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28.08.04 / Die "Jagd auf Deutsche" im Osten / Die Verfolgung begann nicht erst mit dem "Bromberger Blutsonntag" vor 50 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. August 2004


Die "Jagd auf Deutsche" im Osten
Die Verfolgung begann nicht erst mit dem "Bromberger Blutsonntag" vor 50 Jahren
von Pater Lothar Groppe

Deutsche Politiker und Medienleute lassen keine Gelegenheit vorübergehen, an vergangene deutsche Schuld zu erinnern. Hierbei spielt die historische Wahrheit häufig keine Rolle, wenn nur der Political Correctness Genüge getan wird. So, wie der Nürnberger Oberbürgermeister am 9. November des vergangenen Jahres anläßlich des 65. Jahrestags der "Reichskristallnacht" erklärte: "Es gab nur ein einziges Tätervolk, uns."

Wir werden am 1. September des Überfalls auf Polen gedenken, der den Zweiten Weltkrieg mit all seinen Schrecken auslöste und 55 Millionen Menschenleben forderte. Der "Überfall" ist inzwischen derart zum Gemeingut geworden, daß ihn niemand zu bezweifeln wagt. Allerdings bereitet uns das "Deutsche Wörterbuch" von Gerhard Wahrig einiges Kopfzerbrechen. Nach ihm ist ein Angriff ein Überfall, wenn er den Angegriffenen unvorbereitet und überraschend trifft. Jedoch Polen war keineswegs unvorbereitet, wie der französische Historiker Raymond Cartier in seinem Werk "Der Zweite Weltkrieg" schreibt. Nach ihm hatten die Polen den Angriff erwartet: "Hatten sie den Krieg wirklich nur erwartet? Hatten sie ihn vielleicht sogar gewollt? Eine Woge patriotischer Begeisterung ging bereits seit Wochen durch das ganze Land. Es gab Leute, die ganz offen erklärten, sie hätten Angst gehabt, ihre Politiker könnten die Gelegenheit, den Deutschen eine tüchtige Lehre zu erteilen, ungenützt vorübergehen lassen. Wenn Hitler etwas gegen den Korridor habe, so werde Polen diesen eben auf seine Weise beseitigen, indem es sich Ostpreußen einverleibe, dessen Besiedlung durch die Deutschritter ja ohnehin nichts als nackte Usurpation gewesen sei." Cartier spricht auch unverblümt davon, daß es in Polen seitens der Polen Fälle offener und heimtückischer Unterdrückung der deutschen Minderheit gab. In Polen war die Mobilmachung seit Frühjahr 1939 etappenweise im Gang.

Lange vor Hitler, am 9. Oktober 1925, schrieb die polnische Zeitung Gazeta Gdansk: "Polen muß darauf bestehen, daß es ohne Königberg, ohne ganz Ostpreußen nicht existieren könne. Wir müssen jetzt in Locarno fordern, daß ganz Ostpreußen liquidiert wird. Es kann eine Autonomie unter polnischer Oberherrschaft erhalten. Dann wird es keinen Korridor mehr geben. Sollte dies nicht auf friedlichem Wege geschehen, dann gibt es ein zweites Tannenberg, und alle Länder kehren dann in den Schoß des geliebten Vaterlandes zurück."

"Von 1.058.000 Deutschen, die noch 1921 in Posen und Westpreußen lebten", ist bei Cartier zu lesen, "waren bis 1926 unter polnischem Druck 758.867 abgewandert. Nach weiterer Drangsal wurde das volksdeutsche Bevölkerungselement vom Warschauer Innenministerium am 15. Juli 1939 auf weniger als 300.000 Menschen geschätzt."

All dies muß man wissen, wenn man wissen will, wie es zum bisher größten und verlustreichsten Krieg der Geschichte kam. Wenn man auch nicht vom "Überfall" auf Polen sprechen kann, so begann doch am 1. September 1939 der deutsche Angriff auf Polen. Man darf den historischen Hintergrund nicht außer acht lassen, wenn man verstehen will, wie es infolge langwieriger Spannungen schließlich zum Krieg kam. Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland erklärte auf die Frage, wer denn den Sechs-Tage-Krieg begonnen und die ersten Schüsse abgegeben habe: "Das ist gänzlich belanglos. Entscheidend ist, was den ersten Schüssen vorausgegangen ist." Sollte dies etwa auch für Deutschland gelten?

Neben der Tschechoslowakei gab es in Polen das Problem der "deutschen Minderheiten". Es geht auf die Grenzziehung von Versailles zurück. So wurden die Provinz Posen und der größte Teil Westpreußens ohne Volksabstimmung Polen zugewiesen. Nach der Abstimmung in Oberschlesien 1921 wurden Teile davon Polen überlassen, obwohl 59,6 Prozent der Bewohner für Deutschland gestimmt hatten. So kamen mehr als zwei Millionen Deutsche in den Vielvölkerstaat Polen. Minderheitenabkommen sollten das Nationalitätenprinzip retten. Aber die Tschechoslowakei und Polen erklärten immer wieder, das Minderheitensystem des Völkerbundes beeinträchtige ihre Souveränität. So wurden in der Regel die Verträge nicht eingehalten, was zur Verärgerung und Enttäuschung der Bevölkerung führte. Sie griff aber zur Veränderung des Status quo nicht zur Gewalt. Waren die Deutschen eine "fünfte Kolonne"? Ganz besonders in Polen wurde dieser Vorwurf erhoben. Aber eine ethnische Minderheit ist nicht schon deswegen illoyal, weil sie die Beachtung der Minderheitenrechte verlangt. Zwischen 1919 und 1939 kam es zu mehreren tausend Protesten wegen Verletzung des Minderheitenabkommens vom 28. Juli 1919. Es gab eine Menge Zündstoff. Deutschen wurden in Polen ihre Geschäfts- und Betriebslizenzen entzogen, Bauernhöfe angesteckt, Geschäfte boykottiert und Deutsche auf offener Straße verprügelt. Volksdeutsche, die versuchten, ins Reich zu flüchten, wurden ebenso beschossen wie später Deutsche, die aus der Ostzone nach Westdeutschland zu flüchten suchten. Allein im August 1939 gelang etwa 80.000 Deutschen die Flucht nach Deutschland. Der damalige Staatssekretär Ernst Freiherr v. Weizsäcker schrieb hierzu: "Unsere diplomatischen und Konsularberichte aus Polen zeigten, wie 1933 die Welle immer höher auflief und das ursprüngliche Problem Danzig und Passage durch den Korridor überdeckte."

Die 20 Reichsregierungen vor Hitlers Machtübernahme hatten versucht, durch Verhandlungen das Verhältnis zu Polen zu verbessern. Selbst Hitler versuchte dies anfangs, allerdings ohne Erfolg. Erst als er ab 1937 mit Gewalt drohte, konnte er nach und nach die Versailler Probleme lösen. Da er jedoch den Bogen überspannte, kam es zum Zweiten Weltkrieg.

Als sich ab April/Mai 1939 die deutsch-polnischen Beziehungen immer mehr verschlechterten, wurden einzelne Volksdeutsche, also solche deutscher Abstammung, aber ohne deutsche Staatsangehörigkeit, ermordet. Allerdings waren es nicht so viele, wie die deutsche Propaganda behauptete. Bereits mehrere Monate vor dem Krieg führten Rundfunk und Presse Polens einen propagandistischen Feldzug gegen die Minderheiten mit dem Tenor, "daß im Kriegsfalle kein einheimischer Feind lebend entrinnen wird". Es ging das Gerede von einer bevorstehenden "Bartholomäusnacht" um. Wohlwollende Polen warnten ihre deutschen Nachbarn, sich im Falle eines Krieges auf das Schlimmste gefaßt zu machen.

Am 31. August 1939 inszenierten die Nationalsozialisten einen Überfall auf den Sender Gleiwitz, der den Polen in die Schuhe geschoben wurde. Dieser Vorfall war deshalb von besonderer Bedeutung, weil die internationale Öffentlichkeit auch nach Kriegsende die deutschen Behauptungen über alliierte Kriegsverbrechen verwarf. In den letzten Tagen vor Kriegsbeginn häuften sich Meldungen über angebliche oder tatsächliche Morde an Volksdeutschen. Tatsächlich begann am 1. September 1939 die angekündigte "Jagd auf Deutsche". Der "Bromberger Blutsonntag" wurde aber im Ausland als Propaganda der Nationalsozialisten angezweifelt. Da nach dem 1. September 1939 vereinzelt Sabotageakte verübt wurden, deren Urheber nicht mehr zu ermitteln sind, kam es seitens der polnischen Bevölkerung zu drastischen Maßnahmen. Anhand der vor dem Krieg angelegten Listen wurden in den Woiwodschaften Posen und Pomerellen 10.000 bis 15.000 Deutsche ohne Haftbefehl festgenommen und zum Fußmarsch ins Landesinnere Richtung Kutno gezwungen. Die Polen beschuldigten die Deutschen, Angehörige der "fünften Kolonne" zu sein. Während des Marsches vergriffen sich Polizisten und Zivilisten an den wehrlosen Deutschen. Etwa 2.200 Verschleppte kamen um. Vielfach wurden Marschunfähige einfach erschossen. Man erinnere sich an die Todesmärsche von Auschwitz am Ende des Krieges. In vielen Ortschaften begingen Polen Brandstiftungen, holten Deutsche, die sie der Konspiration mit dem Feind verdächtigten, aus ihren Häusern, mißhandelten, vergewaltigten und ermordeten sie.

Am schlimmsten ging es am Sonntag, dem 3. September in Bromberg zu, weswegen es zur Bezeichnung "Bromberger Blutsonntag" kam. Anlaß war das Gerücht, im Nordteil der Stadt sei es zu Schießereien gekommen und deutsche Fallschirmjäger seien abgesprungen. Später wurde bekannt, daß es sich um marodierende Einheiten der 9. und 27. polnischen Infanteriedivision handelte. Fallschirmjäger sprangen nicht über Bromberg ab. Unter dem Vorwand, nach Waffen, Munition und Geheimsendern zu suchen, drangen Soldaten, Polizisten und Zivilisten in die Häuser der Deutschen ein. Eltern wurden vor den Augen ihrer Kinder, Kinder vor den Augen ihrer Eltern ermordet. Viele Opfer wurden vor ihrer Ermordung gefoltert und verstümmelt. Die Zahl der Opfer dieses Tages in Bromberg wurde auf 1.200 bis 1.500 geschätzt. Am 4. September stießen Angehörige der 50. Infanteriedivision auf die ersten deutschen Leichen. Dies führte mit sofortiger Wirkung zur Errichtung der "Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Völkerrechtsverletzungen" (WUSt). Deren Untersuchungen ergaben, daß Morde und andere Gewaltverbrechen nicht nur in Bromberg selbst, sondern auch an anderen Orten stattgefunden hatten. Neben Volksdeutschen waren auch gefangengenommene deutsche Soldaten ermordet worden. Ende der 60er Jahre wurde die Zahl der im September 1939 ermordeten Volksdeutschen auf 3.841 festgelegt.

Daß nach Kriegsbeginn schwere Ausschreitungen gegen Volksdeutsche begangen wurden, steht fest. Ebenso trifft es zu, daß die Zahl der Ermordeten nicht so hoch ist, wie Goebbels behauptete. Danach seien 58.000 Volksdeutsche ermordet worden. Die Kartei der "Posener Zentralstelle für die Gräber ermordeter Volksdeutscher" enthält "nur" 5.495 Karten.

Bei den Verbrechen gegen Volksdeutsche muß zutiefst erschüttern, daß nach gut belegten Berichten am Sonntag, dem 3. September, katholische Gotteshäuser zu Versammlungsstätten wurden, die wenig später zum Massenmord an Deutschen führten. Nicht zufällig wird in allen vorliegenden Berichten übereinstimmend "die Zeit nach dem Gottesdienst" und hier, noch genauer, "nach 10.00 Uhr" oder "ungefähr 10.20 Uhr" als Beginn des Schießens in verschiedenen Stadtteilen und der Massenverhaftungen von Deutschen angegeben. Im Bundesarchiv haben wir Unterlagen, die eindeutig belegen, daß die polnischen Einwohner systematisch aufgehetzt wurden.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, daß nicht wenige Polen sich für Deutsche einsetzten. So der Malermeister Pulkowski. Er sagte zu den bewaffneten Banden: "Was macht ihr mit den Deutschen?" Er wurde mitgenommen und erschossen. Aus vielen eidesstattlichen Aussagen geht hervor, daß aus der Menge immer wieder zum Mord an den Deutschen aufgerufen wurde.

Die Bromberger Ereignisse wurden auch von ausländischen Reportern geschildert. So schrieb ein ungarischer Journalist: "Laut allen Aussagen begann die Hölle in Bromberg in jener Stunde, als die polnischen Zivilbehörden die Stadt verlassen hatten. Hunderte von Deutschen, darunter Frauen, Kinder und Greise, wurden durch die Stadt gejagt. Sie wurden mit Gewehrkolben und Stöcken geprügelt und massenweise hingemordet. Selbst der katholische Pfarrer Kaluschke wurde mit seinen Ordensschwestern durch die Stadt gejagt und mißhandelt. Ich hatte Gelegenheit, noch Donnerstag (7. September) in Häusern und auf den Straßen die Leichen der Ermordeten zu sehen ..."

Neben dem eigentlichen Zentrum Bromberg wurden auch in den Vororten zahlreiche Deutsche ermordet. Dort begannen die Ermordungen erst am 4. und 5. September. Es heißt, weil sie Deutsche waren. Wahllos wurden Frauen, Kinder und Greise abgeknallt, wo immer man sie als Deutsche identifizierte.

In den Berichten wird aber auch hervorgehoben, daß weite Kreise der Bevölkerung ebenso wie der polnischen Armee mit dieser Welle des Hasses nichts zu tun hatten, daß sie ohnmächtig und hilflos dem Wüten des Mobs gegenüberstanden, wie seinerzeit in der sogenannten "Reichskristallnacht" die meisten Deutschen den nationalsozialistischen Mordbrennern.

 

Nach dem "Bromberger Blutsonntag": Ausländische Journalisten vor den deutschen Opfern Foto: pa


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