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02.10.04 / "Heimatrecht ist fundamentales Menschenrecht"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Oktober 2004


"Heimatrecht ist fundamentales Menschenrecht"
von Alfred M. de Zayas

Oft zitiere ich die Worte des ersten Uno-Hochkommissars für Menschenrechte, Jose Ayala Lasso, in der Paulskirche zu Frankfurt anläßlich der Feierstunde vom 28. Mai 1995, "50 Jahre Vertreibung": "Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht".

Leider ist diese klare Norm des Völkerrechtes nicht mit ihrer Verwirklichung identisch. Die Menschenrechte, das allgemeine Völkerrecht, sogar auch das nationale Recht werden oft nicht verwirklicht. Manchmal werden sie grob verletzt bei völliger Straffreiheit der Täter.

Dies bedeutet aber nicht, daß die Normen nicht existieren, daß das Recht belanglos ist. Es vergegenwärtigt nur die Tatsache, daß die Umsetzungsmechanismen verbesserungsbedürftig sind.

Auch die Vereinten Nationen können das Völkerrecht oft gar nicht durchsetzen. Zum Beispiel, neulich beschloß der Internationale Gerichtshof in Den Haag, daß der Bau einer Mauer in Palästina eine vielfache Verletzung des Völkerrechts darstellt. Vielleicht werden viele von Ihnen an die Berliner Mauer denken, diese Schande der Menschheit, die bereits vor 15 Jahren wie ein Alptraum endlich verschwand. Trotz des Urteils des Internationalen Gerichtshofes vom 9. Juli 2004 wird die israelische "Mauer der Apart-heid" weiter auf palästinensischem Boden gebaut. Das Recht der Palästinenser auf Leben und auf Selbstbestimmung wird weiterhin verletzt. Auch die Uno-Generalversammlung hat Israel wiederholte Male aufgefordert, ihre Vertreibungs- und Annexionspolitik in Palästina aufzugeben. Bisher ohne Erfolg.

Vertreibungen und sogenannte ethnische Säuberungen sind leider keine Seltenheit. So vertrieben die Türken etwa 200.000 Zyprioten aus Nordzypern im Jahre 1974, als die türkische Armee den Norden der Insel besetzte. Sie teilten das Land und bauten eine Mauer durch die Mitte der Hauptstadt Nicosia, auch eine Mauer der Apartheid, samt Wachttürmen, Minenfeldern und Stacheldraht.

Dieses Verbrechen gegen die Menschheit besteht heute noch, und die Türkei bleibt straffrei und ohne Sanktionen, obwohl sie mehrmals von der Europäischen Menschenrechtskommission und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal Ayala Lasso zitieren: "Ich bin der Auffassung, daß - hätten die Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mehr über die Implikationen der Flucht, der Vertreibung und der Umsiedlung der Deutschen nachgedacht - die heutigen Katastrophen, die vor allem als ethnische Säuberungen bezeichnet werden, vielleicht nicht in dem Ausmaß vorgekommen wären."

Nach dem furchtbaren Leiden des Zweiten Weltkrieges, nach dem Massenmord an den Juden, nach dem Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung, nach der Zerstörung Warschaus, Lübecks, Hamburgs, Dresdens, Königsbergs, Danzigs, Hiroshimas und Nagasakis, nach der Vertreibung der Ostpreußen, Pommern, Schlesier, Sudetendeutschen hätten wir vielleicht erhofft, ein Ende des Völkermords und der Vertreibungen in der Welt zu sehen. Jedoch nein. Leider haben wir nach dem Zweiten Weltkrieg noch das Elend von Kambodscha, von Ruanda, von Darfur erlebt.

Homo homini lupus est - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Diese traurige Maxime prägt immer noch unsere geschichtliche Erfahrung. Dies haben die Römer bereits vor 2.000 Jahren festgestellt. Und dennoch muß man versuchen, sich anständig und ethisch zu verhalten. Wie die christliche Lehre uns empfiehlt: Vergeben, damit uns vergeben wird.

So der Hochkommissar Ayala Lasso in der Paulskirche: "In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen zu sprechen kommen. Es ist gut, daß Menschen, die Unrecht gelitten haben, bereit sind, den Teufelskreis von Rache und Vergeltung zu brechen, um auf friedlichen Wegen für die Anerkennung des Rechtes auf die Heimat und für den Wiederaufbau und die Integration Europas zu arbeiten. Eines Tages wird dieses Opfer besser gewürdigt werden."

Die deutschen Vertriebenen haben diese Worte vor mehr als neun Jahren vernommen. Ich frage mich nun heute: Wie lange werden wir noch warten müssen, bis die Politiker, Journalisten und Historiker jene Friedensleistung der deutschen Vertriebenen anerkennen? Wie lange muß man in Deutschland warten, bis die deutsche Regierung diese Leistung würdigt?

Das Recht auf die eigene Geschichte und auf die eigene Heimat existiert. Es darf kein leeres Postulat sein. Jedoch wirken manchmal gewaltige Kräfte dagegen - Kräfte, die wir unter dem allgemeinen Begriff des Zeitgeistes wiederfinden - in der Politik des Schweigens, der Desinformation, der Satanisierung, der Erpressung, der Anpassung, ja, auch in der Politik des billigen Opportunismus.

Der Zeitgeist bringt gute und schlechte Blüten hervor. Der Zeitgeist in Deutschland hieß jahrzehntelang: "Bekenne Dich zu allen möglichen Verbrechen, tue Buße, trauere um fremde Opfer, trauere nicht um die eigenen Opfer." Nun fängt man allmählich an, um die Opfer des Bombenkrieges in Deutschland und um die Opfer der Vertreibung zu trauern. Doch zögernd. Und manchmal protestieren die sogenannten Intellektuellen, weil dies die konstruierte Täter/Op fer-Schablone in Frage stellt. Dürfen die Deutschen überhaupt Opfer sein? Sollen sie nicht weiterhin - und zwar nur und allein - als böse Täter verstanden werden? Eine verblüffend unmenschliche Frage, die auf eine verblüffende intellektuelle Unredlichkeit zurückgeht. Aber das ist halt die surrealistische Welt, in der wir leben, wo Kriege angeblich für die Demokratie führt werden, und in Guantánamo gefoltert wird, weil die Taliban "böse Leute" sind, wie uns Präsident Bush unlängst sagte.

Als Amerikaner beobachte ich die politischen und intellektuellen Trends in Deutschland sowie auch in Amerika. Ich begrüße die Veröffentlichung der Bücher von Jörg Friedrich über den Bombenkrieg, die einsichtigen Kommentare von Professor Arnulf Baring in der FAZ, die jüngste Beschäftigung des Fernsehens mit der Tragödie der Vertreibung.

Ich selber habe als Historischer Berater der Discovery Channel in den USA die Verfilmung des Dokumentarfilmes über die Versenkung der "Wilhelm Gustloff" begleitet, welche 2003 in Amerika, Kanada und Europa ausgestrahlt wurde.

Ich bedauere aber die unintelligenten Analysen, die ich in vielen amerikanischen und deutschen Blättern gelesen habe, Pseudo-Analysen, die sich auf die Täter/Opfer-Schablone fixiert haben, deren pseudo-intellektuelle Verfasser anscheinend unfähig sind, sich davon zu befreien.

Ich begrüße die Wahl des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler und beglückwünsche Sie dazu. Er ist wohl ein Volksdeutscher, dessen Familie aus Moldawien stammt, ein Vertriebener aus Polen, wohin seine Familie während des Krieges umgesiedelt worden war. Er dürfte mehr Einsicht in sein hohes Amt mitbringen.

Ich begrüße die Initiative eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in Berlin sowie den intelligenten Einsatz von Erika Steinbach und Professor Peter Glotz. Als Mitglied des Beirats lege ich besonderen Wert darauf, klarzustellen, daß es dem Zentrum darum geht, die Tragödie aller Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren, um sie besser zu verstehen. Es geht darum, künftige Vertreibungen überall in der Welt vermeiden zu helfen, sowie darum, den Opfern von Vertreibungen eine moralische Anerkennung und historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Es geht um die Würde der Opfer, denn es darf keine politisch korrekten und inkorrekten Opfer geben, sondern wir müssen darauf bestehen, daß alle Opfer von Krieg und Gewalt-herrschaft als unsere Brüder anerkannt werden, als Menschen, die gelitten haben und noch leiden.

Als amerikanischer Beobachter der deutsch-polnischen Debatte finde ich, daß - während die Deutschen sich ihrer Geschichte gestellt und als Konsequenz moralische und erhebliche materielle Wiedergutmachung geleistet haben - die große Mehrheit der polnischen Historiker, Politiker und Bürger dies nicht getan hat oder gerade erst damit anfängt. Das Niveau vieler polnischer Diskussionsbeiträge bewegt sich leider heute noch auf dem Niveau kommunistischer Beschimpfungen der 60er Jahre.

Das "Zentrum gegen Vertreibungen" bietet ein Forum für Begegnung, aufrichtige Dis-kussion und Verständigung. Ich bin überzeugt, daß früher oder später dieses Angebot angenommen werden wird.

Auch die völkerrechtliche Klärung der Rechte der Bürger des Freistaates Danzig, der unter der Verantwortung des Völkerbundes und gemäß dem Versailler Vertrag entstanden ist, steht eigentlich noch offen. Wir wissen, daß die Politiker die Diskussion über Danzig stets vermieden haben. Ich meine aber: 2004 ist nicht zu spät, dies nachzuholen.

Nun einige Worte über die Äußerungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1. August in Warschau. Der Opfer des Warschauer Aufstandes von 1944 zu gedenken, ist eine gerechte Sache. Wir sollen aller Opfer mit Ehrfurcht gedenken. Bundeskanzler Schröder hat aber Dinge in Warschau gesagt, die ich als Professor des Völkerrechts und als Nicht-Deutscher überhaupt nicht verstehen kann.

Er sagte: "Die Bundesregierung wird den Ansprüchen der deutschen Vertriebenen auf Wiedergutmachung - gemeint sind die juristischen Schritte der Preußischen Treuhand - entgegentreten und dies auch vor jedem internationalen Gericht deutlich machen."

Als Völkerrechtler muß ich betonen, daß jeder Staat eine Verpflichtung zum diplomatischen Schutz der eigenen Bürger hat. Dies ist Völkergewohnheitsrecht. Wenn ein Staat Privateigentum von Bürgern anderer Staaten konfisziert, besteht eine Völkerrechtsverletzung, die das Recht auf Wiedergutmachung mit sich bringt. Es ist halt die Aufgabe des Staates, dieses Recht auf Wiedergutmachung zu behaupten. Tut der Staat dies nicht, so soll und muß der Staat selber seine Bürger entschädigen.

Als Völkerrechtler muß ich aber auch auf das Prinzip der Gleichheit hinweisen. Wenn alle Opfer - Juden, Polen, Tschechen - eine Wiedergutmachung bekommen, nur die Deutschen nicht, dann liegt eine Diskriminierung vor, und dies stellt eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Uno-Paktes über bürgerliche und politische Rechte dar. Dies ist eine Frage, die nach Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht Gegenstand einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg sowie auch vor dem Uno-Menschenrechtsausschuß in Genf sein könnte.

Als Amerikaner kann ich absolut nicht begreifen, warum Bundeskanzler Schröder derart diskriminierende Worte in Warschau ausgesprochen hat. Denn sämtliche deutsche Regierungen haben bisher die korrekte völkerrechtliche Haltung vertreten, nämlich daß die Vertreibung ein Unrecht und die Konfiskationen von Privateigentum ebenfalls völkerrechtswidrig waren.

Mit seinen Worten hat Bundeskanzler Schröder die Vertriebenen im Stich gelassen. Ich kann mir keinen amerikanischen Präsidenten denken, der auf die Rechte der amerikanischen Bürger so verzichten würde, wie Herr Schröder es getan hat.

Zwei andere Fragen von fundamentaler Bedeutung werden durch die Kanzler-Äußerungen aufgeworfen. Erstens: Wenn die Vertreibung von 14 Millionen Deutschen, wobei zwei Millionen ihr Leben verloren haben, kein Verbrechen gegen die Menschheit darstellt, was war sie dann? Zweitens: Wenn anderen Opfern Rückkehrrecht und Restitution gewährt wird, nach welchem Recht und nach welcher Moral kann man die Deutschen anders behandeln?

Beide Fragen sind vom Prinzip der Gleichheit und vom Prinzip der gemeinsamen menschlichen Würde untrennbar. Man kann den Deutschen Vertriebenen eine Wiedergutmachung nicht verweigern, ohne dabei eine völkerrechtswidrige Diskriminierung zu begehen.

Der Uno-Menschenrechts-Ausschuß, dessen Sekretär ich mehrere Jahre war, hat die Diskriminierung in der Gesetzgebung und in der Praxis der Wiedergutmachung in Tschechien wiederholte Male festgestellt - Diskriminierung gegenüber Tschechen, Juden, aber auch gegenüber Sudetendeutschen.

Zum Beispiel wurde Tschechien in zwei wichtigen Urteilen aufgefordert, das Eigentum von Deutschen zurückzugeben. Die Urteile sind leider bisher nicht in die Tat umgesetzt worden. Liegt das vielleicht daran, daß die deutsche Regierung dies nicht will, und so, statt das Völkerrecht zu behaupten, es eigentlich durch Diskriminierung korrumpiert und den eigenen Landsleuten in den Rücken fällt? Diese Diskriminierung kann justiziabel sein - sowohl in Straßburg als auch in Genf.

Die Osterweiterung der EU kann eine gute Sache sein. Gewiß gibt es Staaten, die europareif sind, vor allem Staaten die den europäischen Mindeststandard bei den Menschenrechten erfüllen, so die baltischen Staaten, die Rückkehrrecht und Wiedergutmachung gewährt haben. Meines Erachtens haben weder Polen noch Tschechien diesen Mindeststandard erreicht. Was noch schlimmer ist: Anscheinend wollen sie es nicht erreichen. Somit denke ich, daß die Osterweiterung der EU nicht unbedingt zu begrüßen ist, wenn sie auf Kosten der historischen Wahrheit forciert wurde, auf Kosten der nationalen Ehre und schließlich auf Kosten der Vertriebenen.

Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales, Genf, Mitglied der Académie internationale du droit constitutionnel, General-Sekretär, PEN Club Suisse romande, ehemaliger Sekretär des UN-Menschenrechtsausschusses, Autor von unter anderem: "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen", Ullstein; "Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle", Ullstein; "Heimatrecht ist Menschenrecht", Universitas. www.alfreddezayas.com 

Alfred M. de Zayas: Der Historiker beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den Menschenrechten. Das besondere Interesse des US-Amerikaners gilt der "Flucht und Vertreibung" der Deutschen. Foto: Archiv


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