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25.09.04 / Kohls teure Fehler

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. September 2004


Gedanken zur Zeit:
Kohls teure Fehler
von Wilfried Böhm

Das Wahldebakel der CDU in Sachsen und Brandenburg ist nicht zuletzt die späte Folge der gravierenden Fehler, die während und nach der Revolution der Deutschen zwischen Thüringer Wald und Rügen vom Westen Deutschlands aus gemacht worden sind.

Altkanzler Helmut Kohl selbst räumte bei einer Wahlkampfveranstaltung im brandenburgischen Strausberg einige dieser Fehler und Fehleinschätzungen ein. So habe er angenommen, die großen DDR-Betriebe seien noch vier bis fünf Jahre "am Leben zu erhalten". Aber die Manager der westdeutschen Großunternehmen hätten die 17 Millionen Einwohner "lediglich als Ab-satzmarkt betrachtet und seien nicht an Investitionen interessiert gewesen und daran, die DDR-Produktion zu forcieren". Der Fehler von Kohl war es dabei ganz offensichtlich, von börsenfixierten Managern deutscher Großunternehmen Patriotismus zu erwarten.

Ein weiterer Fehler von Kohl war seine bis tief in das Jahr 1989 hinein reichende Überzeugung, die Wiedervereinigung "stehe nicht auf der Tagesordnung der Weltpolitik", wie stereotyp seine Antwort auf alle Fragen, Hinweise und Mahnungen lautete, die auf die staatliche Einheit Deutschlands zielten.

Kohl war auch in dieser Zeit vollkommen auf die Europäische Gemeinschaft und deren Entwicklung fixiert. Er wußte sehr wohl, daß die westlichen Verbündeten trotz ihrer anderslautenden Verpflichtungen an einem Staat mit 80 Millionen Deutschen im Herzen Europas nicht interessiert waren und eine solche Zielsetzung eher hintertreiben als vertragsgemäß fördern würden, ausgenommen die USA, die sich die Option einer "partnership in leadership" offenhielten. Bonner Initiativen in Richtung Wiedervereinigung paßten nicht in diese "politische Landschaft". Wenn angesichts solcher Perspektiven die deutsche Einheit jemals kommen würde, dann nur im Rahmen eines in ferner Zukunft liegenden "gesamteuropäischen Zusammenwachsens".

Darum war die Beschäftigung mit der Lage und den Empfindungen der Menschen in der DDR nicht Angelegenheit des politischen Tagesgeschäfts, so daß das Wissen darüber mehr als nur gering war. Deutschland, das war die BRD. Ganz anders bei den Menschen zwischen Rügen und dem Thüringer Wald, die Abend für Abend per Fernsehen in den Westen "auswanderten", nachdem die Mauer die Flucht unmöglich gemacht hatte. Aus diesem Denken und Verhalten im Westen erklärt sich der nächste Fehler, der gemacht wurde, als 1989 die Deutschen in der DDR aus ihrem "Wir sind das Volk" konsequent das "Wir sind ein Volk" machten und damit die staatliche Einheit erzwangen. Nun sollte nach Bonner Willen beides gleichzeitig geschultert werden: die überraschende deutsche und die beabsichtigte europäische Einheit. Beide für sich schon verlangten einen geradezu überdimensionalen finanziellen Aufwand.

Mit dieser doppelten Aufgabe war der Westen Deutschlands vollkommen überfordert. Das Richtige wäre nun gewesen, für die Zahlungen an die EU ein Moratorium zu erwirken, das nach den Verträgen möglich und für die europäische Zukunft vernünftig gewesen wäre. Stattdessen hat das vereinigte Deutschland von 1990 bis 2002 Nettozahlungen von 278,9 Milliarden DM an die EU erbracht. Gleichzeitig beliefen sich die "Sonderleistungen für den Osten" seit 1990 nach Angaben des für den Aufbau-Ost zuständigen Bundesministers Stolpe (SPD) auf rund 420 Milliarden DM, wobei andere Berechnungen von weit höheren Zahlen ausgehen. Fest steht jedenfalls: In dieser Zeit höchster finanzieller Anspannungen im eigenen Land hätte Deutschland nicht Nettoleistungen für die EU erbringen, sondern finanzielle Unterstützung von den Freunden der EU erhalten müssen. Das war ein Fehler von riesiger Dimension, den Deutschland heute mit Millionen von Arbeitslosen bezahlt.

Ein weiterer Fehler im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Einheit war der skandalöse Umgang mit dem Menschenrecht der Eigentumsgarantie im Bezug auf die sogenannte Bodenreform in der SBZ. Die faktisch verhinderte Rückkehr zahlreicher sogenannter Alteigentümer in Wirtschaft und Landwirtschaft verhinderte oder er- schwerte deren Beitrag zu Initialzündungen des Aufbaus.

Schließlich war die Fortsetzung der SED, gestützt auf ihre überkommene wirtschaftliche Basis und unter anderem Namen (PDS), ein Fehler, dessen Folgen in der politischen Landschaft Deutschlands mehr und mehr sichtbar werden. Den ehemaligen Mitgliedern der SED hätte andere Formen politischer Mitarbeit offenstehen und angeboten werden müssen als die der Fortsetzung ihrer Kaderpartei, in der viele von ihnen aus reinen Nützlichkeitserwägungen und nicht aus politischer Überzeugung "mitgemacht" haben. In diesem Zusammenhang stelle man sich einmal vor, nicht die DDR wäre der Bundesrepublik beigetreten, sondern umgekehrt, das heißt, die Mauer wäre an die westliche Grenze verlegt worden. In einer "gesamtdeutschen DDR" hätten die SED, ihre Stasi und ihre Kampfgruppen vom "Kapitalismus und seinem politischen Herrschaftssystem" gewiß nichts übrig gelassen.

Bei der Diskussion über gemachte Fehler meinte Kohl in Strausberg nach einem Bericht der Welt einschränkend: "Ganz blöd waren wir aber nicht. Ich auch nicht." Doch dann fuhr er fort: "Wenn Sie ganz blöd sind, können sie sich nicht 16 Jahre im Amt halten". Auch für 25 Jahre CDU-Vorsitz brauche man "eine gewissen Grundausstattung." Immerhin: Fehler machen und sich trotzdem im Amt halten, ist auch eine politische Leistung.


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