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11.09.04 / Schwarze Witwen gegen schwarzes Gold / Warum Tschetschenien für Moskau wichtig und dennoch nicht zu beherrschen ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Schwarze Witwen gegen schwarzes Gold
Warum Tschetschenien für Moskau wichtig und dennoch nicht zu beherrschen ist
von Jürgen Liminski

Die Geostrategen haben für die Krisenregionen dieser Welt zwei Bögen ausgemacht. Der eine, kleinere, verläuft quer durch Afrika von West nach Ost. Der zweite, weitaus ausgreifendere, reicht von Casablanca übers Mittelmeer, den Kaukasus, Nah- und Mittelost, den Hindukusch bis tief hinein nach Südostasien. In ihm liegen die meisten islamisch geprägten Länder, auch die meisten ethnisch zerrissenen, in seiner Mitte liegt Tschetschenien.

Die kleine Teilrepublik Rußlands macht dem Kreml die größten Sorgen. In zwei Kriegen hat Moskau versucht, die freiheitsliebenden Bergvölker niederzuwerfen. Nach dem ersten Tschetschenienfeldzug (1994-96) herrschte ein paar Jahre Ruhe, dann trat Putin auf den Plan und seit 1999 eskaliert der Rebellenkrieg an Fanatismus und Grausamkeit auf beiden Seiten. Für die Regierung Putin handelt es sich schlicht um Terrorismus. Und in den Reihen der Rebellen befinden sich in der Tat auch einige Terroristen größeren Kalibers, Islamisten und fanatische Mudschahedin, Freiheitskämpfer.

Ungeklärt sind die Beziehungen zum internationalen Terrornetz der Al Quaida, auch wenn der russische Präsident Putin sie bei jedem Treffen mit seinen Freunden Chirac und Schröder, so wie am vorletzten Dienstagabend wieder, beschwört. Sicher allerdings ist, daß etliche Rebellen im Nahen Osten ausgebildet wurden und von dort auch einige Waffen bekommen haben. Die meisten Waffen aber haben die Freiheitskämpfer von russischen Soldaten erhalten, entweder im Kampf oder gegen Geld.

Um Geld geht es auch den Russen im Kreml. Der Kaukasus ist Durchgangsland für das schwarze Gold vom Kaspischen Meer. Von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk führt eine Pipeline über 140 Kilometer durch tschetschenisches Gebiet. Sie und die anderen Pipelines sind für Rußland strategische Linien. Unter dem Kaspischen Meer liegen Ölreserven, die auf mehr als 30 Milliarden Barrel geschätzt werden. Es ist sehr viel leichter zu fördern als das Öl unter den tiefgefrorenen Böden Sibiriens. Um das schwarze Gold aus den Permafrost-Böden zu pumpen, braucht Moskau ein Know-how, wie es nur die Amerikaner dank ihrer Erfahrungen und Probleme in Alaska haben. Das aber macht abhängig. Das um so mehr, als der Kreml seit einem guten Jahr bestrebt ist, die Ölindustrie wieder voll in staatliche Hand zu bekommen.

Mit der Zerschlagung des Yukos-Konzerns ist Putin diesem Ziel schon recht nahe gekommen. Der seit elf Monaten inhaftierte Ölmilliardär Chodorkowskij hatte den "Fehler" begangen, mit den amerikanischen Ölfirmen Exxon Mobil und Texas Chevron über einen Einstieg bei Yukos zu verhandeln. Außerdem kämpfte er für den privaten Bau von Gas- und Ölleitungen durch den Kaukasus und damit gegen das staatliche Monopol von Gasprom und Transneft.

Sämtliche Pipelines, die das Öl durch Zentralasien nach Europa pumpen, führen durch das Krisengebiet, den weichen Bauch Rußlands. Diese Routen gilt es zu sichern. Tschetschenien ist in diesem Sinn eine Festung des Kreml für seine strategischen Interessen, auch gegenüber Amerika, und das mag erklären, warum Paris und Berlin so blind und bedingungslos Putins Haltung unterstützen. Chirac und Schröder glauben Putin alles. Auch daß die Wahl des neuen tschetschenischen Präsidenten am vergangenen Sonntag nach demokratischen Maßstäben verlaufen sei. Beobachter vor Ort haben da andere Erfahrungen gemacht. Auch die massive Militärpräsenz der Russen - mehr als 75.000 Soldaten in einem Gebiet so groß wie Schleswig-Holstein - gegen gerade mal 1.500 Rebellen müßte eigentlich Zweifel aufkommen lassen.

Tschetschenien ist die offene Wunde Rußlands, ein Krisenherd, dessen Funken auch auf Nachbarregionen wie Dagestan oder Inguschetien übergreifen können.

Die Rebellen haben keine Chance, die Russen zu vertreiben. Ihre Verzweiflung sucht im Terror ein Ventil. Besonders die "schwarzen Witwen" - junge Frauen, deren Männer, Väter und Brüder von russischen Soldaten verschleppt und ermordet wurden - haben Moskau den Kampf bis zum Tod angesagt. Sie traten erstmals bei der Geiselnahme im Moskauer Theater vor zwei Jahren in Erscheinung. Sie dürften auch für den Anschlag auf die zwei Tupolew-Maschinen vor ein paar Tagen verantwortlich sein.

Diese Todgeweihten setzen sich in eine Metro oder einen Bus, sie gehen ins Kino oder in ein Restaurant und sprengen sich in die Luft. Sie haben Heimat und Familie verloren, ihr islamischer Glaube gibt ihrem Tod einen letzten Sinn. Sie sind die ideale Waffe für Terroristen und Rebellen. Schwarze Witwen gegen schwarzes Gold - das kleine, waldreiche und gebirgige Tschetschenien droht zur Schlangengrube für den Kreml zu werden.

Vor den Trümmern von Putins Tschetschenienpolitik: Hunderte von Kindern in Beslan mußten das Fehlverhalten ihres Präsidenten mit ihrem Leben bezahlen. Foto: Reuters


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