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11.09.04 / Der einsame Bekenner / Günter Schabowski im Brandenburger Wahlkampf

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Der einsame Bekenner
Günter Schabowski im Brandenburger Wahlkampf
von Annegret Kühnel

Der frühere SED-Politiker Günter Schabowski hat sich der CDU in Brandenburg für den Wahlkampf zur Verfügung gestellt. Gerade nahm er an einer CDU-Podiumsdiskussion in der Stadthalle von Bernau - einer PDS-Hochburg - teil. Schon 2001 hatte der damalige CDU-Spitzenkandidat in Berlin, Frank Steffel, ihn als Berater in sein Wahlkampfteam berufen. Schabowski wollte seinen aktuellen Auftritt allerdings nicht als Wahlempfehlung verstanden wissen: Er hätte auch Einladungen anderer Parteien angenommen.

Schabowski gehört zu den halben Verschwörern, die im Oktober 1989 viel zu spät und planlos den Sturz Erich Honeckers durch das SED-Politbüro einleiteten. Am Abend des 9. November 1989 verkündete er - ohne zu wissen, was er tat - die Öffnung der Mauer, was ihm, wie er in Bernau erklärte, telefonische Morddrohungen einbrachte.

Schabowski hält die Rolle von Gregor Gysi und Lothar Bisky bei der Verschiebung des SED-Vermögens für dubios. Dem brandenburgischen PDS-Politiker und Fraktionsgeschäftsführer Heinz Vietze, der als Strippenzieher und starker Mann in der Landespartei gilt und bis 1989 zu den Betonköpfen in der Potsdamer SED-Bezirksleitung gehörte, rechnet er zu den Intriganten, die Ende 1989 in Abstimmung mit Moskau versuchten, das Politbüro unter Egon Krenz zu demontieren und selber in die erste Reihe vorzurücken.

An solchen Stellen zeigen sich die persönlichen Verletzungen, die aus der sogenannten "Wendezeit" herrühren. Schabowski war im Januar 1990 aus der SED ausgeschlossen worden, der er seit 1950 angehört hatte. Die Absicht der neuen SED/PDS-Führung unter Gysi, die Partei von "Altlasten" zu befreien, um sich selber als unbelastete, frische Kraft zu präsentieren und von der DDR zu retten, was noch zu retten war, ließ sich schon damals leicht durchschauen. Auch die Sensationsmeldungen über die luxuriöse Lebensweise der SED-Führung in Wandlitz (kein Direktor einer Kreissparkasse würde sich heute mit den spießigen Gelassen zufriedengeben) werden erst in diesem Zusammenhang voll verständlich. Man strecke den Finger aus, damit er von einem wegzeige.

Doch es sind nicht diese internen Konflikte, die Schabowski heute als Zeitzeugen und Diskussionspartner interessant machen. Er ist der einzige aus der SED-Führungsriege, der zur kritischen Selbstbetrachtung fähig ist. Während Egon Krenz noch heute über die gute Sache schwadroniert, die nur schlecht ausgeführt worden sei, sagte Schabowski schon vor mehr als zehn Jahren bündig: "Wir waren Arschlöcher!" Seine Berichte über den inneren Machtzirkel der SED haben die ganze Banalität dieser selbsternannten "Sieger der Geschichte" enthüllt.

Unter den Mitgliedern des SED-Politbüros, in dessen Reihen er 1985 aufgenommen wurde, war er zweifellos das intelligenteste. Während der berufslose Honecker dem Lumpenproletariat zuzurechnen war, hatte der 1929 geborene Schabowski als Absolvent eines Realgymnasiums einen gutbürgerlichen Bildungsweg absolviert.

Sein unbestrittenes rhetorisches Geschick freilich nutzte der Diplom-Journalist dazu, schönzureden, was nicht schönzureden war. Was bei Honecker einfach nur dumm und ungelenk klang, erhielt aus Günter Schabowskis Mund eine zynische Note. Die verhaltene Empörung über die schleichende, offiziell bestrittene Preiserhöhung bei Personenwagen bügelte der versierte Redner in der Öffentlichkeit mit dem lapidaren Hinweis ab, die vier Autoräder gäbe es ja schließlich gratis dazu.

Schabowski - dessen Ehefrau Russin ist - hat die Bekanntschaft mit jungen russischen Offizieren, die fließend deutsch sprachen und ihn mit dem Marxismus-Leninismus vertraut machten, als sein "Schlüsselerlebnis" in der Nachkriegszeit bezeichnet. Nach dem Zusammenbruch der DDR bekannte er: "Natürlich bedrückt es mich am meisten, daß ich ein verantwortlicher Vertreter eines Systems war, unter dem Menschen gelitten haben ... Ihre Einstellung war die richtige. Meine Einstellung war die falsche." Mit solchen Äußerungen hat er sich unter seinen alten Parteigängern verhaßt gemacht. Er gilt als Verräter.

1997 war Schabowski wegen der Todesschüsse an der Mauer zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nachdem der Bundesgerichtshof die Revision verworfen hatte, trat er im Dezember 1999 seine Haft an. Nach zwei Jahren wurde er begnadigt. Zu denen, die sich vehement für den Gnadenakt eingesetzt hatten, gehörte der CSU-Politiker Peter Gauweiler.

So interessant Schabowskis Auftritte sein mögen, die Wahlentscheidung am 19. September werden sie nicht beeinflussen. Die aktuellen Umfragen sagen 36 Prozent für die PDS voraus, knapp 30 für die SPD und nur 22 für die CDU.

"Sie lagen richtig, wir lagen falsch.": Im Jahre 2001 arbeitete Schabowski, 1985 bis 1989 Mitglied des SED-Politbüros, im Arbeitskreis "Innere Einheit" mit, den Berlins damaliger CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel ins Leben gerufen hatte. Foto: ddp


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