Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Oktober 2004
Als Agnes Miegel am 26. Oktober 1964 - nur wenige Monate nach ihrem 85. Geburtstag - in einem Krankenhaus
von Bad Salzuflen ihre Augen für immer schloß, trauerten nicht nur eine große
Lesergemeinde, sondern auch viele Menschen, die diese große Dichterin auf ihrem
Lebensweg begleiten durften. Besser noch als das karge Gerippe eines
Lebenslaufes, als nüchterne Daten und Fakten zeigen die Stimmen der Freunde und
Zeitgenossen eines Menschen das wahre Erbe, das dieser hinterlassen hat. Wenn an
dieser Stelle nun einige Persönlichkeiten zu Wort kommen, die Agnes Miegel noch
selbst gekannt haben, so mag das dazu beitragen, das Lebensbild der "Mutter
Ostpreußen", wie die Dichterin verehrungsvoll schon zu Lebzeiten
genannt wurde, anschaulich zu machen.
Fritz Kudnig, der Dichter und Schriftsteller aus Königsberg und erster Träger
der 1959 vom Tatenhausener Kreis gestifteten Agnes-Miegel-Plakette, schrieb über
die Dichterin: "Sie besaß eine unbeschwerte Naivität, die brüderliche Liebe und
Lebensinnigkeit aller wahrhaft großen Menschen und Künstler." Und Ina Seidel
würdigte nach dem Tod der Freundin ihr Werk: "Agnes Miegel war so wenig eine
ostpreußische Heimatdichterin, wie Annette von Droste-Hülshoff eine
westfälische. Beide sind als Dichterinnen im weitesten und höchsten Sinn zu
betrachten, nicht allein was die schöpferische Imagination und die gestaltende
Sprachgewalt betrifft, sondern auch im Hinblick auf eine seherische Gabe, die in
der ihnen eigenen Form häufiger Frauen als Männern verliehen zu sein scheint,
aber nur selten in Verbindung mit hochgradig dichterischer Veranlagung
auftritt." Auch Paul Fechter verwies einmal auf die Beziehung zur Droste: "Das
stimmt und stimmt nicht, wie alle Vergleiche. Sie hat die gleiche großartig
gestaltende Kraft des dichterischen Menschen wie Annette, aber der dichterische
Mensch in ihr ist Mensch des Ostens, das heißt des strömenden, ungebundenen,
hinreißenden Gefühls gegenüber allem, was Leben heißt." Tochter Sabine Fechter
erinnerte sich an eine Begegnung mit Agnes Miegel an einem heißen Sommertag 1957
in Berlin: "Unvergeßlich bleibt mir das Bild dieses sonnenheißen Mittags. Die
Dichter wissen nicht nur das Grauen und den Spuk ebenso zu bannen, wie sie
beides beschworen - auch das Bleibende stiften sie. Agnes Miegel jedenfalls
besaß diese Gabe vor vielen."
Der Schriftsteller Bernt von Heiseler sah die Bedeutung ihres Werkes eher im
Sichtbarmachen des Alltäglichen: "Es war bei Agnes Miegel immer wieder dies: aus
dem wachen menschlichen Tages-Erleben kam ihr der Zeigestab; aber es schien ein
unsichtbarer Huldgeist des Landes zu sein, der ihn ihr zureichte und sie dazu
anstiftete, auf die magischen Bildtafeln hinzudeuten, die unseren Lebensbereich
umgeben und unter der Stabanrührung Sichtbarkeit und Farbe gewinnen. So lernten
wir das Schlichte als Bedeutungsbereich, das Alltägliche als Geheimnis
erkennen."
Den Verehrern und Freunden Miegelscher Dichtkunst, die es auch heute, vier
Jahrzehnte nach dem Tod der Dichterin, noch in großer Zahl gibt, hat die
Schriftstellerin Gertrud von le Fort zweifellos aus dem Herzen gesprochen, als
sie schrieb: "Von früher Jugend auf hat mich die Dichtung Agnes Miegels
begleitet ... Sie wird lebenlang bei mir bleiben, denn sie altert nicht, sie
wandelt sich nicht, sie stirbt nicht. Dem jeweiligen Zeitgeist nicht
unterworfen, übersieht sie dessen wechselnde Forderungen ... Agnes Miegels
Stimme ist gleicherweise der Zeitlichkeit wie der Ewigkeit verbunden ..." Elly
Heuss-Knapp, die Gattin des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, begegnete
Agnes Miegel 1931 während einer Vortragsreise in Königsberg; es kam zu einem
regen Austausch: "Diese Stunde bei Agnes Miegel, die mir bisher gar nicht viel
bedeutete, gehört zu meinen allerschönsten Erlebnissen überhaupt ..." Zwei Jahre
später war sie wieder in Ostpreußen: "In Königsberg Vortragspublikum glänzend,
sehr sympathische Frauen darunter. Ich stand ganz unter dem Eindruck von Agnes
Miegels Gedichten, die seherisch sind. Ich kauf' sie mir und bitte um Autogramm
darein ..."
Ruth Geede war noch ein Kind, als sie Agnes Miegel zum ersten Mal begegnete. Als
Schülerin erlebte sie schließlich eine Lesung der Dichterin: "Sie nahm uns, wie
man Kinder an der Hand ergreift, und führte uns durch das Land unserer Kindheit.
Sie sprach von Muscheln und Brunnen und Bernstein. Alles war so klar und
bildhaft, als würfe sie eine Handvoll Sand in die Luft und finge ihn auf und
ließe ihn zwischen den Fingern zerrinnen. Es war eine Sprache, die wir
verstanden ..." In dem hektischen Literaturbetrieb unserer Tage wird über Wesen
und Werk der Dichterin kaum noch gesprochen. Sie aber lebt weiter bei all denen,
die sich den Sinn für das Unvergängliche bewahrt
haben. Silke Osman |