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11.09.04 / Selbst die SPD weiß, daß die Bürgerversicherung zu viele Fragen aufwirft

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Selbst die SPD weiß, daß die Bürgerversicherung zu viele Fragen aufwirft

Kaum liegen die ersten Ergebnisse des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes vor, wird auch schon über eine neue Reform diskutiert. Das Gesundheitswesen steht möglicherweise vor einem Systemwechsel. Das Problem sind die ständig steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Diese sind aber nicht mit dem bisherigen Finanzierungssystem in den Griff zu bekommen. Steigende Beiträge belasten immer mehr die Arbeitskosten der Unternehmen. Die Zahl der Beitragsleistenden hat in den letzten Jahren abgenommen, nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland. Zur Zeit liegt die Belastung der Arbeitnehmer einschließlich Arbeitgeberanteil bei 14,2 Prozent. Bis 2030 wird ein Anstieg auf 25 bis 30 Prozent erwartet, wenn die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft wird und der demographischen Entwicklung nicht gegengesteuert wird. Deshalb muß das Krankenversicherungssystem auf eine neue Basis gestellt werden, um es von den Sozialbeiträgen unabhängig zu machen.

Allerdings haben die rot-grünen Reformpolitiker in Berlin inzwischen Angst vor der eigenen Courage bekommen. Aus Furcht vor unwägbaren Wählerreaktionen haben sie alle Pläne auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl verschoben. Langfristig aber wollen SPD und Grüne alle Bürger in eine umfassende Bürgerversicherung einbeziehen, Strukturen verändern und für mehr Wettbewerb sorgen. So müßten das Vergütungsgefüge der Ärzte verändert und privilegierte Behandlungsmethoden gestrichen werden. Der erhöhte Gebührensatz bei Privatpatienten müsse wegfallen, und Mediziner sollten stärker nach Qualität bezahlt werden. Die Zahl der Krankenkassen, so die zuständige SPD-Kommission, werde dramatisch sinken.

Die Länder würden von Beihilfezahlungen entlastet. Das dürfte aber nicht von heute auf morgen möglich sein. Die Einbeziehung der Beamten würde nach Berechnungen des Institutes für Gesundheits- und Sozialforschung (Iges) für Bund, Länder und Gemeinden teuer werden: Über 20 Jahre hinweg wären gleichzeitig die Beihilfe für die älteren Staatsdiener und die Beiträge für die jüngeren Kollegen zu zahlen.

Die geplante Einbeziehung aller Gruppen in die Bürgerversicherung sei, wie Andrea Nahles (SPD) sicherlich zu Recht feststellt, nur schrittweise möglich. Die private Krankenversicherung wolle man, so die SPD-Arbeitsgruppe, in die Bürgerversicherung einbeziehen und nicht nur auf einen Anbieter von Zusatzversicherungen reduzieren. Der Vorschlag des Verbandes der privaten Krankenversicherer (PKV) für einen Basistarif und zur Mitnahme angesammelter Altersrückstellungen beim Versicherungswechsel zeige, daß es Verständigungsbereitschaft und Verhandlungsspielräume gebe. In einer Bürgerversicherung hätten auch Elemente der PKV Platz, wie zum Beispiel die Kapitaldeckung (Altersrückstellungen).

Die Bürgerversicherung ist eine gesetzliche Krankenversicherung, in die alle Bevölkerungsschichten einzahlen: alle Bezieher von Einkünften (Angestellte, Arbeiter, Beamte, Selbständige, Rentner und Arbeitslose), alle Einkommensarten, neben Löhnen und Gehältern auch Einkommen aus selbständiger Arbeit und Vermögen aus Kapitaleinkommen sowie Mieten und Pachten.

Nach Meinung der SPD-Arbeitsgruppe sind - anders, als von den Grünen geplant - zwei Bemessungsgrenzen für die Beitragserhebung notwendig, eine für Arbeitseinkommen und eine für sonstige Einkünfte. Für die in abhängiger Beschäftigung erzielten Löhne sollte es nach den Vorstellungen der Grünen bei der paritätischen Beitragszahlung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleiben. Die Grünen sind zudem der Meinung, daß eine Bürgerversicherung zu sinkenden Krankenkassenbeiträgen führen würde. Mit einer Ausweitung des Versichertenkreises und der Einbeziehung sämtlicher Einkommen könnte der durchschnittliche Beitragssatz um 1,4 Prozentpunkte gesenkt werden. Zu beachten wäre aber, daß zwar mehr Einzahler mehr Einnahmen bedeuten, aber auch mehr Ausgaben.

Die heutige Grenzlinie zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung gewährt nach Meinung von PKV-Verbandsdirektor Dr. Volker Leienbach Wahlfreiheit zwischen zwei völlig unterschiedlichen Versicherungssystemen, zwischen denen intensiver Wettbewerb herrsche. Eine Bürgerversicherung beseitige diesen Wettbewerb, und zwar zum Nachteil aller. Das englische Gesundheitssystem zeige, daß an die Stelle des Wettbewerbs eine Mangelverwaltung über Wartelisten trete.

Gegen eine umfassende Bürgerversicherung sprechen aber auch verfassungsrechtliche Bedenken. So würden durch den Eingriff in den Gewerbebetrieb also die privaten Krankenversicherungen, die in Artikel 14, Absatz 1 GG geschützten Eigentumsrechte beschnitten, meint Professor Isensee von der Universität Bonn. Joseph Hamacher


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