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28.08.04 / Hoffnung auf ein deutsches Leben / Jahrestag der Deportation der Wolgadeutschen - Grund zum Rück- und Ausblick 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. August 2004


Hoffnung auf ein deutsches Leben
Jahrestag der Deportation der Wolgadeutschen - Grund zum Rück- und Ausblick 
von Sverre Gutschmidt

Innerhalb weniger Stunden verloren sie alles - ihren Besitz ihre Heimat, ihre Autonomie. In Viehwaggons eingesperrt, verlud sie die stalinistische Sowjetunion als menschliche Fracht in die Arbeitslager Sibiriens. Der 63. Jahrestag der Deportation der Wolgadeutschen nach Sibirien am 28. August gibt der Bundesregierung und der deutschen Öffentlichkeit Anlaß, über Schicksal und Gegenwart der Rußlanddeutschen nachzudenken.

Die Kenntnis ihres Schicksals sei Voraussetzung, zu verstehen, warum sie nach Deutschland übersiedeln, so Jochen Welt, der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung. Das schwere Verfolgungsschicksal und die Motive der Übersiedlung müßten den Deutschen ins Gedächtnis gerufen werden. Tatsächlich sind Aussiedler in der Bundesrepublik derzeit bestenfalls Negativ-Gegenstand in der Betrachtung von Kriminalität. Die Zahl der Neuankömmlinge nimmt seit Jahren kontinuierlich ab, die Zeiten, als nach Glasnost und Perestroika 300.000 und mehr Spätaussiedler jährlich in den Westen strömten, sind vorbei. 32.305 Spätaussiedler und Angehörige wurden im ersten Halbjahr 2004 registriert - im Vergleichs-zeitraum 2001 waren es noch 58.000. Fast ausschließlich kommen sie aus den GUS-Staaten. Rumänien und Polen steuern noch einen meßbar geringen Anteil bei. Seit den 50er Jahren sind über vier Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Umfangreich von Deutschland unterstützte Programme in Kasachstan und Rußland sollen die Verbliebenen dort halten oder wenigstens auf die Ausreise in die Bundesrepublik bestmöglich vorbereiten.

Damals durften sie nur mitnehmen, was sie am Leibe trugen - am 28. August 1941, zwei Monate nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht, wurden 800.000 Deutsche nach Mittelasien und Sibirien deportiert, darunter 400.000 Wolgadeutsche, die seit dem 18. Jahrhundert treue Staatsbürger waren. Familienväter, Frauen und Kinder, sie alle wurden getrennt. Männer und Frauen ohne Kinder kamen ins Arbeitslager. Hunger, Kälte und Schwerstarbeit forderten 300.000 Todesopfer unter den verschleppten Deutschstämmigen. Wer von ihnen noch nicht deportiert war, sondern sich im Einflußbereich der Wehrmacht aufgehalten hatte, wurde zu Kriegsende als "Verräter der sozialistischen Heimat" deportiert. Selbst die 75.000, die sich schon in den westlichen Besatzungszonen in Sicherheit wähnten, wurden von den Westalliierten ausgeliefert. Verbannung im GULag auf ewige Zeiten per Dekret war die Folge. Selbst die Abkehr vom stalinistischen Terror 1964 änderte nichts an der Lage der Entrechteten.

Um so bitterer empfinden die Rußlanddeutschen ihre Aufnahme in der Bundesrepublik angesichts der großen Hoffnungen auf ein hochherziges Deutschland, die wahre Heimat. Sie beklagen die oft einseitig negative Stimmung, die öffentlich und in der Medienberichterstattung mit den Begriffen "rußlanddeutsch" und "Aussiedler" verbunden sind. Die ganz Jungen integrieren sich dank Schule schnell, die Alten träumen auch nach der Ankunft, die Generation der älteren Jugendlichen zieht dagegen unwillig mit, hat Probleme. Erfolgreiche Lebenswege finden sich aber auch unter ihnen - nur nicht in der Wahrnehmung. So wird anläßlich der olympischen Spiele in Athen aus der deutschen Medaillengewinnerin Julia Matijaas (Judo-Bronze im Superleichtgewicht) eine "gebürtige Russin" oder gar ein "russischer Judo-Floh". Auch deutsche Standesbeamte zeigen sich nicht gerade zugeneigt bei von ihnen oft eigentümlich eingedeutschten Namen der Zuzügler. Kurzum: "rußlanddeutsch" ist ein Negativattribut mit dem offenbar selten ein Sieg und harte anständige Arbeit in Verbindung gebracht wird, vielmehr Kriminalität und Integrationsprobleme. In einer Privatfernseh-"Akte" wurde im Juli sogar "Eine Region in Angst" vor rußlanddeutschen Jugendlichen vorgestellt. Aufhänger des reißerischen Berichtes bildete ein acht Jahre zurückliegender Mordfall. Nicht nur die erfolgreich den "Bleibewillen" potentieller Aussiedler aus Rußland stärkende Politik der deutschen Regierung zeigt also Wirkung. Es gibt neben der guten Hilfe in den Herkunftsgebieten gegenwärtig mehr Aversion in Deutschland als in Rußland, das den Wert der Minderheit längst entdeckt hat. Auf den Internetforen der Rußlanddeutschen lassen Umfragen erkennen: Viele der Aussiedler empfinden es inzwischen als Beleidigung, in Deutschland öffentlich als Rußlanddeutsche angesprochen zu werden. Zurückhaltung, bisweilen auch Abneigung ist ein gern verschwiegener Faktor in den Beziehungen zwischen eingesessenen und "neuen" Deutschen. Es wird für ein gutes Verhältnis mehr als "Hilfe zur Selbsthilfe" und günstiger Kredite für "Bleibewillige" bedürfen.


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