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11.09.04 / Quo vadis Bayreuth? - Festspiele im Wandel / Gedanken zu den Richard-Wagner-Festspielen 2004

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Quo vadis Bayreuth? - Festspiele im Wandel
Gedanken zu den Richard-Wagner-Festspielen 2004
von Irmgard Dremel

Gar nichts liegt mir daran, ob man meine Sachen gibt: Mir liegt einzig und allein daran, daß man sie so gibt, wie ich's mir gedacht habe; wer das nicht will oder kann, der soll's bleiben lassen", Richard Wagner

Wie oft hört man: "Aber Sie können doch nicht mehr inszenieren wie Wieland Wagner oder Ponelle oder ...", und dann folgen all die großen Namen der Opernregie. Da eine Begründung nicht mitgeliefert wird, sei die schlichte Gegenfrage erlaubt: "Und warum nicht?"

Warum kann man in ihrer Größe zeitlose Werke nicht zeitlos groß inszenieren? Warum müssen eine Aufführung verkrampft, Ideen dazu an den Haaren herbeigezogen, jeder Vorgang auf der Bühne erklärungsbedürftig sein? Sind das neben zugegebener Unmusikalität oder Wagner- feindschaft die Gütezeichen der heutigen Regieauffassung?

Nun beschleicht einen auch im letzten Refugium großer Inszenierungen, in Bayreuth, das Gefühl, daß auch hier langsam die Luft raus ist, daß hier eine große Ära, die Ära Wolfgang Wagners, zu Ende geht. Mit J. Flimms "Ring" begann es - eine Bühne voller Gerümpel, wie eine einzige große Abstellkammer. Allerdings war noch eine Reihe großer Momente im Bühnenbild und vor allem in der Besetzung eingestreut. Dann kam ein "Holländer", bei dem Wasser und Schiffe fehlten, dafür aber in einem großen Wohnzimmer Dauer-Psychoanalyse mit Spielzeugschiffchen und Puppe stattfand. Und schließlich jetzt Schlingensief`s permanente Gaudiveranstaltung, mit der Parsifalmusik Richard Wagners unterlegt. Von solchen Lächerlichkeiten und Peinlichkeiten blieb der Hügel bis zur Jahrtausendwende verschont. Richard Wagner verlangt wie kein anderer Opernkomponist das Gesamtkunstwerk. Das heißt unter vielem anderen, daß sich Musik und Handlung vollkommen entsprechen. Jede Antiregie zerstört den Zusammenhang.

"Vorweltharmonien" und "nie enden wollende Musik" (Gregor Dellin) sind so mit dem Geschehen auf der Bühne verwoben, mit dem Bühnenbild, mit den Kostümen, daß es "ein Guß" sein muß! Das hat nichts mit moderner, "zeitgemäßer" versus konservativer, "alter" Inszenierung zu tun! Wie die Technik des 21. Jahrhunderts genial einige der schwierigsten Inszenierungsdetails, die Bewegung der Walküren beim Ritt löst, zeigt A. Kirchners genialer Einfall der perpetuum mobile Hydraulik in seinem "Ring". Oder in selbiger Aufführung der begrünte Waberberg, der zum Riesenmonster Fafner mutiert, durch bloße Öffnung dieses Berges zu einem enormen Feuerschlund! Und das Problem "Wie bringt man einen Drachen auf die Bühne ohne daß alle lachen?" war gelöst. Es gibt diesen Unterschied zwischen alt und modern nicht, nur den zwischen guter und schlechter Regie.

Man hat viel gegen die Tannhäuser-Inszenierung Arlauds gehört, vor allem, sie wäre zu vordergründig, zu wenig problematisierend. Zunächst ist das Werk farbig und ästhetisch, also optisch wirksam. Das allein reicht zwar noch nicht, aber es ist schon einmal eine sehr gute Grundlage. Schon lange ist der Opernliebhaber der ewigen Unappetitlichkeiten, der Verherrlichung des Häßlichen, müde, und es kommen die besseren Bilder an. Dabei aber bleibt Arlaud ja nicht stehen. Schaut man beim Sängerkrieg genau hin, sieht man ein gut in Szene gesetztes Schlüsselgeschehen: Die Hin- und Hergerissenheit der höfischen Welt, in erster Linie der Damen, zwischen wohligem Erschauern, erotischer Wissensgier und Ablehnung bei Tannhäusers Venusbergschilderung ist in der Personenregie wirksam herausgearbeitet und folgt gar nicht dem Inszenierungsklischee von einer allgemeinen und bigott-frömmelnden Ablehnung des Minnesängers. Man kann im jeweiligen Geschehen bleiben und dieses problematisieren, man muß nichts an den Haaren herbeiziehen, indem man das ganze in ein Raumschiff, ein Bordell, oder ins Dritte Reich versetzt.

Die Überfrachtung des Geschehens im Parsifal wurde zeitlos gültig von Wieland und Wolfgang Wagner aufgehoben und dadurch eine Entlastung der Musik von der Bühne her erreicht. Die Musik steht im Mittelpunkt, wie sich das gehört. Durch das Hintertürchen führt nun ein Christoph Schlingensief den ganzen kopflastigen Kram wieder ein. Was soll das Durcheinander mit zahllosen Filmüberblendungen, Tieren, und und und?

Das Werk ist - Ausnahme Klingsors Welt - ruhend, statisch angelegt. Wer der Musik folgt, kann gar nicht bei Schlingensiefs Aktionismus landen! Aber genau das ist das Kreuz selbsternannter Regisseure: Sie kümmern sich nicht um das Werk, sondern stellen einzig und allein sich dar - und so muß die Inszenierung danebengehen. Wer stolz verkündet, er wäre eigentlich unmusikalisch oder was Wagner aussagen wollte, kümmere ihn eigentlich wenig - hat auf dem Hügel nichts verloren.

Inwieweit Parsifal christlich-religiös oder heidnisch-blasphemisch ist, beschäftigt die Welt seit der ersten Aufführung. Das ist eine, vielleicht die zentrale Frage des Werks. Hier kann jeder, Regisseur oder Zuschauer, seiner Phantasie freien Lauf lassen, ohne daß das Gesamtkunstwerk gestört würde. Wenn zu lesen war, das Schlingensief eine heidnisch-christliche Interpretation der Oper brachte, so fragt man sich nur "Ja nu, was denn sonst?" Insofern ist also null Originalität ausmachbar. Origineller sind da schon seine Hasen, weil ja im Parsifal nur Schwäne vorkommen. Aber mit diesen beliebigen Tierzulassungen sollte man in Bayreuth vorsichtig sein, "denn was dem einen sin Has, das ist dem andern sin Elefant" - man wagt nicht, sich das auszumalen. Verona ist dafür gebaut - das Bayreuther Festspielhaus nicht!

Parsifal ist das Werk der dunklen Bezüge - es ist geheimnisvoll wie kein anderes Werk des Meisters. Das Raum-Zeitkontinuum ist ein zentrales Thema (über ein halbes Jahrhundert vor Einstein), Mitleid ein anderes, die Erlösung des Erlösers ein drittes. Darum wohl gab es früher überwiegend Halbdunkel auf der Bühne - zuviel Licht tut hier nicht gut. Mit Überblendungen und Aktionismus hat Schlingensief den Charakter des Werkes aufgehoben! Man kann nur noch geschlossenen Auges dasitzen, damit die Musik wenigstens nicht untergeht. Das ist nicht das Bühnenweihfestspiel Richard Wagners, sondern ein Aktionstheaterstück gleichen Namens von Schlingensief, eine Collage, mit der Musik des Meisters.

Und der "Ring"? Im Ring tritt der gesamte Kosmos an: Götter, Halbgötter, Helden, die Ober- und die Unterwelt. Anfang und Ende der Welt und des Himmels, Wasser, Erde und Feuer als die Archetypen der Natur, Gier, Haß, Leidenschaft und Liebe als die Urtriebkräfte des Menschen - das ist das Material, aus dem der Ring geschmiedet ist. Nur wenn es gelingt, diese schreckliche Großartigkeit faßbar zu machen, ohne Moralin, Weinerlichkeit und Hanswurstiaden - dann ist eine Inszenierung gelungen.

Wieland und Wolfgang Wagner, Patrice Chereau und - über weite Strecken - Harry Kupfer haben diesen Anspruch erfüllt - Flimm und sein Bühnenbildner Wonder nicht. Zunächst ist die Überdimensionalität der Figuren verloren gegangen. Sie sind Menschen wie du und ich. Das ermüdet, denn solche Figuren kann man bis zum Überdruß in einschlägigen TV-Serien sehen. Dann wird der Mythos abgebaut. Die Urgewalten von Feuer und Wasser werden zu Randgeschehnissen, dieweilen sie allbestimmend sind. Dabei haben Flimms Inszenierung und Wonders Bühnenbild zweifellos Ansätze zur Großartigkeit: Walhall im Rheingold, dessen Kuppe sich aus kaltblauem Nebel und rotem Feuerschein erhebt, das gleißende Licht der "neuen Zeit", in das die Restmenschheit am Ende allen Geschehens wankt, der amorphe, zu gewaltiger Größe anschwellende Wabbelberg des "Drachens", in dem Fafner wie in einem Panzer sitzt und gegen Siegfried anrennt - das ist großes Theater! Auch die Einführung des virtuellen Zeitalters in Richard Wagners Kosmos gehört hierher: Die Welt der Nibelungen - keine Bergwerks-, sondern Computersklaven, Alberich auf seiner Chefetage mit direktem Börsenzugang, der von hier aus seine Knechte steuert. Die kalte Welt des raffenden Kapitals: Der Hort ist nicht da, um dem Menschen zu dienen, sondern hat nur den Zweck zu wachsen um des Wachstums willen. Trotzdem: wie es ganz ohne Schwert und Speer bei Siegmund und Wotan nicht geht, so auch nicht ohne Gold, das doch herbeigeschafft werden muß. Denn: Fafner und Fasold wollen keine Aktien und Investmentzertifikate.

Gott sei Dank kann man, die Augen schließen wenn es zuviel wird und hat ungestört die vielgerühmte Akustik Bayreuths. Mit dem Dirigenten Thielemann wird sie zum Hochgenuß. Seine Tannhäuserdarbietung knüpfte an die Tradition Knappertsbuschs oder Karajans an: Steigerung bis zur Riesenhaftigkeit! Dazu kam, daß das Ensemble eine geschlossene Sanges- und Spielleistung lieferte, die diese Aufführung zu dem Genuß werden ließ, der früher in Bayreuth die Regel war.

Pierre Boulez hat bereits unter Wieland Wagner dirigiert und ist als Dirigent von Chereaus Ringinszenierung weltbekannt geworden. Seine Auffassung ist bekannt: Lieber scharf umreißen, durchsichtig und verhältnismäßig schnell als gewaltig und ausholend. Das praktiziert er auch im Parsifal. Wagner verträgt dies - so wie er das Endlos-Dirigat eines James Levine im selben Werk vertragen hat. Mystischer Klang wäre mit dieser "Inszenierung" ohnehin unvereinbar. Im "Ring" hat Adam Fischer beträchtlich an Ausdrucksfähigkeit zugelegt. Er dirigiert mit langem Atem, arbeitet die Fülle der Leitmotive gekonnt aus. Leider sind viele der Sänger dem nicht gewachsen. Rheintöchter und Götter kommen gut heraus, die Hauptakteure Siegfried, Brünhilde, Hagen, Alberich weniger.

Zwei großartige Sänger hat Bayreuth in diesem Jahr aufzuweisen: Stephen Gould, als Tannhäuser mit großem Stimmvolumen, Wohlklang und bewegtem Spiel, und Alan Titus, dem derzeitigem Wotan, dessen gewaltiger ruhig strömender Baß drei Aufführungen hindurch unverändert beeindruckte.

Und was erwartet uns in den nächsten Jahren? 2005 inszeniert C. Marthaler "Tristan und Isolde", 2006 gibt es einen neuen "Ring", den Christian Thielemann dirigieren wird. Und für 2007 ist eine Neuinszenierung der "Meistersinger" vorgesehen.

Selbstinszenierung: Bei Christoph Schlingensief ist das Werk Wagners Nebensache. Foto: pa


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