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13.11.04 / Fünfzehn Jahre danach

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. November 2004


Hans-Jürgen Mahlitz:
Fünfzehn Jahre danach

Kaum war die Diskussion um den 3. Oktober als gesetzlicher Feiertag - in Wirklichkeit ein von Gerhard Schröder und Hans Eichel in würdeloser Weise losgetreter Streit - durch massive öffentliche Proteste und ein Machtwort des Bundespräsidenten (vorläufig) beendet, da nahte der nächste Gedenktag, und mit ihm erneuter Streit: Wäre vielleicht der 9. November, also der Tag, an dem vor 15 Jahren die Mauer fiel, als Nationalfeiertag der Deutschen besser geeignet? Oder ist dieses Datum durch andere Ereignisse in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts dermaßen negativ besetzt, daß man es besser ganz aus dem Kalender streichen sollte?

Eigentlich wäre die eine Diskussion so überflüssig wie die andere. Ein Datum, das ausschließlich freudige Erinnerungen zu wecken vermag, wird man unter den 365 Tages des Jahres ebenso wenig finden wie eines, das nur Trauer, Scham oder Ärger auslöst.

Bleiben wir zunächst beim 9. November. Daß ausgerechnet an diesem Tag Günter Schabowski mit mißverständlichen, womöglich gar nicht so gemeinten Äußerungen in einer Pressekonferenz die erste Bresche in Honeckers "antifaschistischen Schutzwall" schlug, war zwar reiner Zufall. Das Ereignis als solches aber war überfällig, und die Erinnerung daran würde auch an jedem anderen Tag pure Freude bringen.

Freilich gibt es - in Ost und West - auch Menschen, die daran gar nichts Erfreuliches finden, sondern am liebsten die vor 15 Jahren erstmals durchlöcherte Mauer wieder errichten würden, möglichst noch ein Stück höher als zu DDR-Zeiten. Und es gibt jene, die sich an diesem 9. November schon deshalb über nichts freuen können, weil es da doch auch noch andere Erinnerungen gibt: an 1938 (sogenannte Reichskristallnacht), an 1923 (Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle), an 1918 (Ende der Monarchie in Deutschland).

So unterschiedlich die Motive dieser Freudenfeier-Verweigerer auch sein mögen, in einem sind sie sich alle gleich: in der Unfähigkeit, sich zu freuen. Dies - und nicht die von der Frankfurter Schule behauptete "Unfähigkeit zu trauern" - scheint mir eine in unserem Lande weitverbreitete, insofern "typisch deutsche" Eigenschaft zu sein: "Jammern auf hohem Niveau", "zum Lachen in den Keller gehen", "in jeder Suppe ein Haar finden"!

Warum eigentlich darf in Deutschland ein Freudentag nicht auch dann ein Freudentag bleiben, wenn er - was doch ganz normal und natürlich ist - zugleich auch an Unerfreuliches erinnert? An den Fall der Mauer kann sich nur der freudig erinnern, der auch trauernd daran denkt, daß dieses Schandwerk 28 Jahre zuvor gebaut wurde und in dieser Zeitspanne zahlreiche Opfer gefordert hat.

Ähnliches gilt für den 3. Oktober: Zur Freude über die "kleine" Wiedervereinigung und das Ende der kommunistischen Diktatur gesellt sich der Schmerz, daß an diesem Tag im Jahre 1990 die gewaltsame Abtrennung des deutschen Ostens - Ost- und Westpreußens, Pommerns, Schlesiens - staatsrechlich besiegelt wurde. Dies sollte aber doch kein Grund sein, sich der Schnapsidee Schröders und Eichels anzuschließen (von der ich übrigens vermute, daß sie keineswegs für alle Zeiten vom Tisch ist, sondern uns bei anderer, günstiger erscheinender Gelegenheit erneut präsentiert wird).

In wenigen Monaten steht der 60. Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht an. Voraussichtlich wird erneut gestritten: War der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung oder ein Tag der Niederlage, des Untergangs? Oder war er beides? Daran, wie wir Deutschen mit diesem sensiblen Datum umgehen, wird sich zeigen, wie weit wir auf dem mühsamen Weg zur geistigen und moralischen Normalisierung gekommen sind.


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