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30.10.04 / Bewahrer der Kultur / Wo die literarischen Fäden zusammenliefen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. Oktober 2004


Bewahrer der Kultur
Wo die literarischen Fäden zusammenliefen
von Ruth Geede

Manchmal hat man mich gefragt, welche Bücher ich mitnehmen würde, wenn ich für längere Zeit auf eine einsame Insel ginge - freiwillig oder nicht sei dahingestellt. Da brauchte ich nicht lange zu überlegen: Natürlich das Buch aller Bücher, die Bibel. Das überraschte nicht. Um so mehr Nr. 2: Die "Litauischen Geschichten" von Sudermann. In keinem Buch ist die Heimat meiner Vorfahren, das nördliche Ostpreußen, für mich so lebendig wie in diesen Erzählungen, in denen Mensch und Land eng ineinander verbunden, verwebt in einen literarischen Teppich des Lebens. Wenn es mir mal ganz mies geht - auch ohne Inselkoller - lese ich "Jons und Erdme", diese fast archaische Geschichte vom Kampf um das Dasein, von Anfang und Ende und Wiederbeginn.

Und Nr. 3? Ach, das hat weniger mit geistiger Nahrung zu tun, sondern umgekehrt: Es wäre das alte "Doennigsche Kochbuch". Danach kann man auch auf einer einsamen Insel fernab jeglichen Küchenkomforts was Delikates auf den Tisch bringen.

Nun, ganz ernst gemeint ist dieses Fragespiel nicht, auch nicht die Antwort, aber vielleicht überlegen Sie doch mal, welche Bücher Sie mitnehmen würden? Die Wahl dürfte schwer fallen, denn die Literaturpalette ist so breit gefächert wie nie zuvor, das hat die letzte Buchmesse bewiesen. Und selbst, wenn Sie Harry Potter nicht mögen, sind solche hochgespielten Bestseller wichtig, denn die auf elektronische Medien fixierte Jugend lernt so wieder das Lesen. Lernt, sich in Ruhe mit einem Buch zu beschäftigen, sich mit dem gelesenen Inhalt auseinander zu setzen, die Phantasie zu bemühen. Wenn erst die Lesebereitschaft geweckt ist, dann ist schon der Anfang gemacht: Ein erster Schritt in die so ungeheuer breit gespannte Welt des Buches, der Literatur.

Ich kann mich glücklich schätzen, daß ich eine lesereiche Kindheit hatte, die mein ganzes Leben bis heute bestimmt hat. Und mit Stolz kann ich auch Ignoranten erklären, daß ich aus einem Land stamme, das in der europäischen Literatur einen hohen Stellenwert einnimmt. Die bis in das 16. Jahrhundert zurückgeht, als Frauenburg und Königsberg als Zentren der Wissenschaft das geistige Leben Europas maßgeblich beeinflußten. Zwar hatte es zur frühen Ordenszeit schon eine Dichtkunst gegeben, aber sie war fast ausschließlich Bibeldichtung und Heiligenlegende. Das preußische Literaturschaffen hat in der Gründung der Königsberger Universität im Jahre 1544 seinen Ausgangspunkt, denn Herzog Albrecht selber war einer der bedeutendsten Kirchenliederdichter der Reformationszeit. Zur Hochblüte aber gelangte die Dichtkunst ein Jahrhundert später mit Simon Dach und seinem Freundeskreis, der sich in der berühmten "Kürbislaube" zusammenfand, jenem Musentempel am Pregel, in dem auch das "Anke von Tharaw" entstand, der plattdeutsche Hochzeitsreigen für die Tharauer Pfarrerstocher Anna Neander. Später von Herder in hochdeutscher Fassung in seine berühmte Sammlung "Stimmen der Völker" aufgenommen, wurde es, von Silcher vertont, zum Volkslied - heute noch gehört es zu den fünf bekanntesten deutschen Volksliedern!

Mit Herder, Kant und Hamann gelangte das Geistesleben in Königsberg zu einer Höhe, wie sie damals keine andere deutsche Stadt erreichte. Der Wegbereiter war der Königsberger Gottsched, der als Professor für Poesie durch seine Stil- und Sprachschule die gesamte deutsche Klassik beeinflußte. Herder, der einen großen Einfluß auf Goethe hatte, galt als Meister des gesprochenen Wortes, wie Wilhelm von Humboldt bestätigte: "Nie hat ein Mann schöner gesprochen als Herder!"

Auf diesem Humusboden konnte dann in den folgenden Jahrhunderten in Ostpreußen eine Dichtung wachsen, die sich mit großen Namen in die deutsche Literatur einschrieb; E.T.A. Hoffmann, Arno Holz, Max Halbe, Hermann Sudermann und viele, viele andere. Herausragend Ernst Wichert mit seinen großen Romanen und vor allem Agnes Miegel, die Inkarnation Ostpreußens, mit ihren Balladen, Gedichten und Erzählungen. Noch heute und für immer. Nach dem Krieg kamen dann die Jüngeren, aber noch dort Geborenen, für die Namen wie Siegfried Lenz und Arno Surminski stehen. Was wäre die deutsche, die europäische Literatur ohne sie?

Kein Wunder also, daß unsere Leserinnen und Leser eine besondere Beziehung zum Buch haben. Und nicht nur zum geschriebenen, sondern auch zum gesprochenen Wort, denn das Hörbuch gewinnt immer mehr Freunde. Es vermittelt, von hervorragenden Interpreten gesprochen oder sogar von den Autoren gelesen, eine noch intensivere Verbindung zu dem literarischen Werk, gleich ob Lyrik oder Epik, daheim zur gewünschten Stunde.

Unter den vielen Superlativen, mit denen Ostpreußen aufwarten kann, findet man auch den der größten Sortimentbuchhandlung Europas. Die befand sich im "Haus der Bücher", der Buchhandlung Gräfe & Unzer am Paradeplatz in Königsberg. Ein Haus, das nicht nur das rege kulturelle Leben der Pregelstadt bezeugte, sondern auch das in Jahrhunderten gewachsene preußische Geisteslebens be- wahrte und sich als Verlag verpflichtet fühlte, die Werke bedeutender Wissenschaftler und Literaten einer breiten Leserschaft zu vermitteln. Denn die Ostpreußen waren und sind ein lesefreudiges Volk, wie auch heute das große Interesse an den Werken der Schriftsteller beweist, die ihre Heimat bewahren und sie im Wort lebendig werden lassen.

Das hat Tradition, denn schon erste Zeugnisse preußischer Druckkunst entstanden in Königsberg wie die berühmte "Hennenbergersche Chronik", genauer "Die kurze und wahrhafftige Beschreibung des Landes zu Preussen durch Casparum Hennenbergern Pfarherrn zuz Mülehausen," gedruckt "zu Königsperg in Preussen 1584". Die erste Druckerei und Buchhandlung wurde schon 1523 in Königsberg gegründet. 1596 verlegte Johann Hallervord die Werke von Simon Dach. Das Buchwesen gelangte zur vollen Blüte in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Königsberg wurde zu einer der bedeutendsten Stätten des deutschen Verlagswesens und Buchdrucks. Der Königsberger Universität, der Albertina, oblag die Bücherzensur. Mit ihrer Zustimmung wurden Bücher verlegt, die das Geisteswesen grundlegend verändern sollten. Und nicht nur das deutsche: Die Offizinen am Pregel druckten Werke in litauischer, polnischer, lettischer und estnischer Sprache wie die Bibel und Gesangbücher. Für Litauen auch die weltlichen Gesänge des Pfarrers Christian Doneleitis, die erste Literatur in litauischer Sprache überhaupt.

Als besonders erfolgreiche Verleger jener Zeit haben sich Johann Heinrich Hartung und Johann Jacob Kanter in die deutsche Literaturgeschichte eingeschrieben. Während sich Hartung dem Zeitungswesen zuwandte - sein Name blieb bis in unsere Zeit in der "Königsberger Hartungschen Zeitung" erhalten - wurde Kanter zum führenden Verleger im Nordosten Europas. In ihm fanden die wissenschaftlichen und literarischen Werke der Großen ihrer Zeit einen Verleger, der ihrer Bedeutung entsprach. Den Erfolg führte dann sein Nachfolger, der in Goldap geborene Johann Friedrich Hartknoch in Königsberg und Riga weiter, der auch zum Verleger Kants wurde. Bei Hartknoch erschien u. a. 1781 seine "Critik der reinen Vernunft". Die "Religion innerhalb der Grenzen der großen Vernunft" wurde 1798 bei Friedrich Nicolovius in Königsberg gedruckt.

Kanter verband seinen verlegerischen Spürsinn mit buchhändlerischem Können: Er eröffnete 1786 im Löbenichtschen Rathaus die erste moderne Buchhandlung Mitteleuropas, in der die Lesefreudigen sich im bequemen Lehnstuhl in aller Ruhe mit der reichlich gebotenen Literatur beschäftigen konnten. Bei Kanter traf sich die gebildete Welt, Hamann und Kant standen ihm nahe. Nachdem Hartung, der übrigens auch "Werthers Freunde, Werthers Leiden" verlegt hatte, die 1722 von Christoph Eckart gegründete erste Buchhandlung großen Stils übernommen hatte, ging auch das Kantersche Unternehmen in dieser auf. Nach erneutem Wechsel erhielt sie 1831 endgültig den Namen ihrer neuen Inhaber "Gräfe & Unzer".

Solch eine Tradition verpflichtet! Königsberg blieb, bis es in Trümmer fiel, eine Stadt der Verlage, der Buchhandlungen, der Druckereien, wie andere Städte in Ostpreußen. Und nach Flucht und Vertreibung? Wir sind dem Buch treu geblieben. Denn es ist und bleibt der versierteste Informant, verläßlichster Begleiter, der immer bereite Tröster - jederzeit da, wenn es gebraucht wird.

Ruth Geede, die Autorin dieses Beitrags, ist nicht nur den Lesern der Preußischen Allgemeinen Zeitung als "Mutter" der Ostpreußischen Familie bestens bekannt. Neben ihren regelmäßigen Artikeln in dieser Zeitung hat sie auch zahlreiche Bücher - Belletristik, Kinder-, Hör- und Sachbücher - publiziert. Nachfolgend finden Sie eine Auflistung der zur Zeit lieferbaren Titel: "Wo der Sprosser sang", "Kurische Legende", "Typisch ostpreußisch", Der Wiesenblumenstrauß", "Das Bernsteinkettchen". Als Hörbuch sind folgende Titel erhältlich: "Der Wiesenblumenstrauß" (MC), "Mächen aus dem Bernsteinland" (CD) und "Hoch oben schwebt Jule" (CD).

Sie genossen Preußens Bildung: Der Philosoph und Theologe Johann Gottfried Herder (l.) studierte wie sein noch berühmterer Zeitgenosse Immanuel Kant in der Pregelstadt. Foto: Archiv


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