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28.08.04 / Ein Strauß dunkelroter Rosen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. August 2004


Ein Strauß dunkelroter Rosen
von Hans Bahrs

An einem jener sanften Sommerabende, an denen man die Luft wie ein leises Streicheln an den Wangen verspürt und in denen der Friede so groß und sicher wohnt, daß wir mit vollen Händen immer nur schenken möchten, hatte die junge Frau des bekannten Malers zu einer Abendgesellschaft geladen. Sie ging noch gelassen durch die Festräume, in die der Duft des herrlichen Gartens wie eine Verheißung des Kommenden drängte, als die ersten Gäste auch schon eintrafen und artig Grüße austauschten.

Gerade wollte der verehrte Chirurg, der sich auch für diesen Abend frei gemacht hatte, sein Domizil, das nur wenige Minuten von dem Ort des Festes entfernt war, verlassen, als ihn ein unverkennbar knackendes Geräusch anhielt, das aus der Tiefe seines Gartens kam. Er trat noch einmal an die Brüstung des Eingangs und spähte hinaus. Da gewahrte er einen fremden jungen Mann, nach der letzten Mode sorgfältig gekleidet, der im Licht des vollen Mondes, der über ihm stand, Rose um Rose aus dem herrlichen Bestand des Arztes schnitt und zu einem anmutigen Strauß aneinander reihte.

Zuerst wollte der alte Herr, der seit einiger Zeit verwitwet war, den Frevler zur Rechenschaft ziehen. Doch dann besann er sich anders. Er zog sich in die Dämmerung des Hauseingangs zurück und wartete mit atemloser Spannung den weiteren Verlauf dieser Unternehmung ab.

Schon bald kam der Fremde leichtfüßig den breiten Weg aus dem Garten entlang geschritten, ordnete mit ruhigen Händen seinen Strauß, lachte leise und wie befreit und befestigte dann an einem wunderschönen Strauß seltener Blumen, die man in einem Treibhaus gezogen haben mochte, eine kleine Karte, auf die er einige Worte schrieb. Er hinterließ diesen Strauß auf einer Fensterbank des Arzthauses und entfernte sich dann leise. Die Gartenpforte blieb geöffnet. Als der junge Mann die Straße erreicht hatte, nahm der Arzt den zurückgelassenen Strauß an sich und erfreute sich an dem schweren Duft der fremden Blumen, während er kopfschüttelnd die Karte las.

"Musicus an Medicus. Ich nahm die Rosen und ließ dafür diesen Strauß zurück. Verzeihen Sie. Der Wert meiner Blumen entschädigt Sie. Werten Sie das als eine - nicht medizinisch zu nehmende Laune Ihres Musicus!" Der Arzt lächelte, als er die Karte wendete und mit schnellen Zügen schrieb: "Medicus an Musicus! Einen herrlicheren Strauß schenkte ich nie einer schönen Frau. Ihr Medicus." Die Blumen nahm er fröhlich in die Hand, steckte die Karte in seine Rocktasche und folgte dem Eindringling in einiger Entfernung. Der betrat kurz vor ihm das Haus des Malers.

Als sich der Chirurg artig vor der Herrin des Hauses verneigte, stand der Musiker etwas abseits. Die Frau des Malers stieß einen Ausruf des Entzückens aus, als sie das schöne Angebinde betrachtete. Dann drohte sie dem Arzt lächelnd und meinte mit seltener Betonung: "Sie dürfen mir diesen Strauß bringen! Sie allein außer meinem Mann. Wissen Sie auch, daß ich gerade einen solchen Strauß von meinem Mann zur Hochzeit bekam?" - "Nein, meine Verehrteste! Leider haben wir erst seit kurzem die Ehre, Sie in unserer Nähe zu wissen."

Die Gastgeberin neigte sich leicht dem Chirurgen zu und trat dann dem jungen Mann entgegen. Sie blickte ihn voll an, als sie leise sagte: "Rosen! Dunkelrote Rosen: Ich bekam schon einmal einen solchen Strauß von dir. Später versprachst du mir einen zweiten, als Zeichen, daß du mir wegen meiner Entscheidung, die dir weh getan hat, nicht mehr grolltest. Ich habe lange auf dieses Zeichen warten müssen."

Der Musiker erwiderte verträumt: "Warum lädst du auch immer zum Vollmond ein? Nur der Mond ist daran schuld, daß ich dir heute diese Rosen brachte!"

Die Gastgeberin lächelte. Schon im Entfernen erwiderte sie leise: "Solche Abende schenken Klarheit. Ich danke dir dafür!"

Dieses Zwiegespräch ging unter in dem fröhlichen Geplauder der Gäste. Nur die scharfen Ohren des Arztes hatten es vernommen. Während der Tafel grübelte er darüber nach. Später fiel ihm auf, daß der Musiker für eine Weile unsichtbar blieb. Erst am späten Abend erschien er wieder und spielte Lieder von Schubert. Die Gastgeberin sang mit ihrer vollen, klaren Stimme dazu.

Es wurde ein schönes Fest. Zum Schluß spielte der junge Künstler eine Komposition, von der die Frau des Malers sagte: "Erst heute entstanden!" Er widmete sie der Gastgeberin. "Ein Rosenstrauß" war das Stück betitelt.

Nur drei Menschen unter den vielen Gästen wußten, daß damit mehr ausgesagt war, als die Ohren empfanden. Die Komposition begann mit einem weichen, schwermütigen Mollton und ende in einem jauchzenden Dur. Aber sie verrieten sich nicht. Auch die Geste des Chirurgen, der dem Musiker am Schluß mit einer artigen Verbeugung eine kleine Karte überreichte, die dieser zunächst etwas überrascht, dann mit einem frohen Leuchten im Gesicht überflog, wurde nicht anders genommen als die schöne Huldigung an den Genius des jungen Künstlers, dem an diesem Abend alle Herzen gehörten.


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