Die diesjährige Busreise der Kreisgemeinschaft Wehlau in den Heimatkreis, an der 55 Landsleute teilnahmen, führte an zwei Tagen in die Kreisstadt Wehlau beziehungsweise in das, was an Gebäuden der bis 1945 dort lebenden 8.500 Einwohner übriggeblieben ist.

Bereits von der alten Reichsstraße 1, die jetzt streckenweise als eine Art Autobahn oder Rollbahn ausgebaut worden ist, grüßt die Reisenden der Turm der Wehlauer Kirche. Wenn man über die gut renovierte "Lange Brücke" in den Ort hinein fährt, erkennt man, daß die Turmspitze doch nicht völlig mit dem historischen Bild übereinstimmt.

Im Frühjahr 1995, nachdem die Kirchenruine, die angeblich fünf Sprengversuchen der Sowjetarmee widerstanden hatte, im Auftrag der Kreisgemeinschaft innen und außen von den bis zu zweieinhalb Meter hohen Schuttbergen geräumt worden war, wurde auf dem übrig gebliebenen Turmstumpf eine Stahlkonstruktion per Hubschrauber gesetzt, die in Königsberg hergestellt und herangeflogen worden war. Das Oberteil dieser Konstruktion, die Haube, wurde anschließend mit einfachen dünnen Schalbrettern verkleidet und mit Zinkblech beschlagen, das braun angestrichen wurde. Inzwischen sind durch Winterstürme einige Blechplatten abgerissen worden, die dringend ersetzt werden müssen.

Die Reisenden betraten nach Öffnung des starken Schlosses der Kirchenpforte den Innenraum dieses ehemals dreischiffigen ehrwürdigen Sakralbaues. Auch ohne Dach und die eingestürzten Kreuzgewölbe beeindrucken die hohen Außenmauern und die starken achteckigen Säulen, die die beiden Seitenschiffe der ab 1360 entstandenen Kirche von dem weiten Mittelschiff trennen. Beim Deutschen Zentrum für Handwerk und Denkmalpflege, Propstei Johannisberg, Fulda e.V. (ZHD Fulda), dem Auftragnehmer der Kreisgemeinschaft ab 1994, hatte sie auch die nötige Abdichtung der Mauerkronen in Auftrag gegeben. Dafür wurden von der bauausführenden Königsberger Firma Odinzow Betonwegeplatten verwendet, von denen etliche bereits nach kurzer Zeit herabgefallen waren. Protest und Reklamationen der Kreisgemeinschaft führten zu nichts. Bald danach mußte das ZHD Fulda Insolvenz anmelden. Der Wehlauer Kreistag hat inzwischen beschlossen, daß Bausachverständige begutachten sollen, welche Sanierungsarbeiten zum Erhalt der Ruine, die das zentrale Denkmal für die ungezählten Generationen unserer Vorfahren in dem Land sein soll, am vordringlichsten sind.

Freudig überrascht waren die Reisenden, als sie zwei Tage später wieder nach Wehlau kamen und in die Kirche wollten. Die Pforte war offen und im Inneren war eine Gruppe von russischen Schülern dabei, das hohe Unkraut auszureißen und nach außen zu schaffen. Die Leiterin dieser Gruppe, die sich Bottkowa (Hufeisen) nennt, ist Natalia Kurassowa, Geschichtslehrerin an der Wehlauer Schule. Sie berichtete, daß die Gruppe ein eingetragener Verein sei, der vor knapp fünf Jahren gegründet worden sei und etwa 40 freiwillige aktive Jugendliche umfasse. Ziel sei es, diese Mitglieder zu verantwortungsbewußten, selbständig denkenden Menschen zu erziehen, die hohe Achtung vor dem Gemeinwesen und dem Boden haben sollen, auf dem sie leben. Mit der Gemeindeverwaltung sei vereinbart worden, daß zur Unterstützung des Ferienaufenthalts an der Ostsee ein geringer Zuschuß gegeben werde. Als Gegenleistung hätten sich die jungen Menschen verpflichtet, für Sauberkeit in der Gemeinde zu sorgen, soweit sie dazu in der Lage seien. So werde auch bereits seit fünf Jahren das Unkraut aus der Ruine entfernt. Die Reisegruppe war beeindruckt und bedankte sich durch einen Beitrag für die Ferienkasse. J. R.