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02.10.04 / Enteignet für die deutsche Einheit? / Die Opfer der Bodenreform in der SBZ können nun auf ein günstiges Urteil in Straßburg hoffen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Oktober 2004


Enteignet für die deutsche Einheit?
Die Opfer der Bodenreform in der SBZ können nun auf ein günstiges Urteil in Straßburg hoffen
von Hans-Jürgen Mahlitz

Enteignet für die Einheit? - Unter diesem bewußt provokanten Titel brachte die ARD kürzlich eine Dokumentation, die im SWR für den Tag der Einheit noch einmal ins Programm gestellt wurde. Enteignet für die Einheit? - Diese Frage spielte auch die zentrale Rolle in einem Gerichtsverfahren wenige Tage vor dem Tag der Einheit: Am 22. September beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg in mehrstündiger Verhandlung mit der Frage, ob die zwischen 1945 und 1949 in der damaligen sowjetischen Besatzungszone (SBZ) enteigneten Grundbesitzer und Unternehmer Anspruch auf Rückgabe oder Entschädigung haben. Die Bundesregierung - sowohl die jetzige rot-grüne als auch deren vom "Kanzler der Einheit" geführte Vorgängerin - hat solche Ansprüche stets abgelehnt und damit auch bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe obsiegt.

Dennoch sind die Anwälte der Kläger nach der mündlichen Anhörung in Straßburg recht optimistisch, was das im Januar zu erwartende Urteil angeht. Sylvia von Maltzahn und Dr. Thomas Gertner gewannen in der Verhandlung den Eindruck, daß "die Große Kammer des Menschenrechtsgerichtshofs offen gegenüber der Argumentation der Beschwerdeführer eingestellt ist und das Problem der Kläger sehr ernst nimmt".

Hingegen haben die Anwälte der Bundesregierung, Jochen Frowein und Richard Motsch, nur Altbekanntes vorgetragen. Insbesondere argumentierten sie damit, bei den Enteignungen habe es sich lediglich um einen "rein administrativen Akt" gehandelt - was aus Sicht der überlebenden Betroffenen eine ziemlich Unverschämtheit darstellt.

In Wahrheit nämlich waren die Opfer auf höchst menschenunwürdige Weise aus ihren Häusern, Höfen und Betrieben verjagt worden. Oft hatten sie nur zwei Stunden Zeit, das Nötigste mitzunehmen. Tausende durften sich nicht einmal fern der Heimat eine neue Bleibe suchen, sondern landeten in Gefängnissen und Straflagern, oft auch in Konzentrationslagern, die kurz zuvor noch von den Nationalsozialisten genutzt worden waren. In Sachsenhausen zum Beispiel ließen die Kommunisten Fürst Putbus systematisch verhungern - ein trauriges Beispiel von vielen.

Wie viele Menschen insgesamt diese brutalen und unmenschlichen Zwangsmaßnahmen sogar mit dem Leben bezahlten, ist nicht bekannt. Wohl aber weiß man heute, daß die früher genannte Zahl von insgesamt 18.000 Enteignungsfällen weit untertrieben ist. Sie stammt aus einem DDR-Weißbuch von 1953 und diente erkennbar der Verharmlosung. Seriöse Quellen gehen heute von 635.000 betroffenen Familien aus. Unter den Enteignungsopfern waren etwa ein Drittel landwirtschaftliche Grundbesitzer - als "Junker" diffamiert - und zwei Drittel überwiegend mittelständische Betriebsinhaber aus Handwerk, Handel und Gewerbe.

Nach der Wiedervereinigung setzten die Betroffenen darauf, unter nunmehr rechtsstaatlichen Bedingungen ihr Eigentum zurückzubekommen (soweit sich dies in Staatsbesitz befand), zumindest aber angemessen entschädigt zu werden. Aber weit gefehlt: Die Bundesregierung behauptete, Moskau habe ein sogenanntes Restitutionsverbot zur Vorbedingung der deutschen Einheit gemacht. Diese Version, mit der man sich sogar vor das BVG wagte, wird inzwischen vom damaligen Sowjetpräsidenten Gorbatschow bestritten; Ex-Kanzler Kohl rückte ebenfalls davon ab, während sein Mitstreiter Schäuble sich damit begnügt, sich über die zweifach Enteigneten lustig zu machen.

Spätestens seit die Politologin Constanze Paffrath ihre Doktorarbeit zu diesem Thema vorgelegt hat (die PAZ berichtete am 20. September 2003 als erste Zeitung ausführlich darüber), ist die Bundesregierung als Lügnerin und Hehlerin entlarvt. Die junge Wissenschaftlerin hat vier Jahre an der Dissertation gearbeitet und bekam dafür das Prädikat "summa cum laude". In einem Gespräch mit dem Autor wies sie darauf hin, daß sie bei ihrer Arbeit nur vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff unterstützt wurde; alle anderen CDU-Spitzenpolitiker seien entweder uninteressiert gewesen oder hätten sich direkt gegen sie gestellt.

Die Opferanwälte, die jetzt in Straßburg die Klage vertraten, empfanden die Arbeit von Frau Paffrath als äußerst hilfreich für ihre Argumentation. Auch die Regierungsvertreter zeigten sich beeindruckt und brachten ihr "Moskauer Märchen" gar nicht erst vor. Sie versuchten, den Menschenrechtsgerichtshof für unzuständig zu erklären, da die Enteignungen vor Inkraftreten der Europäischen Menschenrechtskonvention geschehen seien. Außerdem habe es sich um "rein administrative" Vermögenszugriffe gehandelt, deren "einziger Makel die Entschädigungslosigkeit" sei; zudem sei "mit der Verdrängung der Eigentümer der Eigentumsentzug abgeschlossen" gewesen. Soweit die abenteuerliche Argumentation der Regierung des Rechtstaates Deutschland.

Auf einer Versammlung der Kläger und ihrer Anwälte, an der auch Frau Paffrath teilnahm, wurde ausführlich darüber diskutiert, was die Regierung Kohl bewogen haben könnte, in dieser Angelegenheit zum Mittel der Lüge und Hehlerei zu greifen. Einhellige Meinung: Kohl brauchte die Wiedervereinigung, um sich als "Kanzler der Einheit" im Amt halten und sein weitergehendes Ziel, die europäische Vereinigung, verwirklichen zu können. Hinzu kam, daß man sich bei den Kosten gründlich verrechnet hatte; Finanzminister Waigel glaubte damals allen Ernstes, er könne die Reparaturkosten von vier Jahrzehnten SED-Sozialismus aus der Portokasse zahlen. Und diese "Portokasse" wollte er auf bequeme Weise aus dem Verkaufserlös der widerrechtlich aus DDR-Besitz übernommenen Ländereien der 1945/49 schon einmal Enteigneten füllen. Solches Vorgehen bezeichnet man, sofern es sich nicht um "hohe Politik" handelt, schlicht und einfach als Hehlerei.

Erstaunlicherweise konnte sich die Lüge vom sowjetischen Entschädigungsverbot über ein Jahrzehnt lang in Deutschland halten. Constanze Paffrath führt dies auf ein nachlassendes Empfinden für Gerechtigkeit in der politischen Klasse, aber darüber hinaus in immer breiteren Teilen der Bevölkerung zurück. Dies habe sich bei Teilen der Unionsführung zu reiner Macht- und Geldgier zugespitzt.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang auch die regierungsfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Da fragte sich während des Berliner Opfertreffens mancher Teilnehmer, ob es wirklich nur Zufall war, daß der BVG-Präsident zur Zeit des ersten Urteils später vom Bundesfinanzminister und zeitweiligen CSU-Vorsitzenden als Kandidat für das Bundespräsidentenamt hervorgezaubert wurde, nachdem man den als zu konservativ empfundenen Steffen Heitmann abserviert hatte.

Organisiert wurde das Berliner Opfer-Treffen mit immerhin rund 400 Teilnehmern von der "Allianz für den Rechtsstaat" ("Göttinger Kreis"), deren Sprecherin Beatrix Herzogin von Oldenburg sich vehement für eine gerechte Behandlung der Enteignungsopfer einsetzt. Vielleicht ja mit Erfolg - schließlich ist Straßburg weit genug weg von Karlsruhe.

Die letzte Instanz: In diesem Gebäude in Straßburg sitzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Große Kammer jetzt abschließend über Rückgabe- und Entschädigungsklagen von Opfern der sogenannten Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 zu entscheiden hat. Foto: Becker & Bredel


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