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Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Oktober 2004
In Europa gilt der Primat des Rechts, in islamischen Ländern der Primat der
Religion. Zwar ist die Türkei gemäß ihrer Verfassung eine Demokratie und ein
Rechtsstaat, aber die Debatte um den Ehebruchparagraphen im Strafrecht zeigt,
wie schwer sie sich damit tut, vor allem unter dem islamischen Regierungschef
Erdogan. Der Vorrang der Religion steht zwar nicht in der Verfassung, ab er ist
in Köpfen und Herzen verankert, in Sitten und Gebräuchen kodifiziert. Premier
Erdogan ist ein Sultan der Moderne. So führt er sich manchmal auch auf, besonders wenn es um den Beitritt seines
Landes zur EU geht. Er will sich nicht in die inneren Angelegenheiten seines
Landes hereinreden lassen. Aber der Primat des Rechts ist keine nationale
Angelegenheit. Er ist universal, vor allem wenn es um die Menschenrechte geht.
In ihm ruht auch das Selbstverständnis Europas. Es darf nicht dazu kommen, daß,
wie der Vorsitzende der größten Fraktion im Europäischen Parlament, die
Europäische Volkspartei, Hans-Gert Pöttering, sagt, das "identitätsstiftende
Band" zerstört werde. Das aber wäre der Fall, wenn die Türkei Vollmitglied
würde. Pöttering und dem außenpolitischen Sprecher der CSU in Straßburg,
Bernd Posselt, ist es zu verdanken, daß die EVP derzeit mehrheitlich gegen
einen Beitritt der Türkei ist. Posselt warnt die C-Politiker, die für einen
Beitritt sind, vor "Wahlbetrug". Man habe den Wählern vor der Europawahl
eine klare Position, nämlich das Nein zur vollen Mitgliedschaft versprochen.
Wer sich jetzt für einen Beitritt ausspricht, der schadet der CDU und Europa.
Wähler wollen Klarheit, das haben auch die Wahlen in Sachsen und Brandenburg
gezeigt. Es gibt noch zwei Argumente gegen einen Beitritt, von denen jedes schon ein
Nein rechtfertigt. Allen Kennern der wirtschaftlichen Verhältnisse ist,
erstens, klar: Ein Beitritt der Türkei würde die anderen über Jahrzehnte
mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr kosten (allein Deutschland müßte
jährlich mindestens 14 Milliarden Euro aufbringen), zusätzlich zu den Kosten
der Osterweiterung. Das ist nicht zu verkraften. Die EU mit der Türkei in ihrer
Mitte wäre staatsphilosophisch entkernt, politisch nicht mehr handlungsfähig,
wirtschaftlich im besten Fall eine große Freihandelszone vom Atlantik bis zum
Kaukasus und von Grönland bis zur Levante. Hinzu kommt, zweitens, der geopolitische Faktor Demographie. Der Islamkenner
Hans Peter Raddatz schreibt lakonisch: "Bei derzeit zirka 30.000 jährlich
nach Deutschland einwandernden türkischen Frauen und einer - konservativ -
angenommenen Geburtenrate von 2,5 Kindern (6. Familienbericht: 2,95) öffnet
sich bei einer etwa halb so hohen Rate auf deutscher Seite eine erhebliche
Schere, die durch einen EU-Beitritt ab etwa 2013 dynamisch verstärkt werden und
ab 2020 die Türkei als demographisch stärkste Kraft in der EU ausweisen
würde. Nach 28 Millionen Einwohnern im Jahre 1960 und 70 Millionen heute wird
die türkische Bevölkerung um 2025 in der Türkei und Deutschland dann zusammen
bei 100 Millionen liegen und dabei auch wachstumsmäßig die gesamte heutige EU
klar übersteigen". Die Aufnahme der Türkei in die EU wäre der Fall Wiens
mit anderen Mitteln. Unter manchen Europa-Politikern ist unvergessen, was Erdogan als Mitverfasser
eines Manifests seiner Partei 1997 empfahl: die Vernichtung aller Juden und den
Kampf gegen den Westen, indem man die "Demokratie nicht als Ziel, sondern als
Mittel" begreife. Er mag das heute, auch bei seinen Besuchen in Brüssel und
seinen freundschaftlichen Treffen mit dem deutschen Bundeskanzler, verneinen.
Die Zweifel an seinem Demokratieverständnis bleiben. Die Zweifel an seinem
Denken über die Stellung der Frau oder über religiöse Minderheiten auch. Die
Idee Europa endet am Bosporus. Wer sie überdehnt, macht sich zu ihrem
Totengräber. Zwischen zwei Welten: Der Blick über den Bosporus ist immer auch der Blick
auf einen anderen, fremden Kontinent. Die Wasserstraße, die Europa und Asien
trennt, symbolisiert die Grenze zwischen zwei unter-schiedlichen,
gegensätzlichen Wertesystemen, Rechtsprinzipien und religiösen Grundsätzen.
Dennoch empfiehlt EU-Erweiterungskommissar Verheugen die Aufnahme von
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, ohne Rücksicht darauf, daß der vom
Islam geprägte Staat größtenteils in Asien liegt. Foto: Visum |