25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.10.04 / Wenn der Geld-Schein die Mittel heiligt ... / Gedanken zur "Politik

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Oktober 2004


Wenn der Geld-Schein die Mittel heiligt ...
Gedanken zur "Politik von morgen" von Hans-Joachim Selenz

Die Eidesformel für den Bundespräsidenten, den Kanzler und seine Minister endet mit dem Satz "...und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde". "Gerechtigkeit" ist in aller Munde, nicht nur in dem der obersten Volksvertreter. Das Volk selbst beklagt hingegen große Gerechtigkeitsdefizite. Was ist los mit diesem Volk, dem "großen Lümmel", so Heinrich Heine? Der reimte mit Blick nicht nur auf den (Eides)-"Text" und "die Herren Verfasser": "Ich weiß, sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser."

Was ist eigentlich Gerechtigkeit? Im Internetlexikon "Wikipedia" finden wir sie als "den Versuch, jedermann fair und moralisch angemessen zu behandeln". Die juristische Basis für Gerechtigkeit in einer Demokratie ist die Rechtsstaatlichkeit. Die Gesetze unseres Staates, unsere "gemeinsamen Verabredungen", sind unbedingt und von allen einzuhalten. Wo dies nicht geschieht und Straftaten begangen werden, sind diese "ohne Ansehen der Person zu verfolgen. Das sogenannte Legalitätsprinzip bietet die Gewähr dafür, daß diese wichtige Voraussetzung für das Vertrauen der Bevölkerung in eine gerechte Justiz garantiert wird", so das NRW-Justizministerium zum Thema Staatsanwaltschaften. Wo kann es denn da Defizite geben? Etwa bei der sozialen Gerechtigkeit, bei der Steuergerechtigkeit oder gar bei der Gleichheit vor dem Gesetz?

Gerade in den neuen Bundesländern werden Gerechtigkeitsdefizite am lautesten beklagt. Sind diese Bürger undankbar, nachdem sie gerade die Ketten eines Unrechtsstaates abgeschüttelt haben? Muß die Mauer wieder her? Im Westen der gemeinsamen Republik wird der vermeintliche Undank der von SED-Knechtschaft befreiten Landsleute heftig beklagt. Die Menschen östlich des Eisernen Vorhangs wuchsen auf in einem Staat, der absolute Gleichheit und Gerechtigkeit verhieß. Diesen Anspruch trugen die Regierenden wie eine Monstranz vor sich her.

"Alle Menschen sind gleich", stand auf den Transparenten. Doch einige waren gleicher. Das wußte man in der DDR nicht nur von George Orwell. Bis auf die, die gleicher waren, litten alle Bürger unter diesem Gerechtigkeitsdefizit. Daß man den Opfern des Unrechts diese Leerformel von der Gerechtigkeit zynisch vorhielt, während man sie gleichzeitig demütigte, verschärfte noch das Gefühl der Ohnmacht. Ohnmacht gegenüber jenen, die den Staat und alle Macht in Händen hielten. Man wußte: Im Westen ist zwar nicht alles besser, aber auf jeden Fall gerechter. Tausende riskierten ihr Leben bei dem Versuch, der Ungerechtigkeit zu entfliehen. Viele verloren es. Doch was fanden die neuen Bundesbürger vor in der real existierenden BRD-Wirklichkeit? Stellte sich für sie nach der Wende der erhoffte Quantensprung an Gerechtigkeit ein?

"In der DDR wußte jeder: Die da oben machen, was sie wollen", sagte mir kürzlich ein Bürger aus den neuen Bundesländern. "Bei euch im Westen sah das immer ganz anders aus - rechtsstaatlich eben. Viele Dinge waren bei uns erst möglich, wenn man den Behörden mit der BRD-Justiz drohte. In der real existierenden BRD-Wirklichkeit ist das jedoch fast so schlimm, wie bei uns in unseligen DDR-Zeiten. In der Bundesrepublik ist zwar die Fassade besser, dahinter geht es aber ebenso ungerecht zu wie einst bei uns. Die da oben sind genauso ,gleicher' wie einst die DDR-Funktionäre. Der einzige Unterschied ist der, daß man eine Seilschaft bei euch connection nennt". Vorwurf eines frustrierten Ossis gegen den BRD-Rechtsstaat? Was ist dran an dieser Kritik? Haben die neuen Bürger ein feineres Gespür für Gerechtigkeit? Gibt es bei uns die von denen da oben stets beschworene beziehungsweise geschworene Gerechtigkeit gegen jedermann?

Die Beispiele Kohl und Rau zeigen bereits exemplarisch, daß Gerechtigkeit als Gleichheit vor dem Gesetz in der Bundesrepublik tatsächlich nicht existiert. Beide Volksvertreter vergingen sich an den Gesetzen unseres Staates. Beiden stellte man Persilscheine aus. Kohls "Ehrenwort" markiert gar einen traurigen Tiefpunkt in der Justizgeschichte unseres Landes.

Marion Gräfin Dönhoff brachte es auf den Punkt: "Fraglich ist allein, ob jemand überhaupt ein Ehrenmann sein kann, der jahrelang seine Pflicht verletzt und der Verfassung untreu wird, ein Parteichef, der sich systematisch über das von ihm zu hütende Parteiengesetz hinwegsetzt." Ihre Antwort: "Helmut Kohl benutzt das Argument der Ehre, um seine Vergehen zu verbergen. Ist das nicht eher das Gegenteil eines Ehrenmannes?"

Mit seinen betrügerischen Flugabrechnungen steht Johannes Rau dem Kollegen Kohl allerdings in nichts nach. Im juristischen Windschatten dieser beiden "Patrone" verbergen sich noch weitere "ehrenwerte Ehrenmänner" und auch "Gangster in Nadelstreifen". Auch sie stehen lediglich auf Grund politischer "connections" nicht vor Gericht. Der bundesrepublikanische Fisch stinkt - wie stets - vom Kopf her. Der Grund dafür? Bundesdeutsche Staatsanwälte hängen an der Kette der Politiker! Der Richterbund fordert daher den Wegfall der politischen Weisungsgebundenheit.

Ist es zum Beispiel gerecht, Eigentum - Fabriken, Gewerbebetriebe, Land - im Osten anders zu behandeln als im Westen? Kein Mensch kam hier auf die Idee, Großspender Flick zu enteignen, obwohl der nach 1945 Jahre hinter Gittern saß. Tausende Bürger aus dem Osten sind aber als "Junker" noch immer enteignet. Dies ist der materiell gröbste Verstoß gegen geltendes Recht in der deutschen Geschichte. Die Lüge, Gorbatschow habe dies verlangt, war nicht zu halten. Nun begründet Kohl diesen Gesetzesbruch mit Vorgaben der Volkskammer. Das ist so erhellend wie fatal zugleich. Gesteht er damit doch ein, daß die LPG-Bonzen offenbar eine stärkere Lobby hatten - und zwar jenseits bestehender Gesetze.

Der allseits beklagte Mangel an Gründungsinitiativen in den neuen Ländern ist auch eine Folge dieser systematischen Enteignung derer, die diese Länder in der Vergangenheit unternehmerisch entwickelt haben. Die jüngst parteiübergreifend wiederentdeckten Eliten haben eben auch gute Seiten, und zwar die, Arbeitsplätze zu schaffen, die der Staat dauerhaft nie schaffen kann - allem Populistengeschwätz von Gabriel und Lafontaine zum Trotz.

Wie sieht es schließlich bei uns aus mit der sozialen Gerechtigkeit, mit dem Solidarprinzip? Vielen Bürgern gilt Hartz IV als ungerecht. Jenseits vordergründiger Argumente derer, die in 40 Jahren die Karre DDR systematisch in den Dreck fuhren, wird als ungerecht empfunden, daß gerade diejenigen weniger erhalten, die zuvor für ihr Alter Rücklagen gebildet haben. Faktisch entfällt mit Hartz IV auch für Millionen Bürger nicht nur das Bankgeheimnis. Dem steht aktuell die Weigerung der Vorstände großer Aktiengesellschaften gegenüber, ihr Einkommen offenzulegen. Einkommen, das sie sich aus dem Vermögen der Aktionäre selbst auf das eigene Konto überweisen. Ungerecht und unsolidarisch ist in diesem Staat aber auch, daß Millionäre sich - legal - brüsten können, noch nie im Leben Steuern gezahlt zu haben. Die Infrastruktur unseres Gemeinwesens nehmen sie aber wie selbstverständlich in Anspruch. Dagegen zahlt der "einfache" Arbeiter, Angestellte oder Rentner treu und brav sein Scherflein an den Staat. Steuergerechtigkeit ist angesichts des Steuerlabyrinths hierzulande ein Fremdwort. Dafür wachsen bei uns folgerichtig anstelle von Produktionshallen die Büros der Steuerberater in den Himmel.

Gerechtigkeitsdefizite in diesem unserem Lande entstehen, weil es in wesentlichen Bereichen zunehmend "scheinheilig" zugeht. Im Klartext: Der Geld-Schein heiligt die Mittel. Die Fassade steht zwar, aber dahinter knackt es immer vernehmlicher im Gebälk. Das ist eine ganz "natürliche" Entwicklung. Schon Vergil sagte vor 2.000 Jahren: "Doch die köstlichste Saat, ob noch so mühsam gesichtet, endlich artet sie aus, wenn die Hand des Menschen nicht jährlich das Schönste wählt, denn das Schicksal wandelt alles mählich zum Schlimmeren um und verschließt dem Bessern die Rückkehr".

Es bleibt nicht aus, daß "die da oben" die ihnen übertragene Macht auch für sich selbst einsetzen. Hier beginnt die Aufgabe für "Politik von morgen". Politik von morgen muß sicherstellen, daß "Gerechtigkeit gegen jedermann" nicht nur eine leere Eidesformel bleibt, wie die Leerformel von der Gleichheit in der DDR. "Justitia est fundamentum regnorum" - Gerechtigkeit ist die Grundlage der Regierung. Dies muß zwingend für jedermann gelten. Auch und gerade für die Regierenden.

Um dies morgen sicherzustellen, brauchen wir Staatsanwälte, frei von politischen Pressionen, wie es der Richterbund fordert. Sein Ziel: Aufklärung von "Regierungskriminalität". Ein Volk kann nämlich auf Dauer nur in Frieden leben, wenn die "gemeinsamen Verabredungen" von jedermann eingehalten werden - auch und gerade von den gewählten Volksvertretern. 

 

Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz, geboren 1951 als Sohn eines ostpreußischen Lehrers, studierte und promovierte an der TU Berlin. 1992 trat er in den Vorstand der Preussag Stahl AG ein, dessen Sprecher er 1994 wurde. 1998 wurde er abberufen, nachdem er sich geweigert hatte, den gefälschten Jahresabschluß des Unternehmens zu unterzeichnen.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren