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11.09.04 / Das Geheimnis des Bernsteins

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. September 2004


Das Geheimnis des Bernsteins
von Klaus Weidich

Warm und feucht waren die Steine dort unten am Wasser und fast spiegelglatt geschliffen; geschliffen von der See, die ihnen mit ihrem ewigen Hin und Her keine Ruhe gönnte. Der Rhythmus der Gezeiten gab ihnen Form und Gestalt. Nicht nur den Steinen gab das Wasser Form und Schliff, auch den Menschen in diesem Landstrich, in dem das windzerzauste Nadelgehölz harzigen Gruß ausströmte.

So war es auch in jenem Sommer, als das Glühen weißer Mittagshitze den Steinen schmerzende Tücke verlieh, kaum daß ein nackter Menschenfuß sie zu berühren wagte. Zwei volle Tage und zwei endlos lange Nächte hatte dann der Sturm gewütet, hatte das Wasser gewütet und gekocht. Und es schien, als wären die Naturgewalten plötzlich wie von Sinnen geworden.

Der Sturm, so plötzlich wie er gekommen war, so plötzlich legte er sich auch wieder. Ihm folgte erneut Hitze. An einem dieser Tage war die fremde Frau in das Fischerdorf gekommen.

"Sie ist auf Sommerfrische hier", wisperten die Einheimischen hinter ihr her. "Hier bei uns ...?" fragten einige erstaunt.

"Ach Gott, vielleicht so eine Verrückte aus der großen Stadt, bei denen weiß man ja nie ...!"

Nur die Jungen und die Mädel, voll ungezügelter Neugier und Hunger auf die große Welt, wollten mehr wissen. "Wie heißt sie ... wie heißt sie, die große Stadt, damit wir in der Schule davon berichten können?"

"Mag sein, daß sie aus Königsberg kommt", riefen die Erwachsenen den Kindern zu, "was wissen wir!"

"Aus Königsberg ... aus Königsberg!" schallte es nun dutzendfach aus Kindermund, denn wie könnten Kinderherzen solche Abenteuer stillschweigend ertrage. Endlich war die große, weite Welt ihrem kleinen Fischerdorf ein Stück näher gerückt.

Baldur, der Fischer, sah die Fremde zum ersten Mal in den Abendstunden. Wie sanfter Feuerschein fiel bei dieser Begegnung rötliches Licht auf das Gesicht der Fremden. Und es ließ sich nicht recht unterscheiden, ob die milde Röte von innerer Erregung oder vom glühenden Licht des Abends herrührte. Zugegeben, Baldur, der Fischer, war hochgewachsen, der Mund schmal, aber nicht unschön geschnitten, und sein Haar glich einem reifen Weizenfeld.

Baldur, der Fischer, wußte um sein Aussehen, deshalb blickte er aus leicht spöttischen Augen zu der Fremden herab. Und als dann auch die fremde Frau lächelnd zu ihm aufblickte, da streckte er einfach seinen sehnigen Arm zu ihr herüber. "Ich bin Baldur, der Fischer, wie mich die Leute hier nennen."

"Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen!" lächelte die fremde Frau zurück.

Oftmals nahm Baldur die fremde Frau nun mit hinaus auf das Wasser. Das braune Segel reckte und streck-te sich behäbig in dem sommerlichen Blau, und der dunkle Anstrich der Bootswände versprach Festigkeit und solide Arbeit.

Das Wasser bereitete der Fremden sichtliches Vergnügen. Sie fand ihre Freude daran, wie der dunkel gestrichene Schiffsleib mit scharfem Schnitt die spiegelnde Fläche teilte.

"Du liebst unser großes Wasser, nicht wahr, fremde Frau?" sagte Baldur, der Fischer, eines Tages zu ihr.

Eine Weile blickte die Fremde ein wenig versonnen. Aber nicht lange. "Ja, ich liebe seine unbändige Kraft, seine Beständigkeit flößt mir Ehrfurcht ein. Außerdem verstehe ich die Sprache des Wassers, Baldur. Zum Beispiel dieses lange Gurgeln und Wispern um uns herum, es ist nichts anderes als ein begehrliches Locken. Das Wasser will damit sagen, es fühlt sich einsam und allein, trotz all seines schuppigen Getiers. Es sehnt sich nach jungen, starken Menschenkörpern. Solchen wie dich, Baldur, mit trotzigen Augen und kühngeschwungenem Mund. Das Wasser ruft nach ihnen, Baldur, sie sollen zu ihm, auf seinen modrigen Grund."

Der spöttische Trotz, der noch bis vor kurzem in Baldurs Augen gelegen hatte, war schlagartig gewichen. Blankes Entsetzen sprach aus ihnen. Dafür lächelte nun die Fremde.

"Spottest du nur über das große Wasser, welches uns Nahrung gibt?" fragte Baldur in barschem Ton.

"Nein, Baldur, alles was ich dir gesagt habe, ist mein völliger Ernst." - Baldur, der Fischer, lebte allein mit seiner alten Mutter in einem der kleinsten Häuschen am Ort. Und als er nun zu fast nachtschlafender Zeit zur Tür hinein huschte, gewahrte die Alte gleich seinen Kummer. "Mutter, ich glaube, diese fremde Frau spottet über uns, über das Haff und die See. Ich denke mir, sie hat auch eine fremdartige Seele in ihrem Leibe."

Das Gesicht der Alten nahm kaum eine Regung an. Was sollte sich auch regen an diesem Gesichtchen, dessen Haut wie gesprungenes Leder wirkte. Der schmallippige Mund ließ kaum ein Zucken ahnen. Schließlich aber sprach sie: "Du mußt die Fremde sicherlich falsch verstanden haben, Junge. Niemand würde es wagen, über unser großes Wasser zu spotten, selbst wenn er fern von diesem wohnt. Denn in seiner Allmacht kommt das Wasser gleich nach Gott. Wir kleinen Menschenkinder sind nur wie Tropfen von ihm." Die besonnenen Worte der Alten beruhigten den Sohn. Beide schwiegen nun, hingen den Gedanken nach, die in beiden dieselben Bilder ins Gedächtnis riefen. Bilder aus fernen Tagen, als die See den Mann und Vater und den ältesten Sohn und Bruder wie achtlos zurück auf das Land geworfen hatte. Tangbehangen hatten sie zwischen den Steinen gelegen. Seit jenen Tagen war die schmale Gestalt der Frau mehr denn je zusammengesunken, und ihre Lippen öffneten sich nur noch für das Notwendigste.

Am nächsten Tag war der Spuk jener unbedachten Worte und Deutungen restlos verflogen. Sie zeigten sich nun wieder frohe Gesichter, diese fremde Frau aus der Stadt und Baldur, der Fischer. Irgendwann an einem der folgenden Tage aber reichte die Fremde dem Mann die Hand. "Lebe wohl!" sagte sie zu ihm, "morgen in der Frühe bin ich schon nicht mehr hier."

Mit tiefgesenktem Kopf und in völligem Schweigen betrat Baldur das Haus. Der schmallippige Mund der Alten stellte darum an ihn nur eine einzige Frage. "Ja, Mutter, schon morgen früh fährt sie wieder fort", antwortete der Sohn darauf. Danach schloß er sich in seine Kammer ein, und es blieb in ihr die ganze Nacht über so still, als läge dort ein Leichnam. Da wurde der schmallippige Mund der Alten noch schmaler, er wurde zu einem einzigen klagenden Strich. "So etwas bleibt wohl niemandem erspart", flüsterte sie.

Am nächsten Morgen wallte grauer Dunst behäbig über das Dorf hinweg. "Marie, Marie!" winkte die Alte ein kleines Mädchen heran. "Hier, dieser Apfel ist für dich, und diesen Stein hier, den gibst du der fremden Frau aus der großen Stadt. Stelle dich unten an die Landstraße und halte die Kutsche an, wenn sie an dir vorüberfahren will. Sage der Fremden, dieser Stein ist von Baldur, dem Fischer."

"Ein Stückchen Bernstein und dazu noch ungeschliffen", lispelte die Kleine wie abfällig zwischen ihren fehlenden Vorderzähnen hindurch. Runzlig und braun und unscheinbar lag das Stückchen Bernstein in den Händen des Kindes.

"Ja, ja, und sage der Fremden auch, grade weil dieser Stein noch nicht geschliffen ist, steckt in ihm noch seine ganze Kraft."

Marie, diese Kleine, grinste von einem Mundwinkel zum anderen. Denn das wußten nicht nur die Alten hier, in diesem schmalen Land-strich zwischen dem Wasser, auch die Kleinsten wußten es schon: Im Bernstein steckt Heilkraft für wunde Seelen, wenn die Liebe es gar zu arg mit ihnen treibt! Aber ob die Fremde aus der großen Stadt auch davon wußte?

Nur die kleine Marie gluckste quietschvergnügt und naseweis. Da nützte dann alles nichts, da mußte ihr die Alte mit dem Finger drohen.

Doch bei ihrer Rückkehr, da hatte das Kind vor Stolz über seine eigene Wichtigkeit ein puterrotes Gesichtchen. "Die fremde Frau hat mich geküßt, und ein ganzes Markstück hat sie mir gegeben, alles für diesen ollen Stein."

"Und was hat sie gesagt zu dem Stein?" fragte die Alte ungeduldig.

"Ach, den hat sie sich an ihr Herz gedrückt und ganz komische Augen hat sie dabei bekommen."

Und jetzt, niemand mag es glauben, da füllten sich die schmalen Lippen der Alten wieder mit Leben, nahmen wieder etwas Farbe an. Die Mission der Alten war erfüllt. Und was ihr Herz so klopfen ließ, das war die Freude darüber, daß auch die Fremde um das Geheimnis des Bernsteins wußte und den Sinn des Schenkens somit erkannt hatte.

"Und wenn die Winterstürme vorüber sind, dann will sie wiederkommen, diese Fremde aus Königsberg", rief die kleine Marie dann noch über de Dorfstraße hinweg.

Hans Kallmeyer malte nicht nur Elche auf der Kurischen Nehrung. Das Motiv mit den Kurenkähnen ist als Blatt für den Monat Oktober im neuen Kalender "Ostpreußen und seine Maler" enthalten. Auch für das Jahr 2005 wurden wieder bekannte und weniger bekannte Künstler gefunden, die mit einem typischen Werk in diesem Kalender vertreten sind: Ernst Bischoff-Culm, Richard Birnstengel, Karl Storch d. Ä. oder Maria Schlachta-Samuel, um nur einige zu nennen. Leser der Preußischen Allgemeinen Zeitung können auch dieses Mal wieder den beliebten Begleiter durch das Jahr zu einem besonderen Preis erwerben. Bis zum 30. September gilt der Subskriptionspreis von 18,50 Euro einschließlich Versandkosten (im Buchhandel später 20,50 Euro). Bestellungen bitte direkt an den Schwarze Kunstverlag, Richard-Strauss-Allee 35, 42289 Wuppertal, Fax (02 02) 6 36 31.

 

Osten
von Johannes Bobrowski

Alle meine Träume

gehn über Eben, ziehn

unbetretenen Wäldern

windhell entgegen, kalten

einsamen Strömen, darüber

fernher Rufe schallen

bärtiger Schifffer -

Dort sind alle Gesänge

ohne End, im geringsten

Ding steht Gefahr, vieldeutig, -

nicht zu halten mit dem und

jenem Namen: Gefilde.

Moor, eine Schlucht;

wie Verhängnis

schlägt sie hinab,

bleibt, gemieden, -

dort um die niederen Hügel

fliehn die Pfade davon.

Worte gelten nicht.

Aber ein Streicheln, Grüße,

Blitz unterm dunkelnden Lid

und in der Brust jenes Ziehn;

noch als Umarmungen stärker.

Händler kommen von weit. Die

unter uns wohnen, sind Fremde.

Unsicher gehn sie, fragend,

ziellosen Straßen nach, hängen

Fähren und Brücken immer

an, als wär dort Gewisses -

Wir aber kennen uns leicht.

Unsre Gespräche steigen

alle aus gleichem Grunde.

und im Erwarten ewig

wohnt uns das Herz.

 

Entnommen aus "Der neue Conrady. Das große deutsche Gedichtbuch", Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf und Zürich, 1.307 Seiten, gebunden mit farbigem Schutzumschlag, 49,90 Euro.


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