25.04.2024

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06.11.04 / Scheidung in Moll

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. November 2004


Scheidung in Moll
von Frieda-Louise Drent

Es war wieder Festspielzeit in der idyllischen, kleinen Residenzstadt. Die berühmte und beliebte Sopranistin Marianne Lichtendahl war hier schon oft aufgetreten, und immer hatte sie sich in dem verträumten Ort besonders wohlgefühlt. Dieses Jahr war sie für zwei Abende engagiert worden. Ihre Partien hatte die erfahrene Sängerin schon zahllose Male gesungen; dennoch fielen ihr die Proben in der Vorbereitungswoche ungewöhnlich schwer. Es ging ihr nicht besonders gut, sie war nicht bei der Sache, und leider merkten ihre Kollegen es auch. Der Dirigent unterbrach ungeduldig die Probe.

"Also, Kinder, so geht es nun wirklich nicht! Ich schlage vor, daß wir erst mal eine Pause einlegen. In einer Stunde machen wir weiter, einverstanden?"

Beim Hinausgehen nahm er Marianne zur Seite. Er sah sie besorgt an. "Marianne, was ist los mit dir? Du kannst dich ja gar nicht konzentrieren! So kenne ich dich gar nicht! Geht es dir nicht gut?" - "Doch ... Es tut mir leid, Herbert. Ich weiß auch nicht ... Ich glaube, ich geh' mal ein bißchen an die frische Luft. Und dann wird's schon wieder gehen."

"Eine gute Idee, meine Liebe! Ein Spaziergang wird dir bestimmt guttun! Dann bis nachher!"

Genau wie der Dirigent sah auch Peter Winkler, der Tenor, ihr sinnend nach. "Ich habe schon oft mit ihr gesungen, aber so habe ich sie noch nie erlebt. Ob sie krank ist?"- "Na, hoffentlich nicht! Ich glaube, sie hat Kummer. Seit ihrer Scheidung von Stefan Schönberger ist sie nicht mehr wie früher. Sie leidet anscheinend sehr unter der Trennung."

"Komisch! Neulich traf ich Stefan in München. Der war auch völlig zerknirscht! Tja, also, wenn sie beide so sehr unter der Scheidung leiden, versteh' ich nicht, warum sie sich überhaupt haben scheiden lassen!"

"Ja, ja, es gibt Leute, die kommen erst dahinter, wieviel sie einander bedeuten, wenn es zu spät ist. Ich hoffe nur, daß sie sich bald zusammennimmt, sonst sehe ich schwarz für die beiden Vorstellungen."

"Es ist wirklich schade ... Zwei so begabte, sympathische Menschen!"

Am nächsten Tag hatte der Dirigent eine unerfreuliche Mitteilung zu machen: Der Tenor Peter Winkler war schwer erkrankt. Er lag mit 40 Grad Fieber im Bett. An Auftreten war vorläufig nicht zu denken.

"Aber Gott sei Dank haben wir bereits jemanden gefunden, der für ihn einspringen wird. Es tut mir leid, Marianne, es wird dir vielleicht unangenehm sein, aber Stefan Schönberger wird die Partien übernehmen."

"Nein! Das ist doch nicht dein Ernst, Herbert!" rief Marianne entsetzt aus. "Mit dem soll ich singen? Ausgerechnet mit dem? Das kannst du doch nicht von mir verlangen!"

"Wir können froh sein, daß wir so schnell einen Ersatz gefunden haben! Und Marianne: Du bist doch viel zu gewissenhaft, um aus rein privaten Gründen eine Vorstellung platzen zu lassen, oder?" Marianne seufzte und wurde noch blasser als sie ohnehin schon war.

"Also, fügen wir uns in das Unvermeidliche!"

Eine Stunde später erschien Mariannes Ex-Mann auf der Probe. Gutgelaunt begrüßte er die Kollegen - bis er Marianne erblickte. Fassungslos wich er zurück.

"Was denn - du bist hier? Warum hat mir das niemand gesagt? Ich denke doch nicht im Traum daran, mit ihr zusammen aufzutreten! Herbert, wie konntest du nur!"

"Also, hör zu, Stefan ..."

"Was gibt's da zuzuhören! Sieh zu, daß du einen anderen auftreibst, der mit dieser Person singen möchte! Ich danke für die Ehre!"

"Ja meinst du vielleicht, mir macht es Spaß, mit dir zu singen? Ich hab' dich nicht ausgesucht!" mischte Marianne sich ein. "Aber vielleicht überlegst du mal, was wichtiger ist: die Kunst oder unser egoistischer Kleinkram!"

Nach einigem Hin und Her lenkte auch Stefan schließlich ein. "Aber nicht von Herzen, das sag' ich euch!"

"Gleichfalls!" meinte Marianne trocken.

Die Probe verlief zunächst ein wenig mühsam für das frühere Ehepaar, doch allmählich siegte der Künstler in ihnen und sie vergaßen ihren persönlichen Ärger. Am Ende war der Dirigent überaus zufrieden.

"Na, also, Kinder, das geht ja wirklich wunderbar! So wird euer Auftreten zum Höhepunkt der Festspiele! Ich danke euch!"

Zu Mariannes Verwunderung lud Stefan sie nach der Probe zu einem Glas Wein ein. "Da wir in den nächsten Tagen wohl oder übel zusammenarbeiten müssen, ist es wohl besser, wir versuchen einigermaßen friedlich miteinander auszukommen. Meinst du nicht auch?"

"Ja, da hast du recht! Also gut gehen wir!"

In der romantischen Gaststätte, in der sie früher schon so manche gemütliche Stunde verbracht hatten, saßen sie sich ein wenig befangen gegenüber.

"Na, wie geht es dir denn?" fragte er. "Danke, ausgezeichnet!" antwortete sie nicht sehr überzeugend. "Und dir?"

"Auch sehr gut, danke! Gut siehst du aus!" log er. "Du auch!" log sie ebenfalls. Wie müde und abgespannt sie aussieht, dachte er. Wie mitgenommen er aussieht, dachte sie.

Beide gingen diesen Abend in ziemlich aufgewühlter Stimmung auf ihr Hotelzimmer - und beide verbrachten eine schlaflose Nacht. Was sie niemals für möglich gehalten hatten, geschah in der nächsten Woche: Sie kamen sich wieder näher und stellten erstaunt fest, daß sie sich viel besser verstanden als früher. Es sah so aus, als ob das Schicksal für sie doch noch ein bißchen Glück bereithielt. Das unerwartete Glück beeinflußte auch ihre künstlerische Leistung: Sie sangen wie zwei junge Götter - das Publikum tobte vor Begeisterung.

Nur einen Tag nach den sehr erfolgreichen Festspielen erhielt der kranke Tenor Peter Winkler eine riesigen Blumenstrauß. Der beigefügte Brief enthielt folgende Zeilen:

"Mein lieber Freund, ich danke Dir tausendmal für Deine ‚Krankheit'! Du kannst jetzt wieder zum Vorschein kommen, denn unser Plan hat großartig geklappt! Marianne und ich sind sehr glücklich! Für Deine Hilfe bin ich Dir unendlich dankbar! Alles Weitere mündlich. Eines möchte ich Dir noch sagen: Wir werden in Zukunft behutsamer mit unserem Glück umgehen als bisher! Auf bald! Dein glücklicher Freund Stefan Schönberger".


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