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06.11.04 / Keine Sternstunde für das Europaparlament

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. November 2004


Gedanken zur Zeit:
Keine Sternstunde für das Europaparlament
von Wilfried Böhm

Weniger als die Hälfte der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union (EU) hatten sich am 11. Juni 2004 an den Wahlen zum Europarlament beteiligt. In Deutschland waren es ganze 43 Prozent der Wahlberechtigten - und es wären noch weniger gewesen, wenn nicht gleichzeitig in einer Reihe von Bundesländern Landtags- und Kommunalwahlen einen "Mitwahleffekt" für das Europaparlament geboten hätten. Die Europawahl wurde zu einer Volksabstimmung gegen das Brüsseler Europa, dessen riesige bürokratische Umverteilungsmaschinerie hauptsächlich von Deutschland als dem weitaus größten Nettozahler zu betreiben ist, und das trotz der immensen Kosten für die Überwindung der Sozialismus-Folgen in Deutschland nach dem Beitritt der Länder im Bereich der früheren DDR. Die Europawahl war alles andere als ein Auftrag für ein kraftvolles demokratisches Parlament und erst recht nicht der Auftrag der Bürger, diese politischen Strukturen nun auch noch in den Rang einer Verfassung für Europa zu heben.

Die SPD, die Partei des Vorsitzenden der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, Martin Schulz, hatte bei dieser Europawahl gerade mal neun Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland hinter sich gebracht, die Grünen des Daniel Cohn-Bendit kamen auf fünf Prozent und die Partei der liberalen Dame Silvana Koch-Mehrin, die FDP, erhielt das Votum von ganzen 2,5 Prozent der deutschen Wahlberechtigten. Gestützt auf diese nicht besonders eindrucksvolle Vertrauensbasis von insgesamt 16,5 Prozent der deutschen Wahlberechtigten, waren es genau diese drei Abgeordneten, die sich bei der Wahl der EU-Kommission im Hochgefühl ihrer Wichtigkeit hervortaten, als es galt, Rocco Buttiglione zu Fall zu bringen. Diesen hatte Kommissionspräsident Barroso für das Innen- und Justizressort seiner Kommission vorgeschlagen, nachdem der Italiener vom Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi als Vertreter seines Landes nominiert worden war. Buttiglione, ein gläubiger Katholik und italienischer Europaminister hatte in der persönlichen Befragung Homosexualität als "Sünde" bezeichnet und sich im übrigen bei anderer Gelegenheit dafür ausgesprochen, daß die Ehe geschaffen sei, damit Frauen Kinder bekommen und dafür den Schutz des Mannes erhalten. Ebenso hatte er sich aber nachdrücklich für die Unterstützung alleinerziehender Mütter eingesetzt. Der konservative Katholik bekannte sich zu seinen persönlichen Wertvorstellungen und fügte hinzu, daß er diese selbstverständlich nicht über das europäische Regelwerk stellen werde. Schützenhilfe erhielt er vom deutschen Kommissar Günter Verheugen, der feststellte, auch er habe "in den letzten Jahren manches gegen persönliche Überzeugungen tun müssen".

Doch seriöse Würdigung von Überzeugungen und Argumenten ist offensichtlich nicht Sache des größten Teils der Europaabgeordneten. Angesichts der geringen Zuneigung des Volkes bei den Wahlen waren sich die Parlamentarier schon vor und erst recht nach der Europawahl einig, künftig mehr "auf den Putz zu hauen", um sich bemerkbar zu machen, und jede sich dafür bietende Gelegenheit nach Kräften zu nutzen. Das geschieht mit ganz besonderer Hingabe, wenn es dabei gegen Berlusconi geht, der Buttiglione für Italien nominiert hatte.

Regiert doch nach Auffassung des Abgeordneten Schulz in Italien "schlicht und einfach eine rassistische Regierung". Gereizt durch die rüde Art, mit der Schulz zuvor Berlusconi traktiert hatte, warf dieser dem aus Deutschland stammenden Abgeordneten "Kapo-Methoden" vor. Jetzt führte er seine sozialistische Fraktion gegen den Kandidaten Berlusconis ins Feld, obwohl er es weit von sich wies, sich auf diese Weise "mit Berlusconi zu zanken". Das sei "nur ein nachrangiges Argument".

Besonders engagiert focht der grüne Cohn-Bendit gegen den konservativen Italiener, der, wie auch einige andere Kandidaten seinen Ansprüchen nicht genügten. Dieser Abgeordnete war von der französischen auf die deutsche Liste gewechselt, nachdem in Frankreich, wie Konrad Adam in der Tageszeitung Die Welt mitteilte, dort ein Sturm der Entrüstung losbrach, als man von des rot-grünen Danys Erlebnissen als Kindergärtner in Frankfurt am Main in den 60er und 70er Jahren erfuhr, über die hin-

wegzusehen im 68er geprägten Deutschland eher zu erwarten war. Jetzt meinte Cohn-Bendit über die vorgeschlagenen Kommissionskandidaten: "Herr Barroso hat sechs Maurer, und mit denen will er ein Flugzeug bauen". Einer solchen Argumentation konnte und wollte das Parlament nicht widersprechen.

"Straßburger Oktoberrevolution" überschrieb die Financial Times Deutschland ihren Leitartikel zu Barrosos Rückzug. Es sei eine "historische Zäsur", "die im politischen Leben Europas einen fundamentalen Einschnitt bedeutet". Daran mußte, wie an allen politischen Vorgängen, natürlich auch die FDP ihren Anteil haben. Ihre Abgeordnete Koch-Mehrin kämpfte entschlossen gegen die nach ihrer Auffassung den Werten der EU entgegenstehenden Ansichten Buttigliones. Diese aber bezogen sich ausdrücklich auf die Bibel. Die Frage bleibt, ob nach dieser Logik die Bibel den Werten Europas widerspricht. Die rot-grüne Allianz scheint das so zu sehen.

Kein Wunder, daß sich der bibelfeste Buttiglione als "Sündenbock" sieht, als "unschuldiges Opfer", auf das die Gesellschaft "all ihre Schuld legt." Aus seiner Sicht ist es einleuchtend, wenn er jetzt feststellt: "Ich bin froh, für die Werte eingetreten zu sein, an die ich glaube und für sie auch zu leiden."

Kirchliche Vereinigungen kommentierten die Ablehnung Buttigliones als ein "Frühwarnzeichen für eine beginnende Krankheit" des Antiklerikalismus. Der Vatikan-Kardinal Martino verglich sie mit der "Inquisition". Der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer wandte sich gegen "die selbsternannten Scharfrichter im Fall Buttiglione" und stellte fest, das Fehlen eines expliziten Gottesbezugs im künftigen europäischen Verfassungsvertrag habe "System". Dahinter verberge sich die Absicht, die christlichen Wertgrundlagen der Gemeinschaft zu verwischen."

Fest steht: Eine Sternstunde für das Europaparlament war das alles nicht. Die Europäische Volkspartei (EVP) hatte zwar fest zu Barroso gestanden, aber dessen ungeachtet stimmte jetzt auch ihr Vorsitzender, der deutsche CDU-Politiker Gerd Pöttering in den parlamentarischen Triumph-Jubel ein: "Es zeigt, daß der Parlamentarismus in Europa stärker wird", wußte er beim Frühstücksfernsehen zu verkünden.


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