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04.09.04 / Vom Jäger zum Gejagten / Die Pentagonberichte zu den Mißhandlungen im Irak - das Ende der Ära Bush?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. September 2004


Vom Jäger zum Gejagten
Die Pentagonberichte zu den Mißhandlungen im Irak - das Ende der Ära Bush?
von S. Gutschmidt

Amerika hat ein Wochenende der Massenproteste hinter sich. 200.000 demonstrierten in New York gegen US-Präsident Bush und seine Irakpolitik. Als Mahnung aufgestellte Schuhe sollten an die Opfer des Krieges erinnern - tote GI's und irakische Zivilisten. In den Meinungsumfragen liegt Bush dank Anti-Terror-Bonus hingegen noch vorn. Derweil ringt der derzeit wohl wichtigste Mitarbeiter des Präsidenten mit den lebenden Opfern von Mißhandlungen, die er angeordnet haben soll: "Es gibt eine institutionelle und persönliche Verantwortung der gesamten Befehlskette hinauf bis nach Washington", so der orakelnde Vorwurf und er kommt aus Donald Rumsfelds eigenem Haus.

Geboren in Chicago, kam der Mann mit den norddeutschen Vorfahren 1957 als Helfer eines Kongreßabgeordneten erstmals mit Politik in Berührung. Er verdankt seine politische Sozialisation der Nixon-Administration, gehörte bis 1972 dessen Kabinett an. Noch vor Nixons Fall in der Watergate-Affäre ging der Princeton-Absolvent 1973 als US-Nato-Botschafter nach Brüssel. 1975 bis 1977 war er das erste Mal Verteidigungsminister im Kabinett Gerald Ford, erhielt von ihm die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Freiheitsme- daille des Präsidenten. Donald Rumsfeld kann auf eine außerordentliche politische Karriere zurückblicken.

Um so härter muß den "Falken" aus Zeiten des Kalten Krieges die heutige Kritik treffen, in die auch Weggefährten von einst einstimmen. Sein Parteifreund und Konkurrent um das Pentagon zu Fords Zeiten, James Schlesinger, belastet ihn im eigens von Rumsfeld angeforderten Bericht zu den Vorfällen in Abu Ghuraib. Zum ersten Mal halten dieser und ein weiterer Pentagonbericht seit dem 24. beziehungsweise 25. August offiziell fest: Militärs im Generalsrang und die zivile Pentagonspitze tragen eine Mitverantwortung an den Mißhandlungen, verübt von US-Soldaten in irakischen Gefängnissen. Am 27. August wurden die Berichte vom ersten Eingeständnis des Präsidenten begleitet, daß man die Lage im Irak "falsch eingeschätzt" habe. Selbst das Pentagon greift am 29. August neue Themen auf, berichtet von Verhandlungen um den Rechtsstatus der Guantanamo-Häftlinge - Bereitschaft zu einem gewissen Einlenken zeigt sich allenthalben im Regierungslager.

Doch späte Rache des 1975 zugunsten von Rumsfeld wegen "Arroganz" aus dem Verteidigungsamt entlassenen Schlesinger kann kaum hinreichend erklären, was nun an die Öffentlichkeit geriet: 27 Militärs und Zivilisten waren an den Mißhandlungen im Irak beteiligt - deutlich mehr als angenommen. Nicht nur Individuen in den verwahrlosten Verwahranstalten der USA im Irak hätten versagt, auch Vorgesetzte, die nicht für Disziplin sorgten, so der Vorwurf. Rumsfeld selbst wird in den Berichten kaum genannt, Schlesinger entlastet ihn von dem Vorwurf, die Quälereien seien unmittelbares Ergebnis einer Politik des Pentagonchefs. Als Minister trägt er allerdings die Verantwortung. Sie lastet in der Tat schwer auf dem ehemaligen Wirtschaftsmanager: Rumsfeld versäumte es, rechtzeitig klare Regeln für den Umgang mit Gefangenen aus dem Irak- und dem Afghanistanfeldzug zu schaffen, so Schlesinger. Im Feld sei die mehrfache Änderung der zugelassenen Verhörmethoden durch Rumsfeld zwischen Ende 2002 und Frühjahr 2003 nur in Form von Verwirrung angekommen. Scharfe Verhörmaßnahmen, die er für die "irregulären Kämpfer" in Afghanistan angeordnet hatte, hätten sich bei der Behandlung regulärer Kriegsgefangener im Irak "eingebürgert", versucht der Bericht zu erklären.

Kurzum: Die Genfer Konvention, nach der jedem Gefangenen ein Rechtsstatus zuzugestehen ist, er dem Roten Kreuz gemeldet werden muß, wurde weder in Afghanistan noch im Irak konsequent eingehalten. Es ist das bewußte Offenhalten aller Optionen, auch der Unmenschlichkeit, das Abu Ghuraib möglich machte. Und für dieses "alles ist möglich" ist der Hardliner Rumsfeld letztlich verantwortlich. Seine bedeutende Rolle in der Bush-Administration verdankt er nicht nur dem Amt, sondern auch der Irakkriegsvorbereitung im Sommer 2002. Freilich scheuen die offiziellen Berichte eine klare, da tendenziell den Gegner stärkende Sprache. Ist doch eine heiße Wahlkampfphase die denkbar schlechteste Umgebung für Selbstkritik. Denn noch berichten Pentagonkommissionen - eine "unabhängige", auf Forderungen und Experten der Demokraten fußende Untersuchung würde mit Sicherheit weitreichendere Klagen erheben, schon im Wahlinteresse.

Inwieweit die Gedankenspiele der Pentagonjuristen ein Klima der Ermutigung zum menschenunwürdigen Umgang mit tatsächlichen und vermeintlichen Gegnern herbeiführten, läßt Schlesinger offen. Er und die übrigen Berichter Brown, Fowler und Horner sprachen sich für den Verbleib Rumsfelds im Amt aus. Die Generäle Anthony Jones und George Fay gingen in ihrem Bericht vom 27. August den Vorwürfen gegen den militärischen Nachrichtendienst nach. Sie kamen zu dem Schluß, daß mit 23 erschreckend viele Geheimdienstler an Mißhandlungen beteiligt gewesen seien und mindestens acht weitere Verhörspezialisten Kenntnis von den Vorfällen gehabt hätten, ohne diese weiterzugeben oder einzuschreiten. Insgesamt 44 Fälle von kleinen bis zu gröberen Mißhandlungen deckten die zwei Generäle auf. Außerdem konnten sie Fälle irregulär Festgehaltener aufzeigen - für mindestens einen solchen Fall übernahm Rumsfeld die Verantwortung. An George Orwells diktaturkritisches Werk "Animal Farm" (Farm der Tiere) fühlte sich Schlesinger angesichts der zahlreichen Unterlassungssünden von Vorgesetzten trotz Zurückhaltung bei direkten Vorwürfen gegen Rumsfeld noch erinnert. Schärfere Verhöre seien auch vom Verantwortlichen vor Ort, General Sanchez, bewilligt und wieder zurückgezogen worden, ansonsten habe es "wohl wichtigeres zu tun" gegeben.

Noch im Mai als die Untersuchungen, an deren Ende nun die frappierenden Berichte stehen, begannen, bescheinigte George W. Bush seinem Verteidigungsminister, daß er die Nation tapfer führen würde - im Kampf gegen den Terror. Ob er dies in der heißen Phase des Wahlkampfes noch genauso sieht, oder ob Rumsfeld schon in der Kategorie "Ballast" auf dem Wahlkampftörn mitsegelt, läßt sich nur vermuten. Ein interner Armeebericht bezeichnete damals die Vorfälle als "sadistischen kriminellen Mißbrauch". Demonstrativ zeigt sich der Präsident auch nach den jüngsten Vorwürfen in der Nähe seines Pentagonchefs. Zum Thema Irak äußerte sich sein "starker Verteidigungsminister" bereits vor Bekanntwerden des Schlesingerberichts kaum mehr. Was könnte er auch sagen außer: "Es lief und läuft schlecht in Abu Ghuraib." Gebetsmühlenartig wiederholt er statt dessen für meist konservative US-Radiosender, man werde Osama bin Laden finden, den Irak stabilisieren. Der bisher älteste US-Verteidigungsminister sieht sprichwörtlich alt aus. Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los und auf manche von ihnen wie die Verhörexperten der CIA hatte er keinen Einfluß, muß aber auch für sie den Kopf hinhalten. Es war wohl ein Fehler, so Schlesingers Bericht, von einer friedlichen Nachkriegsentwicklung des Irak auszugehen. Die unterbesetzte, in Guerillakämpfe verwickelte Besatzungsarmee versagte dem pragmatischen Optimismus der Kriegsplaner den Erfolg.

Die Rücktrittsforderungen gegen den beharrungsstarken Mann im Pentagon sind keine Wende. Schon im Mai hatte es sie wegen der Mißhandlungen im berüchtigten, ehemals von Saddam genutzten Gefängnis gegeben. Bushs Herausforderer Kerry erneuert sie nur. Bisher konnten die Demokraten kein Kapital aus der Kritik an den Irakkriegsstrategen schlagen. Schon gar nicht trauten sie sich den Slogan "Wir holen unsere Truppen zurück" zu - angesichts Amerikas Mission dort und dem Patriotismus der Heimat käme ein schneller Abzug einer Katastrophe gleich. Für den Fall eines Wahlsieges könnten den Demokraten angesichts der Probleme im Irak die Rücktrittswünsche im Hals stecken bleiben, wenn auch sie bemerken, wie schwer dem Terror mit Mitteln des Rechtsstaates beizukommen ist.

In Erklärungsnot: US-Präsident George W. Bush steht trotz Vorwürfen zu Donald Rumsfeld. Foto: Reuters


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