Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Oktober 2004
Es ist 6 Uhr morgens litauischer Zeit. Nur die Scheinwerfer des Überlandbusses
Memel-Königsberg durchschneiden die Dunkelheit, doch vor dem Bus herrscht reges
Treiben. Litauer, Russen und zwei deutsche Touristen befinden sich bei Abfahrt
im Omnibus, der bis auf wenige Plätze besetzt ist. Es riecht nach Schmutz,
fettigen Haaren, feuchten Klamotten und Alkohol. Besonders letzterer erfüllt die
Luft dermaßen, daß der Nüchterne befürchten muß, nur durch das reine Atmen schon
trunken zu werden.
Langsam chauffiert der Fahrer den Autobus Richtung Fähre, denn die Linie
Memel-Königsberg führt über die Kurische Nehrung, und da bei Memel das Kurische
Haff auf die Ostsee trifft, muß mit dem Schiff auf die Nehrung übergesetzt
werden.
Doch der Bus kann nicht ungehindert auf die Fähre setzen. Aus dem Dunkel stürzen
etwa 25 Menschen aller Altersklassen auf ihn zu. Sie alle wollen noch in sein
Inneres. Fast alle von ihnen tragen Plastikeimer, Tüten und Taschen bei sich,
wie übrigens auch die meisten der schon im Fahrzeug befindlichen Passagiere.
Als wäre es der letzte Bus, der Memel über die Kurische Nehrung Richtung
Königsberg verläßt, beginnt das große Drängeln. Es wird geschubst und geschoben.
Der Fahrer scheint vergessen zu haben, daß sein Gefährt nur wenig mehr als 50
Sitzplätze besitzt, denn er läßt immer mehr Leute hinein. Die Scheiben im Bus
beschlagen, die Luft wird noch unerträglicher. Die beiden deutschen Reisenden
verspüren Ekel angesichts der Menschen in schäbigen und teils dreckigen
Klamotten, die nun direkt neben ihnen im Gang stehen, sich an der Gepäckablage
festhalten und versuchen, ihre Eimer irgendwo zwischen Mensch und Sitz zu
verstauen.
Irgendwann erkennt auch der Fahrer, daß die Transportkapazität seines Busses
ausgelastet ist und verschließt die Tür. Etwa acht Leute blicken sehnsüchtig von
außen nach innen, die beiden Deutschen bedrängt von innen nach außen.
Langsam zuckelt
das überfüllte Fahrzeug auf die bereitstehende Fähre, wo sich zahlreiche weitere
Menschen mit Eimern, Tüten und Taschen befinden. Nachdem die Fähre angelegt hat,
sausen die Fußgänger herunter, als wäre der Startschuß für einen Marathon
gefallen. Auch der Bus setzt seine Reise fort. Gelassen fährt er entlang der
schmalen Nehrungsstraße. Links das Haff, rechts Nadelwälder, irgendwo dahinter
die Ostsee. Mitten in diesem Nirgendwo hält der Bus plötzlich unvermittelt.
Königsberg ist noch weit, zwar nicht in Kilometern, aber in Stunden gemessen,
denn dazwischen liegt die litauisch-russische Staatsgrenze und die zu
überschreiten kostet Zeit. Allerdings steigen hier im Nirgendwo etwa zehn
Fahrgäste aus. Etwa fünf Kilometer weiter wieder ein Halt. Abermals steigen
einige Personen aus und verschwinden im Wald und langsam dämmert es den
deutschen Reisenden. Das inzwischen aufziehende Tageslicht läßt nämlich den
Blick in den Wald zu, wo zahlreiche Pilze aus dem moosigen Waldboden ihre Köpfe
erheben und auf die stürzen sich die Ausgestiegenen. Pilze sammeln, für viele
von ihnen eine dringend benötigte Einnahmequelle. Rebecca Bellano |