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09.10.04 / Die Väter des preußischen Oktoberediktes / Theodor von Schön und Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein prägten die Bauernbefreiung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Oktober 2004


Die Väter des preußischen Oktoberediktes
Theodor von Schön und Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein prägten die Bauernbefreiung
von Walter T. Rix

Die geschichtliche Konstellation wollte es, daß sich in Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein und Theodor von Schön zwei Personen verbanden, deren Zusammenspiel die Erneuerung Preußens in der napoleonischen Zeit entscheidend beeinflussen sollte. Zwar waren sie in ihrem Naturell grundsätzlich verschieden - Stein dachte organisch-historisch und war ein unsystematischer Empiriker, Schön dagegen ein an der formalen Logik Kants geschulter Systematiker -, aber in ihrer Entschlossenheit und ihren Zielvorstellungen stimmten sie weitgehend überein, so daß sich das persönliche Spannungsverhältnis sogar konstruktiv auswirkte.

Stein ist von der Forschung zu Recht als "intellektueller Urheber des Repräsentativsystems in Preußen" gesehen worden. Er fand hierin in Schön einen von gleichen Idealen beflügelten Mitstreiter, der die beiden gemeinsamen Vorstellungen mit womöglich noch größerer Leidenschaft zu verwirklichen trachtete. Unter der Führung Schöns kämpfte die ganze ostpreußische Reformergruppe für einen neuen Staat, der seine Souveränität auf den Rechtswillen freier Menschen gründete. Auf die Macht der Vernunft vertrauend, dürfe dieser Staat das soziale und wirtschaftliche Leben sich selbst überlassen, weil sich nur so die sittliche Kraft des einzelnen angemessen entfalten könne. Die Wirkung der Vernunft komme am besten dort zur Geltung, wo die Bevormundung der Gesellschaft durch den Staat ihr Ende habe. Beseelt vom Idealismus der Fichteschen Ideenlehre gingen einige der Reformer, so insbesondere Schön und Hardenberg, noch weiter und schrieben dem neu zu schaffenden Staat sogar die Rolle des "Weltenlenkers" zu: Nach den philosophisch ergründeten "Gesetzen des Weltplans" soll er die Menschheit ihrer höchsten Bestimmung zuführen. Durch seine inneren Einrichtungen und vor allem durch eine "Nationalerziehung größten Umfanges" soll er seine Mitglieder heranbilden zu jenem Zustand vollkommener Sittlichkeit und Religiosität, zu jenem ganz von der göttlichen Idee durchdrungenen tätigen Leben, das die höchste Stufe in der Erhebung des Menschen von der Sittlichkeit zur Idee und damit das Ziel der Menschheitsentwicklung überhaupt darstelle.

Je mehr der preußische Staat, so argumentierten die Reformer, sich diesem Ideal nähere, um so mehr werde er seine innere Überlegenheit gegenüber Frankreich erweisen, dessen Tendenz, seit in Napoleon die Revolution sich selbst überschlagen habe, nur noch auf die Ausübung ideenloser physischer Gewalt gerichtet sei.

Zeitgenossen bezeichnen Schön als den feurigsten Kopf der sogenannten Immediatskommission. Zweifellos war Schön der leidenschaftlichste Doktrinär unter den Reformern. Sein stürmisch vorwärtsdrängender Reformeifer riß den Minister v. Stein weiter mit sich, als es dessen ursprünglichen Absichten entsprach. Hier zeigt sich, daß der philosophische Kopf dem bloßen Empiriker an Stoßkraft und Ideenschwung überlegen war. In der Reform des Agrarwesens jedenfalls erscheint Schön als der eigentlich führende Kopf.

Die Bauernbefreiung gliedert sich in drei Problemgruppen. Es geht erstens um eine Frage des öffentlichen Rechts: Der Bauer wird durch Aufhebung der Gutsuntertänigkeit unmittelbar Untertan des Königs wie andere Staatsbürger auch. Zweitens um ein Problem des Privatrechts: Er soll an Stelle bloßen Leihgutes freies, echtes Eigentum erhalten. Und schließlich soll drittens seine wirtschaftliche Lage dadurch verbessert werden, daß er von Frondiensten, Zinsen und Abgaben, die auf dem Boden liegen, befreit wird. Diesbezügliche Gedanken hatten bereits seit langem in Ostpreußen an Boden gewonnen. Den ostpreußischen Provinzialbehörden war es schon lange vor 1806 gelungen, im ost- und westpreußischen Adel eine für die Reform günstige Stimmung zu erzeugen. Zahlreiche Gutsherren, unter ihnen auch der Minister Schrötter, waren mit gutem Beispiel vorangegangen und hatten die Erbuntertänigkeit bereits Jahre zuvor aufgehoben.

Gefährdet wurde das Reformwerk freilich durch die katastrophale wirtschaftliche Lage. Infolge der Kriegsereignisse waren Bauern und Gutsherren gleichermaßen ruiniert und mit Schulden überlastet. Ganze Dörfer lagen wüst und viele Bauernstellen waren unbesetzt. Die Kontinentalsperre gegen England brachte ab 1805 den einst blühenden Getreideexport zum Erliegen. Die Getreidepreise sanken laufend und mit ihnen die Bodenrente. Mehr als drei Viertel der von der "Ostpreußischen Landschaft", also der Vertretung der Krone, beliehenen Güter im Königsberger Department mußten sequestriert ("eingesammelt") werden.

In dieser kritischen Zeit mutete man dem Lande noch gesetzgeberische Experimente zu in Form des "Ediktes, den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbevölkerung betreffend", nach dem Datum seiner Unterzeichnung, dem 9. Oktober 1807, kurz "Oktoberedikt" genannt. Damit war ein Zustand beendet, den der liberale Königsberger Rechtsgelehrte Kraus "ein Recht, Unrecht zu tun", und eine "erbliche Gefangenschaft" sowie Kant eine "Absurdität" genannt hatte. Es war der erste große Einbruch westeuropäischer Freiheitsbegriffe in das starre Gefüge des überlieferten Zwangsstaates mit seiner altständischen Sozialordnung. Die ostpreußischen Reformer verfochten ihre Ideen in dem stolzen Überlegenheitsbewußtsein ihrer "staatswissenschaftlichen Bildung", rational deduzierend im Stil der Königsberger Staatsphilosophie, die sich ihrer Verwandtschaft mit den "Ideen von 1789" durchaus bewußt war. Stein wurde vom sittlichen Pathos Schöns mitgerissen und erweiterte unter dem Einfluß der durch Schön vermittelten englischen Verfassungsideale seine Vorstellungen von bürgerlicher Freiheit. Dies gilt ins- besondere für den Kerngedanken der Schönschen Denkschriften, die Vorstellung von der freien, selbstverantwortlichen Tätigkeit jedes einzelnen. Das Ergebnis ist ein sehr aufschlußreiches Beispiel für die preußische Anwendung der Lehre von Adam Smith und der demokratischen Theorien Frankreichs.

Für die Reformer Preußens agiert das freie Individuum nicht im Raum der materiellen Selbstverwirklichung, sondern es wurde dem strengen Pflichtbegriff des deutschen Idealismus unterstellt. Das Oktoberedikt schuf damit die Voraussetzungen für die Wandlung der altpreußischen Monarchie zu einem modernen Staatswesen. Das Axiom der "Selbstverwaltung" führte zu einer Vielzahl von Konsequenzen, von der allgemeinen Wehrpflicht bis zur Einrichtung der Landtage, die das Gemeinwesen grundlegend umgestalten sollten.

Schön ging von der Vorstellung aus, daß das Freiheitsprinzip, war es einmal in den alten Obrigkeitsstaat eingedrungen, von selber aufgrund seiner unausweichlichen Logik weiterwirken würde. In seiner Prinzipiengläubigkeit überschätzte er jedoch die Wirkung der Idee: Die Herabstufung des Gutsherrn zum Gutsbesitzer beließ diesem dennoch Vorzugsrechte als Staatsbürger und die wichtigsten Befugnisse der alten Gutsobrigkeit. Die Grundsteuerfreiheit blieb unangetastet. Die alte Jagdgerechtigkeit des Adels auf Bauernland hat erst die 48er Revolution beseitigt. Das Kirchenpatronat bestand sogar bis zum Ersten Weltkrieg. Am wichtigsten war jedoch die Fortdauer der alten gutsherrlichen Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt, die erst 1872 abgeschafft wurde. Solange der Gutsbesitzer diese Gewalt in den Händen hielt, war er praktisch immer noch Herr seiner Bauern.

Sollte der Zweck des Oktoberediktes erreicht werden, nämlich die Gutsbauern aus dem Zustand wirtschaftlicher Ohnmacht und sozialer Erniedrigung zu erlösen, so genügte es nicht, ihnen lediglich den Status des freien Staatsbürgers zu verleihen. Schön erkannte, daß man auch den Mut haben mußte, den alten Herrschaftsverbund so weit aufzulösen, daß der bäuerliche Untertan auf eigenen Füßen stehen konnte. Er bemühte sich daher energisch um die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, verkannte dabei in seinem Eifer jedoch die Übermacht der politischen und sozialen Widerstände. Ein Sturm von Gegenvorstellungen der adeligen Gerichtsherren setzte beim König ein, die mit wütender Zähigkeit um den letzten Rest ihrer alten Obrigkeitsstellung kämpften. Schön bedachte die Eingaben des ostpreußischen Ständeausschusses an den König mit beißendem Spott, war aber taktisch klug genug, die öffentliche Meinung für seine Vorstellungen zu mobilisieren. In Amtsblättern wurden Pamphlete angepriesen, in Amtsstuben sogar kostenlos verteilt, die die Patrimonialgerichtsbarkeit scharf angriffen. Und die Königsberger Zeitung veranlaßte Schön Beiträge zu bringen, die in satirischer Weise gegen die Sache der adligen Gerichtsherrn vom Leder zogen.

Für Stein war, wie der Historiker Gerhard Ritter formuliert, "die preußische Monarchie im Grunde immer ein Werkzeug ... für die Befreiung Deutschlands". Letztlich führte eine derartige Haltung auch zu seinem Sturz am 24. November 1807 und zu seiner anschließenden Verbannung. Anfang November versuchte Stein noch, seinen Reformideen durch eine regierungsoffizielle Proklamation einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Der König untersagte diesen Schritt jedoch. Auf Drängen Schöns wählte Stein nun das Verfahren eines Rundschreibens an die obersten Staatsbehörden. Dieses Rundschreiben, das in Wirklichkeit aus der Feder Schöns stammt und für das Stein seinen Namen gegeben hat, wurde unter der Bezeichnung "Steinsches politisches Testament" bekannt. Als politisches Kampfinstrument hat es in der nachfolgenden Verfassungsdebatte eine einflußreiche Rolle gespielt. In der Aufzählung der durchgeführten, angefangenen und geplanten Reformen gibt es prinzipiell die Vorstellungen Steins wieder, aber die Formulierungen und der programmatische Ton zeugen eindeutig von der Handschrift Schöns. Stein selbst hatte offensichtlich Schwierigkeiten, sich mit dieser Programmschrift vorbehaltlos zu identifizieren, denn er gab seine Unterschrift erst auf wiederholtes Drängen Schöns hin unmittelbar vor seiner Abreise aus Königsberg am 5. Dezember 1807. Damit aber war ein entscheidender Schritt getan, um Preußen aus seiner politischen Erstarrung zu führen und eine Entwicklung einzuleiten, die das Königreich trotz aller Kritik im Konzert europäischer Staaten zu einem modernen Gemeinwesen werden ließ.

 

Das Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807

Theodor v. Schöns Politik war es, den wirtschaftlichen Aufbau des Landes mit dem Anliegen der Bauernbefreiung zu verbinden. Als Heilmittel für alle Schäden sollte die wirtschaftliche Freiheit dienen. Am 17. August 1807 legte die Immediatskommission dem Kabinett eine entsprechende Reformschrift Schöns vor. Die ruinierte Wirtschaft der Provinz, so argumentierte die Schrift, werde sich um so schneller erholen, je vollkommener sie sich von allen Fesseln staatlicher Protektion und gegenseitiger Absonderung der Stände befreie. Die Forderungen waren daher umfassend: konsequente Verwirklichung des Freihandelssystems, Vererbpachtung der Domänen an bäuerliche Parzellenbesitzer, Gewerbefreiheit, Beseitigung der Zunft- und Fabrikzwänge, und vor allem: freie Verwertung des Grundbesitzes.

Der ostpreußischen Landwirtschaft mußte vor allem Betriebskapital zugeführt werden. Daher die Forderung nach Verfügbarkeit adliger Güter für kaufkräftige Bürgerliche, aber auch Freigabe des Ankaufs bäuerlicher Höfe durch die Rittergutsbesitzer. Dies bedeutete die Preisgabe des friderizianischen Bauernschutzes ebenso wie der Schutzbestimmungen für den Güterbesitz der Adelsfamilien. Das Kernstück dieser radikalen Umwälzung war die Aufhebung der Erbuntertänigkeit auf den adligen Gütern bis spätestens 1810. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß die Aufgabe der Rechte der Gutsobrigkeit so war, als würde man die Axt an die feste, eng gefügte Einheit des Rechts- und Wirtschaftsverbandes legen, der den Gutsherrn mit seinen Untertanen zusammenschloß.

Schön schwebte das Ideal eines wohlhabenden Bauernstandes von mittlerem Landbesitz und mit langfristigen Pachtverträgen vor. Dieses Ideal dachte er beim Wiederaufbau Ostpreußens zu verwirklichen. Der Gutsherr sollte daher noch vor der allgemeinen Aufhebung der Erbuntertänigkeit von der Pflicht entbunden werden, alle seine Bauernhöfe wiederherzustellen. Mit besonderer Zustimmung der Kammer sollte er berechtigt sein, die kleinen Bauernhöfe zu größeren mit langfristigen Pachtverträgen und gegen Entschädigung der abziehenden Bauern zusammenzulegen. Erst nach Bildung eines lebensfähigen Bauernstandes, der sich aus eigener Kraft behaupten konnte, sollte die allgemeine Aufhebung der Erbuntertänigkeit erfolgen.

Die Auflösung von Kleinbauernstellen und die Schaffung von frei verkäuflichem und verschuldbarem Eigentum an Grund und Boden machte aber auch Regelungen zum Schutz der Bauern notwendig, insbesondere da das im großen Stil erfolgende "Bauernlegen" (Quasi-Enteignung durch die Gutsherren) in Mecklenburg und Vorpommern ein äußerst abschreckendes Beispiel lieferte. Derartige Schutzbestimmungen gelangten jedoch nur im Wirkungsbereich Schöns (also in West- und Ostpreußen sowie Litauen) zur Geltung. Mit Ausnahme dieser Schutzbestimmungen wurden die neuen Regelungen schließlich am

9. Oktober 1807 durch das Oktoberedikt in Ostpreußen in Kraft gesetzt. Am 14. Februar des Folgejahres wurden sie dann auch von den schlesischen, märkischen und pommerschen Provinzialbehörden übernommen. W. T. R.


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