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13.11.04 / Eine Hiobsbotschaft und ihre Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. November 2004


Eine Hiobsbotschaft und ihre Folgen
von Werner Hassler

Diese Hiobsbotschaft brachte Betriebsleiter Fischer nun gänzlich aus der Fassung. Er rang nach Luft und riß sich schweißgebadet die Krawatte vom Hals. Dieses Fax vor ihm auf dem Tisch

offenbarte die unheilvolle Nachricht: Konzernchef Direktor Beer kündigte für den nächsten Tag seine Inspektion an!

Nun wäre diese Inspektion beileibe kein weltbewegendes Ereignis gewesen, wenn sich Direktor Beer für die Bilanzen des Unternehmens interessiert hätte. Diese waren nämlich in tadellosem Zustand. Nein, dieser Direktor Beer war ein Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker von allerhöchstem Rang!

"Frau Uhlen", rief Betriebsleiter Fischer mit heiserer Stimme seiner Vorzimmerdame zu, "alle Büroleiter haben sich in fünf Minuten im Besprechungszimmer einzufinden!"

Sichtliche Unruhe breitete sich im Besprechungszimmer aus, nachdem Herr Fischer den Besuch des Direktors verkündet hatte. In allen Hinterstübchen läuteten die Alarmglocken.

"Meine Herren, ich hoffe, Sie sind sich der Lage bewußt! Wie gewöhnlich wird Herr Direktor Beer nur einen einzigen Raum inspizieren. Wir alle können uns noch nachhaltig daran erinnern, als er im vergangenen Jahr einige leere Getränkeflaschen auf der Fensterbank des Planungsbüros entdeckte, oder vor zwei Jahren, als in einem anderen Raum der Papierkorb durch Regenschirme zweckentfremdet war. Diese für ihn unverzeihlichen Widrigkeitsdelikte ließen ihn förmlich explodieren. Meine Herren, wir haben uns also verstanden und Sie sind sich der Situation bewußt!"

Mit zusammengekniffenen Augen blickte Herr Fischer in die Runde.

"Ich glaube, da gibt es ein Problem", wagte Herr Meinrad einen leisen Einwand. "Das Archiv in der untersten Etage. Durch die Systemumstellung ist dort seit Monaten nicht mehr aufgeräumt worden. Ganz gelinde gesagt, es sieht dort wie in einer Räuberhöhle aus! Und dieser Umstand ist auch bis morgen unmöglich zu beseitigen!"

Betriebsleiter Fischer sackte in seinem Sessel zusammen. "Herr Meinrad", flüsterte er mit weinerlicher Stimme, "sollte Direktor Beer das Archiv inspizieren, dann ..." Mitten im Satz brach er ab.

In der Nacht hatte Herr Fischer nicht eine Mütze Schlaf gefunden. Und als Direktor Beer doch tatsächlich ankündigte, sich auf die unterste Etage zu beschränken, hätte er sich am liebsten an den Nordpol gewünscht.

Mit Herrn Fischer und all seinen Büroleitern im Schlepp rauschte Direktor Beer durch den Flur der untersten Etage. Nur noch wenige Schritte bis zum Archiv.

Als nun Herr Beer stehenblieb, drohte das gleiche mit Herrn Fischers Herz zu passieren. Doch Direktor Beer stutzte - und ging weiter. Auch Herr Fischers Herz entschloß sich zum Weiterschlagen. Dann blickte Herr Fischer auf die Tür zum Archiv. Auf dem silbernen Schild stand unübersehbar: "Damen".

Er sah zu Herrn Meinrad, der ihm schmunzelnd ein listiges Augenzwinkern zuwarf.


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