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30.10.04 / Glaubensfrage

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. Oktober 2004


Glaubensfrage
von Waltraud Fabisch-Rynek

Oma", mein fünfjähriger Enkel kam aufgeregt aus dem Kindergarten direkt in die Küche und warf seine Brottasche auf den Küchenstuhl: "Oma", wiederholte er "die Kindergartentante sagt, es gibt keinen ,Lieben Gott', dann muß ich abends im Bett auch nicht mehr beten, oder?"

Ich schluckte verblüfft. "So, sagt sie das?" wiederholte ich, um Zeit zu gewinnen. "Ja." Ich las die Spannung in seinem kleinen Gesicht. Er kniff die Lippen zusammen und schaute mich mit geweiteten Augen fest an.

"Sie weiß es wohl nicht besser", erwiderte ich gelassen.

"Du meinst, sie hat gelogen?"

"Nein, sie ist vielleicht der Ansicht, daß es keinen ‚Lieben Gott' gibt."

"Aber", er setzte sich auf den Küchenstuhl und begann heftig mit den Beinen zu schwingen, "ich glaube nämlich auch nicht, daß der ,Liebe Gott' im Himmel wohnt - wo ist denn da ein Fußboden?"

Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. "Gehe bitte erst einmal ins Bad und wasche dir die Hände, ich mache rasch das Essen fertig", wich ich aus.

"Gut, aber dann will ich wissen, wie er da oben ohne Fußboden wohnen kann." Energisch stapfte er davon.

Nach wenigen Minuten war er wieder da, setzte sich an den Tisch und sah mich erwartungsvoll an.

"Ja, weißt du, Gott braucht keinen Fußboden", begann ich, während ich die Gemüsesuppe in seinen Teller gab. "Worauf geht er denn?" unterbrach er mich skeptisch.

"Gott geht überhaupt nicht, er ist kein Mensch wie du und ich. Er

ist nicht sichtbar, er ist hier und gleichzeitig überall."

"Ha, ha", er begann laut zu lachen, "wenn er hier ist, kann er doch nicht überall sein!"

"Doch, das kann er. Er ist kein alter Mann mit gütigen blauen Augen und einem weißen langen Bart, etwa so wie der Weihnachtsmann. Gott ist eine ungeheuere Kraft. Er hat die Sterne, den Mond und unsere Erde gemacht. Er kann einfach alles. Er kann auch alles wieder zerstören. Aber wenn wir zu ihm beten, hilft er uns, denn seine Kraft ist auch ein wenig in uns selbst. Gott ist in allen Dingen - auch in dir."

Ich schöpfte Atem und schwieg.

Das kleine Gesicht wirkte nachdenklich, sinnend sah er an mir vorbei: "Macht der ‚Liebe Gott' auch Krieg?"

"Nein, das machen nur die dummen Menschen, aber er läßt es zu, daß sie einander totschießen, wir Menschen sind nicht klug genug, Gott zu verstehen."

Er holte tief Atem, sah mich entschlossen an und sagte: "Heute abend werde ich beten, daß er mir ein Gewehr macht, mit dem man um die Ecke schießen kann."

Sprach's und löffelte eifrig seine Suppe.


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