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06.11.04 / Europa erfolglos auf Stimmungsmache / Der US-Wahlkampf entflammte die Europäer über alle Maßen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. November 2004


Europa erfolglos auf Stimmungsmache
Der US-Wahlkampf entflammte die Europäer über alle Maßen
von Sverre Gutschmidt

Die Welt hielt den Atem an, gebannt starrten so viele Menschen auf die Bildschirme, um ja das Ergebnis nicht zu verpassen - Einschaltquoten der Nachrichten und Sondersendungen schnellten in die Höhe und überall war der große Tag gekommen - Wahltag in Amerika.

Eine Schicksalsentscheidung, so wurde uns suggeriert, die über eine zukünftige Epoche entscheiden würde: Alleingang oder Partnerschaft, Uni- oder Multilateralismus, Stärke oder Gerechtigkeit, Zukunft oder Vergangenheit, Ausgleich oder Ignoranz. Je näher der magische Termin rückte, desto unversöhnlicher gaben sich die Lager. Nicht nur in Amerika, denn diese Wahl entschied mindestens das Schicksal der mächtigsten Nation der Erde, wenn nicht das Schicksal aller auf diesem Planeten. Die Medien suchten verzweifelt nach Anzeichen für den sicheren Sieg ihres jeweiligen Favoriten - in Deutschland fieberten Millionen mit John Kerry, sogen jedes Promille demoskopischen Vorsprungs mit hoffnungsfrohem Glimmen in den Augen auf oder gaben einfach ihrer Mißbilligung eines bestimmten Kandidaten aus Texas Ausdruck.

"Der schwarze Kontinent würde Kerry wählen, wenn er nur dürfte", raunte der englische Guardian, der Spiegel förderte in seiner Internetausgabe verzweifelt ein Meinungsbarometer des US-Kindersenders Nickelodeon zu Tage, denn Eltern wählen wie ihre Kinder, garantiert, und zwar Kerry. Die Bild hingegen gab die Parole "Bush" als Wahlempfehlung aus. Was kaum in Deutschland und Europa zu zählen schien: Welcher Amerikaner liest den Spiegel, wie viele US-Kinder sind eingetragene Wähler, wer zwischen New York und Hawaii beherzigt die Empfehlungen der Bild?

Dumme Einwände, mag man meinen, schließlich nehmen wir Anteil, erhoffen uns ein besseres transatlantisches Verhältnis oder wenigstens eine berechenbarere, liberalere oder irgendwie klügere Politik - aus und von Amerika. Heimische Wahlschlachten werfen keinen vergleichbaren Schatten voraus - wer hat an Alternativen für Sachsen oder Brandenburg ähnlich emotional aufgewühlt teilgenommen - vor der Wahl und den Erfolgen von NPD und DVU? Es gab sogar Deutsche, die eigens über den "großen Teich" reisten, um irgend etwas für die "Richtigen" und für den "richtigen" Ausgang der Wahl zu tun: Essen an demokratische Wahlhelfer austeilen, wie die linke Tageszeitung taz beispielgebend zeigte.

Ja, einmal so richtig austeilen möchten wir Europäer, doch wir sollten uns keine Illusionen machen. Der renommierte in Princeton lehrende US-Historiker Harold James warnte schon vor dem Urnengang: "Europäer und Amerikaner reden inzwischen aneinander vorbei." Die Wahlen, so der durch Arbeiten zur deutschen und internationalen Wirtschaftsgeschichte ausgewiesene Experte, ändern daran im Prinzip nichts. Die Interessen der USA seien einfach andere als die Europas - egal wer das Weiße Haus beherrsche, so seine verblüffend einfache These. Der Irak sei also nicht Anfang vom Ende der Euro-Amerika-Allianz, sondern ein "Schlußpunkt", Zeichen eines schon vor längerer Zeit einsetzenden Prozesses.

Europa sei für Amerika nicht mehr der Kontinent des Kalten Krieges, läge zudem nicht mehr im Zentrum einer globalen Entwicklung, sondern auf einer Seitenlinie. Die Dynamik der Wirtschaft läge schließlich auch nicht mehr in Deutschland, sondern Asien. Sicherheitsfragen lenkten weitere Aufmerksamkeit von Europa ab, so James. Wer rekapituliert, wie unbeholfen Europa bei der Beantwortung dieser Fragen vorgeht, darf also erwarten, daß sich die Entfremdung eher beschleunigt. Mit China, so James, reden die USA über das Nordkorea-Problem, mit Rußland über den Kampf gegen islamische Terroristen - im Gegensatz zu Europa sei die USA schlicht eine Weltmacht, die überall ihre Interessen verfolge.

So konnte es eigentlich auch nicht verwundern, daß Amerikas Entscheidung am 2. November vielen Europäern bis zuletzt rätselhaft erschien - es gibt eben unsere Interessen und die der Amerikaner. Letztere legen weder Meinungsforscher noch wohlmeinende Interpreten des vermeintlich "besseren" Amerikas aus, sondern der US-amerikanische Bürger. Wenn er will, sogar leichtfertig, in letzter Minute. Ein Trost hingegen mag alle Überraschungen neuer, alter US-Politik überdauern: Die Kernpunkte der Washingtoner Europapolitik werden sich nicht ändern - sie haben es schlimmstenfalls schon, sei es auch langsam und ohne klare Zuordnung zu Republikanern oder Demokraten. Was kommt, sind atmosphärische Änderungen. n

Bei Redaktionsschluß waren die Wahllokale noch nicht geschlossen.

Voller Einsatz allerorten: Auch die Familien der Kandidaten engagierten sich im US-Wahlkampf. Foto: pa


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