzulassen und sie vor dem Schlafzimmerfenster des Opfers zu zünden.

Die 200.000 unterversorgten russischen Grenztruppen sehen sich ähnlich wie Polizei und Justiz im Stich gelassen. Die ihnen gegenüberliegenden chinesischen Truppen sind besser versorgt, bezahlt und ausgerüstet - auch dank zahlreicher russischer Waffenexporte. So ist der einzige Lichtblick am düsteren Wirtschaftshimmel von Russisch-Fernost die Flugzeugfabrik von Konsomolsk am Amur. Dort bestellte das chinesische Militär 1998 38 Suchoj SU 30, Abfangjäger, die den amerikanischen

F 15 überlegen sein sollen. Im Sommer 2001 wurden noch einmal 40 SU 30 für einen Gesamtpreis von 3,8 Milliarden US-Dollar bestellt. Seither machen die 5.000 Flugzeugbauer Überstunden. Noch 1969 hatten Grenzkämpfe am Ussuri Hunderte von Toten gefordert. 15 Quadratkilometer der Grenzgebiete gelten noch als umstritten. Fortsetzung folgt

Putins Sorgenkind: Russisch-Fernost weißt einen noch dramatischeren Bevölkerungsrück-gang auf als die übrigen Regionen des Landes. Seitdem der Bergbau in der abgelegenen, unwirtlichen Gegend nicht mehr subventioniert wird, mußten zahlreiche Gruben schließen. Hunderttausende sind jetzt arbeitslos, eine berufliche Alternative gibt es nicht. Foto: Visum


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