19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.10.04 / Faszination Baltikum / Eine Kreuzfahrt zu den "Perlen der Ostsee"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Oktober 2004


Faszination Baltikum
Eine Kreuzfahrt zu den "Perlen der Ostsee"
von Uta Buhr

Die MS "Delphin Renaissance" hat Visby und Stockholm hinter sich gelassen und nimmt Kurs auf Estland. Eine steife Brise ist aufgekommen. Hoch schlagen die Wogen gegen den Bug des Schiffes. Schaumige Gischt spritzt den Passagieren an der Reling ins Gesicht. Einige ältere Mitreisende, die ihre Jugend im ehemaligen Reval verbracht haben, fiebern dem Landgang entgegen: "Ich bin gespannt, ob ich meine alte Heimat wieder erkennen werde", sagt die weißhaarige Dame aus Berlin. Die "Nachwende-Esten" stehen im Ruf, außerordentlich selbstbewußt zu sein. Die wirtschaftlichen Fortschritte des kleinen Landes sind rasant. Einer aus der Reisegruppe erzählt einen Witz, der hier im Baltikum grassiert: "Als nach dem Fall des Eisernen Vorhanges die Marx- und Lenin-Büsten entfernt wurden, bewerkstelligten dies die dynamischen Esten mit einem finnischen Hochleistungskran, die gemütlichen Litauer mit Hämmerchen und Meißeln. Die Letten hingegen bildeten erst einmal eine Kommission ..."

Die Paßkontrolle in Tallinn verläuft, wie erwartet, schnell und unbürokratisch. Eine junge modebewußte Stadtführerin namens Ülle trippelt behende auf Bleistiftabsätzen über das holperige Pflaster und leitet ihre Gruppe in perfektem Deutsch durch die bewegte Geschichte Estlands, die sich, wie sie betont, stets durch ein hohes Maß an Autonomie ausgezeichnet hätte. Und das selbst während der Sowjetherrschaft. Nach ihrer Meinung ist Estland auch das einzige Land unter den zehn neuen Mitgliedern, das sich für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union qualifiziert. Die 1,6 Millionen Esten haben nicht nur das jüngste, sondern auch das modernste Parlament der Welt. "Wir sind das erste papierlose Parlament der Welt", verkündet Ülle stolz. "Bei uns läuft alles elektronisch. High-Tech ist die Zukunft Estlands." Das historische Tallinn ist vorbildlich restauriert. Trutzige Befestigungsmauern umgeben die Oberstadt. Auf dem Domberg innerhalb der Festung liegt der imposante Dom aus dem 17. Jahrhundert, das älteste Gotteshaus Tallinns. An die Hanse, die mächtige mittelalterliche Wirtschaftsvereinigung im Ostseeraum, erinnert eine Reihe einzigartiger Gildehäuser. Geschäftstüchtige junge Leute posieren in Wams und Mieder vor ihren hölzernen Karren mit der Aufschrift "Die Olde Hanse" und verkaufen allerlei Leckereien unter anderem gebrannte Mandeln an die Fremden. Nostalgie ist "in". Ein estnischer Student, der in Heidelberg Medizin studiert hat, holt die deutschen Touristen wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurück: "Hier im Zentrum ist alles wunderbar", sagt er. "Aber in den Randgebieten sieht alles noch gar nicht rosig aus. Es ist noch viel zu tun."

Szenenwechsel. Bei schönstem Wetter legt das Schiff im Hafen von St. Petersburg an. Schon früh am Morgen strahlt die Sonne von einem völlig wolkenlosen Himmel auf eine der schönsten Städte der Welt herab. Am Pier erwartet ein Geigen/Trompeten-Duo die Passagiere mit der deutschen Nationalhymne. Etwas weiter führt ein bärtiger Mann einen riesigen tapsigen Bären an einer Leine herum. Nach einer Fotopause geht es per Bus mitten in das pralle Leben Petersburgs hinein. Auf Geheiß Peters des Großen im frühen 18. Jahrhundert von den berühmtesten Barock-baumeistern jener Zeit als einzigartiges Kunstwerk modelliert, verzaubert die Stadt am Delta der Newa auch heute noch jeden Besucher. Genauso wie einst Alexander Puschkin, Fjodor Dostojewski und Leo Tolstoi, die einen großen Teil ihres Lebens in den Mauern dieser von Flüssen und Kanälen durchzogenen Wasserstadt verbrachten und Petersburg als die "abstrakteste" aller Städte empfanden. Es ist vermessen, die unzähligen Sehenswürdigkeiten vor Ort in zwei Tagen "schaffen" zu wollen. Die übliche Rundfahrt führt über die Ostspitze der Basilius-Insel zum Smolny Kloster und später zum Panzerkreuzer "Aurora". Vor diesem 1900 gebauten Schiff, das zwei Revolutionen überdauert hat, klicken die Kameras. In der mächtigen Isaak-Kathedrale treten sich die Touristen aus aller Herren Ländern auf die Füße. Babylonisches Stimmengewirr liegt in der Luft. Der Newskij Prospekt, die fünf Kilometer lange und 35 Meter breite Prachtstraße - im Volksmund "Newskij" genannt - lädt mit schicken Läden und Boutiquen, Cafés und Restaurants zum Bummeln ein. Die "neue Generation", junge, westlich gestylte Russen, geben hier den Ton an. Hin und wieder gleitet eine lang gestreckte Limousine mit dunkel getönten Scheiben den Boulevard hinunter. Nichts scheint auf den ersten Blick von der alten grauen Sowjet-union übrig geblieben zu sein. Ein Schlenker in eine der verschwiegenen Nebenstraßen enthüllt ein anderes Bild. Hier sitzen alte, ärmlich gekleidete Frauen auf einer Bank und lächeln mit zahnlosen Mündern in die Kamera. Dann halten sie die Hände auf und bitten um eine Spende.

Und weiter geht die Tour durch die ehemaligen Stadtpaläste lange versunkener Fürstengeschlechter zur atemberaubenden Ermitage mit ihren zwei Millionen Kunstgegenständen und schließlich zum Peterhof, dessen vergoldete Kuppeln schon aus der Ferne grüßen. Den absoluten Höhepunkt bildet der Besuch des berühmten Bernsteinzimmers im Katharinenpalast. "Im Krieg ging dieses Kleinod - übrigens ein Geschenk Preußens an Zar Peter den Großen - verloren. Es wurde jüngst mit deutscher Hilfe originalgetreu neu geschaffen", erklärt der russische Reiseleiter.

Als die "Delphin Renaissance" einige Stunden später St. Petersburg verläßt und an den armseligen Wellblechsiedlungen im Weichbild der Stadt vorbei gleitet, wenden sich einige Passagiere erschrocken ab: "Im Angesicht dieses Elends hat man ja fast ein schlechtes Gewissen, zum heutigen Galadinner Hummer und Langusten zu verspeisen", resümiert eine resolute Wienerin.

"Willkommen in Lettland", verkündet eine bunte Tafel am Pier von Riga. Nebelschwaden liegen über der Düna (lettisch Daugava). Die Skyline, dominiert vom spitzen Turm der Jakobikirche, dem barocken Aufbau von St. Petri und der wuchtigen Konstruktion des Domes, scheint über dem Fluß zu schweben. Im Vordergrund das Rigaer Schloß mit seinem ockerfarbenen Eckturm. Hier residiert Vaira Vike Freierberga, Lettlands beliebte Staatspräsidentin. Ein Rundgang mit Studentin Santa ist ein Vergnügen der besonderen Art. Sie hat jenen feinen, hintergründigen Humor, der den Letten eigen ist. Während der Sowjetzeit, die ihren blutigen Höhepunkt im Februar 1991 erreichte, hielten die Letten sich mit Galgenhumor und Anspielungen bei Laune. Die Hängebrücke über die Düna - ein grandioses Beispiel echten Weltniveaus im Sozialismus - taufte der Volksmund spontan "Balalaika von Voss". Namensgeber war der seinerzeitige Erste Sekretär der kommunistischen Partei Lettlands von Moskaus Gnaden.

Doch das sind tempi passati. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit im August 1991 blickt Lettland nach vorn. Es geht langsam, aber stetig aufwärts, und Riga ist auf dem besten Wege, wieder die ungekrönte Königin des Baltikums zu werden. Die Stadt brummt. Wo gestern noch ein graues unscheinbares Gebäude stand, strahlt heute ein in leuchtenden Farben gestrichenes Kleinod. Jenen, die das alte Viertel durchqueren und über den Stadtgraben in die Neustadt überwechseln, öffnet sich ein Jugendstilmuseum. In der Alberta iela hat sich der Architekt Michael Eisenstein mit seinen prachtvoll überladenen, an allegorischen Figuren reichen Häusern ein Denkmal gesetzt. Gleich nebenan in der Elizabetes iela finden sich schöne Beispiele für die Verschmelzung von Jugendstil mit typischen Elementen des Neoklassizismus.

Ein Abstecher nach Jurmela an der "lettischen Riviera" schließt sich an. Entlang des 450 Kilometer langen Ostseestrands reihen sich prachtvolle Villen aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die meisten sind inzwischen mustergültig restauriert. Die häßlichen Plattenbauten, Relikte des real existierenden Sozialismus, sind dem Verfall anheim gegeben und werden sicherlich bald abgerissen.

Das litauische Jugendorchester begrüßt die Gäste im Hafen mit einer schmetternden Fanfare. Klaipeda, das ehemalige Memel, ist wahrhaft keine Augenweide unter den baltischen Städten. Außer dem hübschen Theaterplatz mit dem in Bronze gegoßenen "Ännchen von Tharau" hoch über dem Brunnen gibt es hier nicht allzu viel zu bewundern. Rund um den Platz gruppieren sich zahllose Stände mit Bern-steinschmuck. Für zehn Euro ist schon eine hübsche Halskette oder ein apartes Armband zu haben.

Doch Vorsicht ist geboten. Viele Stücke haben mit dem "Gold der Ostsee" lediglich die Farbe gemeinsam. Sie sind schlicht aus Plastik.

Zu einem Erlebnis gerät die Fahrt zur Kurischen Nehrung. Die 98 Kilometer lange Sandbank trennt das Kurische Haff von der Ostsee. 1992 wurde die gewaltige Dünenkette zum Naturschutzgebiet erklärt. Hier befinden sich die höchsten Dünen Europas. Weite einsame Buchten, weitläufige Strände, Kiefern- und Birkenwälder locken Erholungssuchende aus allen Teilen des Landes und immer mehr Touristen aus dem Westen an. Nida, das frühere Nidden - ein Badeort wie aus dem Bilderbuch - ist so etwas wie ein Wallfahrtsort für Liebhaber der Werke Thomas Manns. Das behagliche Holzhaus, in dem der Dichter 1930 die Sommerferien mit seiner ganzen Familie verbrachte, heißt heute "Thomas-Mann-Museum". Hier finden regelmäßig hochkarätige kulturelle Veranstaltungen statt.

Der nächste Hafen auf der Route ist Gdynia in Polen. Dieser Name, den Älteren noch als Gotenhafen bekannt - weckt traurige Erinnerungen an eine der größten Schiffskatastrophen des letzten Jahrhunderts. Hier sank kurz vor Kriegsende das KdF-Schiff "Wilhelm Gustloff" nach dem Beschuß durch sowjetische Torpedos und riß Tausende von Menschen in den Tod. "Doch der Hafen steht auch für einen Neubeginn", sagt Ilona, die sympathische Frau aus Zoppot. "Denn 1989 brach unter dem Druck der Gewerkschaft ,Solidarität' das kommunistische Regime zusammen und ebnete den Weg in Polens politische Souveränität." Der wichtigste Hafen des Landes gibt optisch nicht viel her. Plattenbauten und graue Mietshäuser säumen die Straßen. Ein Lichtblick ist das Seebad Zoppot mit seinen silbernen Sandstränden und der nostalgischen Bäderarchitektur. Eine Schönheit wie aus einem Guß aber ist Danzig. Auf dem Langen Markt reiht sich wie auf einer Perlenkette ein prachtvolles Gebäude mit kunstvoll geschnitzten Türen und filigranen steinernen Figuren an den Giebeln an das nächste. Treffpunkt der Danziger ist der elegante Neptunbrunnen. "Würden Sie glauben, daß diese Stadt 1945 zu über 90 Prozent dem Erdboden gleich war", fragt der freundliche alte Mann in fast perfektem Deutsch. "Alles hier wurde von unseren Leuten Stein für Stein mühsam wieder aufgebaut. Heute darf man es ja sagen: Die Russen haben noch nach Ende der Kriegshandlungen hier erheblichen Schaden angerichtet." Auch das hölzerne Krantor, das Wahrzeichen der Stadt Danzig, erstrahlt schon seit langem in altem Glanz, nachdem es völlig abgebrannt war.

Westlich von Danzig erstreckt sich die malerische, sanfthügelige Moränenlandschaft der Kaschubischen Schweiz. Tiefe Wälder und von üppigem Grün gesäumte Seen prägen den Landschaftscharakter. Seinen Namen verdankt das Gebiet dem westslawischen Stamm der Kaschuben, die hier seit dem 13. Jahrhundert leben. Vor der barocken Kirche des 1380 gegründeten Kartäuserklosters begrüßt ein fröhliches Ehepaar die Touristen aus Deutschland: "Weltberühmt geworden sind die Kaschuben durch Ihren Schriftsteller Günter Grass in seinem Roman ,Die Blechtrommel'. Und auch Werner Bergengrün, der im Baltikum aufwuchs, hat ein wunderschönes Gedicht über uns geschrieben, in welchem er sich wünscht, das Christkind wäre hier bei uns zur Welt gekommen. Oh, Kindchen, wirst Du im Kaschubenland geboren ..." Hieraus entsteht ein launiger deutsch-polnischer Dialog, der viel zu früh von der Reiseleitung, die die Rückkehr zum Schiff anmahnt, das gegen Abend seinen Anker in Richtung Kopenhagen lichtet, unterbrochen wird. n

Auskunft, Prospekte und Buchung bei: Delphin Seereisen GmbH, Neusalzer Straße 22e, 63069 Offenbach am Main, Telefon (069) 98 40 38 11, Fax 98 40 38 40, www.delphin-kreuzfahrt.de .

Nostalgie ist "in": Geschäftstüchtige junge Leute posieren in der historischen Altstadt von Tallinn in Wams und Mieder vor ihren hölzernen Karren und verkaufen allerlei Leckereien wie gebrannte Mandeln.

"Abstrakte" Wasserstadt: St. Petersburg hat neben dem Peterhof viele weitere prunkvolle Bauwerke aufzuweisen. Aber auch das Alltagsleben der Gegenwart fasziniert mit seinen Kontrasten. Fotos (2): Buhr


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren