16.04.2024

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21.08.04 / Eselei eines Dichters

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. August 2004


Eselei eines Dichters
von Werner Hassler

Verleger Winterhalder überflog noch einmal den neu ausgehandelten Autorenvertrag. Dann nickte er zufrieden und segnete das Schriftstück mit seiner Unterschrift ab. Er schob gerade die Korrespondenzmappe zur Seite, als ihm seine Sekretärin diensteifrig meldete, daß Herr Frank Baumann im Vorzimmer warte und ihn unbedingt zu sprechen wünsche.

"Nein, nein, bitte nicht!" Winterhalters Worte hörten sich beinahe wie ein gequälter Aufschrei an. Mit unglücklichem Gesicht fügte er hinzu: "Sagen Sie ihm, ich sei verreist, wäre in Neu Guinea oder hätte Mumps, Masern oder Gelbfieber. Ich bitte Sie, um Gottes Willen, erfinden Sie etwas!"

Denn Frank Baumann war einer dieser Möchtegernautoren, die Jahr für Jahr mit einem dicken Manuskript unterm Arm bei ihm aufkreuzten. Doch alle seine Arbeiten waren bisher vergebliche Mühen, ja sogar die reinste Papierverschwendung gewesen. Das einzige, was bisher unter Baumanns Namen gedruckt und veröffentlicht wurde, waren die Karten anläßlich seiner Konfirmation gewesen, auf denen er sich für die erwiesenen Aufmerksamkeiten artig bedankte.

Doch Frank Baumann abzuwimmeln war gar nicht so einfach. Er stand bereits im Türrahmen. Mit drei großen Schritten durchquerte er das Büro und baute sich in voller Lebensgröße vor Winterhalters rustikalem Schreibtisch auf. Freudig strahlend hielt er dem Verleger ein dickes Manuskript entgegen.

"Hier, Herr Winterhalter, mein neuestes Werk! Sie müssen es unbedingt lesen!"

Bruno Winterhalter ergriff das Manuskript und legte es am äußersten Rand seines Schreibtisches ab. "Ich bin in großer Zeitnot, deshalb bitte ganz kurz, wovon handelt Ihre Arbeit eigentlich?"

Frank Baumann stellte sich nun neben den Schreibtisch. Seine Stimme drohte sich fast zu überschlagen. "Es handelt von dem harten Lebenskampf eines armen Bauern an der portugiesischen Küste!"

Neugierig geworden, griff Winterhalter nun zur Brille und den ersten Skriptseiten und begann zu lesen: "José hatte gerade die letzten knorrigen Äste auf seinen wackeligen Eselskarren geladen, als die Dämmerung hereinbrach. Er prüfte, ob der Esel noch fest in seinem Geschirr stand, zündete seine Pfeife an und setzte sich auf den blankgescheuerten Kutschbock. Nun ergriff er die Leine und rief mit heiserer Stimme: ,Los, Grauer, zieh an, auf geht's, vorwärts, nach Hause. Nun mach schon, Eusebio. Soll ich dir etwa Beine machen?'"

Winterhalter blätterte einige Skriptseiten weiter. Er runzelte die Stirn, als er weiterlas: "Los, Grauer, zieh an, auf geht's, vorwärts, nach Hause. Nun mach schon, Eusebio. Soll ich dir etwa Beine machen?"

Winterhalter blätterte auf Seite 248 und danach auf Seite 312. Als dort immer noch der gleiche Text "Los, Grauer, zieh an" zu lesen stand, traten ihm dicke Zornesadern auf die Schläfe. "Sagen Sie, wollen Sie mich etwa verhohnepiepeln? Glauben Sie, ich hätte meine Zeit in der Lotterie gewonnen?" brüllte er mit hochrotem Kopf.

Frank Baumann breitete die Arme aus. "Ich weiß, es ist zum Verzweifeln, aber dieser Esel ist nun halt ein ganz besonders eigensinniges und störrisches Tier!"

 

Störrischer Esel: Dem Grauen werden so allerlei Eigenarten nachgesagt. Foto: Osman


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