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02.10.04 / Vorbild Preußen: Arbeitsmarkt gestern und heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Oktober 2004


Vorbild Preußen: Arbeitsmarkt gestern und heute
von Ehrhardt Bödecker

Handel und Industrie sind die wichtigsten Quellen des Wohlstandes. Mit der Industrie hängt der Arbeiterstand zusammen. Ihn leistungsfähig zu erhalten ist unsere Pflicht. Wir müssen exportieren: Entweder wir exportieren Maschinen oder wir exportieren Menschen. Mit dieser steigenden Bevölkerung sind wir ohne eine gleichmäßig wachsende Industrie nicht in der Lage, weiter zu leben." Dieser Ausschnitt aus einer Rede des Reichskanzlers Graf Leo von Caprivi vor dem Deutschen Reichstag am 10. Dezember 1891 kennzeichnet das brennendste Problem des Deutschen Reiches, das durch Geburtenüberschüsse einen dramatischen Bevölkerungszuwachs von jährlich 600.000 Menschen erlebte. Als Folge der unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Lande drängte die junge Landbevölkerung in die industrialisierten Städte.

Nach der Erfindung der Dampfmaschine im Jahre 1770 hatte Anfang des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung in England begonnen. Es war die größte technische Revolution in der Menschheitsgeschichte. Um im Jahre 1834 in Petersburg die Alexandersäule mit einem Gewicht von 876.000 Kilogramm zu errichten, waren 681 Arbeiter, 1.950 Soldaten, 62 Winden, 186 Flaschenzüge und mehr als 100 Pferde erforderlich. Nur wenige Jahre später wurden die Eisenkästen der Britanniabrücke in England mit Gewichten von jeweils 1.900.000 Kilogramm nur von einer Dampfmaschine und drei hydraulischen Pressen aufgezogen. Dramatische Veränderungen im menschlichen Zusammenleben waren die Folge. Die Industrialisierung schwappte auf den europäischen Kontinent über. Der im württembergischen Reutlingen geborene Professor Friedrich List ahnte die kommende Entwicklung und forderte schon im Jahre 1819: "Die wachsende Macht Amerikas und die Vergrößerungssucht Rußlands gebieten einen einheitlichen Wirtschaftsraum in Deutschland und in Europa." In Frankreich hatte Alexis de Tocqueville ähnliche Forderungen erhoben und Henri Richelot trat 1845 als einer unter vielen anderen Franzosen für einen machtvollen Bund zwischen Frankreich und Deutschland ein. Ein solcher Bund läge im wirtschaftlichen und politischen Interesse beider Länder.

Überlieferung und Geschichte sind der Untergrund der Marktwirtschaft. Die Menschen müssen, so Wilhelm Röpke (1899 bis 1966; gilt als einer der Väter der Sozialen Marktwirtschaft), unter Bedingungen aufwachsen, die feste sittliche Normen begünstigten. Dazu gehörten Arbeitsfleiß, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairneß, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn und die Achtung vor der Menschenwürde des anderen. Es seien feste sittliche Normen, die die Menschen bereits mitbringen müßten, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen wollen.

Eine der spürbarsten Auswirkungen der Industrialisierung war die Entstehung des Arbeitsmarktes. Arbeit stellt einen wichtigen Faktor der Wirtschaft dar. Weitere Faktoren sind unternehmerisches Eigenkapital, Standort, Bildung, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen. In der modernen Terminologie spricht man von den staatlichen Rahmenbedingungen einer Wirtschaft, wozu Regierung, Verwaltung, Gesetze, Steuern und Abgaben, Straßen, Schienen, Häfen sowie weitere Infrastruktureinrichtungen gehören. Um diese Faktoren der Wirtschaft zu koordinieren, kommt dem Staat eine wichtige verbindende Aufgabe zu. Der Staat ist unentbehrlich. Freiheit und Erfolg der Wirtschaft sind das Spiegelbild des Staates und umgekehrt ist der Staat das Spiegelbild von Freiheit und Wirtschaft. Hinsichtlich dieser gegenseitigen Bezogenheit besteht unter allen Richtungen der Wirtschaftswissenschaften heute kein Streit mehr. Allerdings fällt es ideologisch belasteten Historikern und Politikern schwer, diese Regel auch auf die Regierung des Deutschen Kaiserreichs (1871-1918) anzuwenden. Hier nimmt man Zuflucht zu einem Taschenspielertrick, indem man die außergewöhnlichen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen Deutschlands nicht auf den Staat, auf seine Tradition und seinen Einfluß zurückführt, sondern den Staat und seine Verwaltung von dem Erfolg der Wirtschaft trennt. Der Oberguru der marxistischen Geschichtsschreibung, Professor Hans Ulrich Wehler, meinte: "Regierung, Wirtschaft und Kultur sind eigenständige Dimensionen und daher nicht voneinander ableitbar". Der preußisch-deutsche Staat sei unmodern, rückwärtsgewandt, von einer Adelsclique beherrscht, militärisiert und autoritär verformt gewesen. Angesichts der erstaunlichen Leistungen Deutschlands auf nahezu allen Gebieten gehört schon eine gehörige Portion geistiger Beschränktheit dazu, um dieser marxistischen Unlogik folgen zu können. Daß so viele Menschen diesem Geschwätz Glauben schenken, hängt mit der Manipulierbarkeit menschlicher Überzeugungen zusammen. Auf dieses Phänomen der Manipulierbarkeit des Denkens durch ständige Wiederholung von falschen oder unbegründeten Behauptungen hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts der berühmte französische Arzt Gustave de Bon in seiner Abhandlung über die Psychologie der Massen hingewiesen. Seine Ausführungen haben bis zum heutige Tage nichts von ihrer Gültigkeit und Bedeutung verloren. Bildung und Intelligenz eines Menschen schützen ihn leider nicht vor seiner Manipulierbarkeit.

Es ist festzuhalten: Die internationale Wissenschaft erkennt mehr und mehr an, daß das deutsche Kaiserreich die modernste und fortschrittlichste Wirtschafts- und Sozialverfassung des 19. und 20. Jahrhunderts besaß.

Auch der Arbeitsmarkt unterliegt der politischen Manipulation. Begriffe wie soziale Gerechtigkeit, Ausbeutung, Demokratisierung der Betriebe, soziale Unausgewogenheit oder sozialer Frieden sind Waffen, mit denen in der politischen Auseinandersetzung der Gegner niedergestreckt wird. Die kleine Verkäuferin und der bedauernswerte Postbote müssen dafür herhalten, Neidgefühle zu erzeugen, die ebenfalls als Instrumentarium dienen, um eine sachliche Auseinandersetzung zu verhindern. Konfusion und Illusionen über die Wirtschaft werden auch durch wissenschaftliche Theorien und Modelle hervorgerufen. Die meisten von ihnen sind in der Versenkung verschwunden, wo sie Tonnen von Papier hinterlassen haben.

Als Ludwig Erhard die Marktwirtschaft einführte, standen ihm zahlreiche Kritiker entgegen. Wirtschaftstheoretiker, Sozialdemo- kraten, Gewerkschaften und der linke Flügel der CDU prophezeiten Armut, Elend, Massenarbeitslosigkeit und die grauenvollsten sozialen Zustände. Großbritannien und Frankreich, die sich damals für den sozialistischen Weg entschlossen hatten, wunderten sich, daß Deutschland als besiegtes Land schon nach knapp zehn Jahren zum reichsten Land Europas aufgestiegen war.

Welche Voraussetzungen, fragen wir uns nun, müssen in einem industrialisierten Land für einen gesunden Arbeitsmarkt vorliegen, daß heißt für eine geringe Arbeitslosigkeit? Die Antwort ist ganz einfach: Arbeitslosigkeit entsteht, wenn die Arbeitskosten zu hoch und die Unternehmensgewinne zu niedrig sind.

Auf allen Märkten sinkt die Nachfrage nach Gütern, wenn die Preise steigen. Für Arbeit gilt das gleiche. Steigen die Löhne, sinkt die Nachfrage nach Arbeitskräften und die Schwarzarbeit nimmt zu. Sinkenden Löhnen wiederum folgt eine steigende Beschäftigung. Nur wenn die Löhne "marktgerecht" sind, entsteht mehr Beschäftigung. Sind die Arbeitskosten zu hoch, investieren die Unternehmer nur noch, um zu rationalisieren und die Zahl ihrer Beschäftigten abbauen zu können. Die Forderung der Gewerkschaften nach kürzerer Arbeitszeit bei gleichem Lohn verteuert die Arbeitskosten und produziert höhere Arbeitslosigkeit. Schlußfolgerung: Wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland abgebaut werden soll, müssen Gewerkschaften und Sozialpolitiker die Perversion ihres Denkens verändern. Für die Steigerung des Wohlstandes muß nicht weniger, sondern wieder mehr gearbeitet werden.

Die preußischen Könige waren keine Theoretiker, sondern Pragmatiker. Der 34jährige König Friedrich Wilhelm I. sagte im Jahre 1722: "Die Bevölkerung ist der Reichtum eines Landes. Eine Regierung hat nicht zu faulenzen, sondern zu arbeiten und die Länder wohl zu regieren. Wirtschaft und Fabriken sind der Nerv aller Staatsangelegenheiten. Sie müssen daher unterstützt werden. Alles, was eine Regierung kauft, muß richtig bezahlt werden. Macht keine Schulden und gebt nicht mehr aus als ihr einnehmt. Dann werden die Provinzen florieren und sich die Finanzen wohl befinden."

Und sein Sohn, der spätere Friedrich der Große, meinte in seinem politischen Testament 40 Jahre später:

"Eine Regierung muß sparsam sein, weil das Geld, das sie erhält, aus dem Blut und Schweiß des Volkes stammt. Nur die Völker sind glücklich, die unter der Herrschaft einer Regierung leben, die ihre Finanzen gut geregelt hat.

Die Hirten scheren ihre Schafe, aber sie ziehen ihnen nicht die Haut ab. Es ist nicht gerecht, wenn der Bürger die Hälfte seines jährlichen Einkommens mit dem Staat teilen muß. Bauer, Bürger und Edelmann müssen in einem gut verwalteten Staat den größten Teil ihrer Einkünfte selbst genießen können."

Auch wenn diese Sätze für viele Theoretiker zu einfach klingen mögen, sie sind für eine wachsende Wirtschaft noch heute richtig. Um diese Einsichten zu verstehen, ist kein Wirtschaftsstudium erforderlich, sondern nur gesunder Menschenverstand.

"Unternehmer müssen in einem gutverwalteten Staat über den größten Teil ihrer Einkünfte selbst verfü gen können". Nur dann bleiben ihnen aus dem Gewinn genügend eigene Mittel zur Verfügung für die Investitionen, die zur Schaffung von Arbeitsplätzen erforderlich sind. Wegen der hohen Steuerbelastung und der hohen Arbeitskosten leiden die deutschen Mittelbetriebe seit 30 Jahren an einem eklatanten Mangel an Eigenkapital. Kein Unternehmer wird bei einer schwierigen Wirtschaftslage zur Expansion und Schaffung von Arbeitsplätzen seinen Betrieb weiter verschulden. Anders sieht die Sache aus, wenn er die Investitionen aus seinem Gewinn finanzieren kann. Dann ließe sich das Risiko für ihn besser einschätzen.

Wie sah die Arbeitswelt in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg aus? Mit einer Arbeitslosenquote von durchschnittlich ein bis zwei Prozent während eines Zeit-raums von 43 Jahren nahm Deutschland eine Sonderstellung in Europa ein. In Frankreich und in England betrug die Arbeitslosigkeit zwischen sechs und zehn Prozent, sie war daher mindestens sechsmal so hoch wie in Deutschland. Die steuerliche Belastung jedes einzelnen Bürgers lag in Deutschland am allerniedrigsten. Sie betrug zwischen vier und sechs Prozent des Einkommens, nur bei sehr hohem Einkommen stieg sie auf zwölf bis 13 Prozent. Diese verhältnismäßig geringe Steuer war die Ursache für die geringe Arbeitslosigkeit. Der Staatsanteil betrug damals 14 Prozent, heute beträgt er 50 Prozent! Und die Ursache für die geringen Steuersätze waren die niedrigen Staatskosten. Deutschland wurde von nur 420.000 Beamten verwaltet und regiert, davon hatten ganze 320 Beamte den Dienstgrad eines Ministerialrats oder darüber.

Die Bundesrepublik Deutschland dagegen wird von über vier Millionen öffentlich Bediensteten regiert und verwaltet, hierbei rechnen über 800.000 Bedienstete zum Höheren Dienst. Hinzu kommen die Angehörigen der Europäischen Union, die Abgeordneten im Europäischen Parlament, im Bundestag und in den Ländern, die Parteien, Parteistiftungen, Gewerkschaften, Sondereinrichtungen und Subventionen, insgesamt ein riesiger kostspieliger Wasserkopf. Als ob es nicht genug öffentlich Bedienstete in höchsten Rängen gäbe, werden noch zusätzlich teure Kommissionen beschäftigt, die die fehlende Qualifikation der Ministerialbürokratie und ihrer Mitarbeiter ersetzen müssen. Es gibt in Deutschland neben dem Bundessozialministerium noch 16 Sozialministerien in den Ländern. Diese Ministerien sind mit Ministern, Staatssekretären und Fachbeamten mehr als reichlich ausgestattet. Warum können diese nicht die Gesetze für Beitragshöhe und Rentenhöhe selbst errechnen? Wozu braucht der Kanzler noch Kommissionen und Berater?

Marktwirtschaft sollte Unternehmerwirtschaft heißen. Damit würde die für die Volkswirtschaft so eminent wichtige Rolle des Unternehmers als Arbeitgeber deutlich. Vielleicht würde dadurch auch die politische Diffamierung des Unternehmers aufhören. Nach Einführung der Marktwirtschaft im Jahre 1949 machte sich schon bald der Machtanspruch der Gewerkschaften geltend. In göttlicher Einigkeit beschlossen die Parteifunktionäre nahezu aller Parteien das Mitbestimmungsgesetz. Von da ab saßen die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen nicht nur auf der Seite der Arbeitnehmer, sondern auch auf der Seite der Arbeitgeber. Die Vorstände der Aktiengesellschaften hingen in ihrer persönlichen Existenz von den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat ab. Dieser programmierte Interessenkonflikt hat in den Boomjahren der Wirtschaft nicht geschadet. Doch heute behindert er die unternehmerische Unabhängigkeit, die für den Erfolg einer Wirtschaft so eminent wichtig ist.

Ein noch gravierenderes Behinderungsgesetz für Unternehmer ist das Betriebsverfassungsgesetz. 260.000 Betriebsräte in den deutschen Unternehmen haben nur eine Aufgabe, den Unternehmer zu behindern, ihm die Flügel zu beschneiden. Viele seiner Einfälle kann der Unternehmer in Deutschland nur nach zähen und ermüdenden Dis-kussionen mit intellektuell häufig überforderten Betriebsräten umsetzen. Dieses Gesetz ist nicht nur eine Benachteiligung deutscher Unternehmer im internationalen Wettbewerb, sondern auch ein wichtiger Kostenfaktor innerhalb der Betriebe. Viele Betriebsräte sind vernünftig, aber andere agieren selbstherrlich ohne Rücksicht auf die Interessen des Unternehmens.

Eine weitere Behinderung der Unternehmer erfolgt durch den gesetzlichen und richterlichen Kündigungsschutz, der im internationalen Wettbewerb ebenfalls einen erheblichen Nachteil für deutsche Unternehmer darstellt.

Ein weiterer Grund für unsere hohe Arbeitslosigkeit liegt darin, daß die Gewerkschaften in den letzten Jahren durchgesetzt haben, die Löhne über den Produktivitätsfortschritt hinaus zu steigern. Es gehört zu den ehernen Wirtschaftgesetzen, daß die Vorteile der Produktivitätssteigerung mindestens zur Hälfte den Unternehmen zustehen müssen, um Spielraum für weitere Investitionen zu schaffen. Dieses Gesetz wurde im Deutschen Kaiserreich über 43 Jahre lang befolgt. Es ist die Zauberformel für eine Wirtschaft, die wachsen und damit neue Arbeitsplätze schaffen soll. Wenn sich Gewerkschaften und Unternehmer hiergegen versündigen, wie es in den zurückliegenden Jahren der Fall gewesen ist, werden die Arbeitskosten zu hoch und die Wirtschaft kommt ins Stocken, Arbeitslosigkeit ist die Folge.

Natürlich gehören zu jedem Tarifvertrag zwei Unterschriften. Doch den Unternehmen bleibt manchmal keine andere Wahl, als den Forderungen der Gewerkschaften zu entsprechen, um weitere Schäden von ihren Unternehmen abzuhalten. In einer schwierigen wirtschaftlichen Lage umgeht der Unternehmer soweit wie möglich Streiks, um Arbeitsausfälle und Lieferungsengpässe zu vermeiden. Als vor nicht allzu langer Zeit der oberste Gewerkschaftsfunktionär in Deutschland unmittelbar neben dem Bundeskanzler stand und erklärte, die Gewerkschaften würden mit den geplanten oder bereits in Kraft getretenen Reformgesetzen nicht einverstanden sein und dagegen mobil machen, habe ich mich erschrocken. Gesetzgebung soll nicht mehr im Parlament stattfinden, sondern bei den Gewerkschaften. Und was noch erschreckender war, hierauf erfolgte kein Aufschrei in den Medien.

Der große französische Rechtsdenker Charles de Montesquieu (1689-1755) definierte den Rechtsstaat, indem er die Trennung der drei staatlichen Gewalten: Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung forderte. In der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ist diese sogenannte Gewaltenteilung festgeschrieben worden, doch haben sich die Parteien über diesen Grundsatz der Verfassung hinweggesetzt. Sie haben inzwischen alle drei Gewalten für sich usurpiert. Ein Abbau unseres Rechtsstaats? Seit Montesquieu bedeutet Rechtsstaat Trennung der staatlichen Gewalten. Und jetzt beanspruchen sogar die Gewerkschaften, in die Gesetzgebung eingebunden zu werden.

Daß sich Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg einer so geringen Arbeitslosigkeit erfreuen konnte, lag nicht nur an der geringen Steuer- und Abgabenbelastung, auch nicht allein an der freiheitlichen Wirtschaftsordnung, die den Unternehmern eine heute nicht mehr vorstellbare Freiheit und Entfal- tungsmöglichkeit einräumte, sondern auch an dem hohen Bildungsniveau der Bevölkerung. Auf den damaligen Hightechgebieten Chemie, Elektrotechnik, Optik und Maschinenbau war Deutschland weltweit führend. Die Analphabetenquote lag trotz des enormen Geburtenüberschusses von 600.000 pro Jahr nur bei einem Prozent; in den anderen Ländern bei zehn Prozent und darüber. Während Deutschland bis 1918 20 Nobelpreisträger in Naturwissenschaften aufzuweisen hatte, waren es in England nur acht Preisträger und in Frankreich nur sieben. Es würde hier zu weit führen, über die Bildungspolitik im einzelnen zu sprechen. Aber es läßt sich nicht bezweifeln, daß sie einen entscheidenden Einfluß auf die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft ausübte. Der jüdische Gelehrte Professor Dr. David Nachmansohn in New York schrieb vor einigen Jahren: "Um die Jahrhundertwende war Deutschland die führende Industrienation geworden. Es besaß eine gigantische pharmazeutische und chemische Industrie, die 87 Prozent des Weltmarktes beherrschte. Auch die optische Industrie war von unerreichter Qualität. Im Jahre 1840, mit einer Bevölkerung von rund 35 Millionen, war Deutschland ein Land der Armut, des Elends, des Hungers und der Krankheiten. Es war der Schauplatz von Hauptmanns ,Die Weber'. Im Jahre 1910 war Deutschland mit einer Bevölkerung von rund 70 Millionen ein reiches Land mit einer hochgebildeten Mittelklasse und einer Arbeiterklasse, die bessere Lebensbedingungen und fortschrittlichere soziale Einrichtungen besaß als die entsprechenden Bevölkerungsschichten in Frankreich und England."

Ohne Senkung der Verwaltungs- und Regierungskosten sowie der Subventionen um mindestens 20 Prozent läßt sich weder die Arbeitslosigkeit noch das wirtschaftliche Klima wieder in Ordnung bringen. Zu dieser Senkung der Staatskosten gehört auch die Reduzierung der Anzahl der Länder von 16 auf höchstens acht Länder. Hierdurch allein wären Einsparungen von rund 100 Milliarden Euro möglich. Die öffentlich Bediensteten sind zu einem großen Teil gewerkschaftlich organisiert und verhalten sich trotz ihres praktisch unkündbaren Arbeitsplatzes wie Mitarbeiter der Wirtschaft. Ihr Sinn dafür, daß sie in erster Linie dem Gemeinwohl zu dienen haben, ist nur spärlich entwickelt. Da die Mehrheit der Abgeordneten von öffentlich Bediensteten und Angehörigen der Gewerkschaften gestellt werden, ist eine grundsätzliche Sparpolitik über die Senkung der Staatskosten nicht zu erwarten. Bei dieser Berufsgruppe gehört die Verantwortung gegenüber dem Gesamtwohl nicht zum Berufsbild. Das ist von eigenen Interessen geprägt. An die Gesamtinteressen denken nur wenige. Die meisten der über 2.000 deutschen Parlamentarier leben nicht für die Politik, sondern von der Politik.

Berlin wurde vor dem Ersten Weltkrieg von 20.000 Beamten verwaltet, davon 10.000 ehrenamtlichen. In der Weimarer Republik verschafften die Parteien ihren Funktionären Pfründen, so daß die Berliner Verwaltung 1928 auf 40.000 Personen anstieg. Heute umfaßt die Berliner Verwaltung trotz des Rückgangs der Industrie rund 300.000 Personen, für die von den Gewerkschaften sogar höhere Löhne gefordert werden. Kann man sich einen größeren Irrsinn vorstellen?

Im angeblich so autoritär verformten Deutschland in der Zeit des Kaiserreichs herrschte unter den jungen Männern Zuversicht und Selbstbewußtsein. Daraus entstanden Familiengründungen. Eine geringe Scheidungsrate beweist eine relative Stabilität in den familiären Beziehungen. Es gab damals in Berlin so gut wie keine Einpersonenhaushalte, im Jahre 2001 dagegen sind es mehr als ein Drittel aller Haushalte. Was bedeutet das wirtschaftlich? Alleinstehende sorgen nur für sich selbst, die Männer nicht für eine Familie, die Frauen nicht für Kinder. Hieraus entsteht keine Leistungsmotivation, kein Verantwortungsgefühl für andere und für die Gemeinschaft. Eine autistische Gesellschaft, die sich nur noch um sich selbst dreht, ist wirtschaftlich nicht erfolgreich.

Zum Schluß ein Zitat von Wilhelm Röpke: "Man hüte sich vor jenen Heiligen, die im Namen der Menschlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit die Marktwirtschaft zertrümmern und damit die Quelle verschütten, aus der die soziale Ausgewogenheit schöpfen muß. Die Welt ist voll von solchen Pseudo-Heiligen und Pseudo-Moralisten, die meist selbst finanziell nicht zu kurz kommen."

 

Hier führt der Chef persönlich: Ehrhardt Bödecker, Gründer und Leiter des Brandenburg-Preußen-Museums in Wustrau bei Berlin und Autor dieses Beitrags, erläutert einer Schülergruppe die Exponate.

"Modell-Charakter": Zu den spektakulärsten Stücken des von Ehrhardt Bödecker aufgebauten und geleiteten Brandenburg-Preußen-Museums in Wustrau nordwestlich von Berlin zählt dieses Anschauungsmodell der Francke´- schen Stiftungen zu Halle um 1730, einer geradezu beispielhaften preußischen Sozialeinrichtung. Das Modell zeigt das Waisenhaus mit angrenzendem Lindenhof. Die Stockwerke sind abnehmbar. Auch wenn sich die Inneneinrichtung nicht vollständig erhalten hat, entsteht ein lebendiger Eindruck davon, wie die Anstalten Franckes in der Anfangszeit aussahen. Das Hauptgebäude wurde in den Jahren 1698 bis 1701 errichtet. Im aufgeklappten Teil lag der alte Schlafsaal der Waisenknaben, im Erdgeschoß der erste Buchladen Franckes, im Obergeschoß der alte Bet- und Singesaal mit der Kanzel in der Mitte - Ausdruck des pietistischen emeindeverständisses der damaligen Zeit. Im Erdgeschoß, in den Speiseanstalten, wurden während der Mahlzeiten von der Lesekanzel aktuelle Zeitungsnachrichten oder andere Erbaulichkeiten vorgelesen.


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