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27.11.04 / Einen Herzenswunsch erfüllt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. November 2004


Einen Herzenswunsch erfüllt
von Gabriele Lins

Wie ein Kind drückte ich meine Nase an der Schaufensterscheibe platt. Kleine und große Puppen, in feines Tuch oder einfaches Leinen gekleidet, sahen mir entgegen. Schon immer hatte ich diese bezaubernden Spielzeuge geliebt. Nur daß all diese Kunstwerke aus Plastik, Stoff oder Holz immerzu lächelten, fand ich nicht so gut, denn nicht alle Kinder, denen die Puppen ja nachgebildet sind, haben im Leben etwas zu lachen.

Ich setzte meine Brille zurecht. Dort hinten in der rechten Ecke stand er, der Traum meiner Kinderzeit. Ich mußte ihn mir erfüllen! Aufatmend trat ich in das Lädchen, in dem mich ein Glockenspiel freundlich begrüßte. Eine junge Verkäuferin kam auf mich zu. "Eine Puppe für die Enkelin, gnädige Frau?"

Ich zeigte in das Schaufenster. "Darf ich diese dort mal ansehen?"

Und dann lag es in meinen Händen, das Puppenkind im knöchellangen pastellblauen Leinenkleidchen mit blütenweiß gestärkter Schürze, das Gesichtchen geformt in Käthe-Kruse-Puppenart. Seine blauen Augen wirkten menschlich mit dem seltsam wissenden Blick. Das hellblonde Haar war in einer altmodischen Frisur um den feinen Kopf geflochten, wie man sie in meiner Jugend getragen hatte. Aber das Beste an ihr war: das stereotype Lächeln der anderen Puppen fehlte diesem Gesicht völlig. Ich mußte dieses Kunstwerk besitzen!

Aber der Preis - ich war entsetzt! Aus der Traum. Eine derartige Summe kam nicht in Frage.

"Es ist halt ein besonders schönes Exemplar, von der Künstlerin liebevoll gearbeitet", hörte ich wie aus weiter Ferne die Stimme der Verkäuferin.

Wie war ich damals verzweifelt gewesen, als ich im Kindesalter meine einzige Puppe bei einem Bombenangriff verlor. Am folgenden Weihnachtsfest wünschte ich mir eine neue, aber meine kleine Schwester bekam sie dann und - ließ sie schon am nächsten Tag fallen. Kopf und Glieder der Puppe lagen in Scherben am Boden. Später wurde mir ein winziges Porzellanpüppchen, von mir heiß geliebt, im Kindergarten mutwillig zertreten. Von da an begrub ich meinen Puppenwunsch für immer.

"Sie können gern in Raten abzahlen, gnädige Frau!" Die Verkäuferin hatte mein Mienenspiel richtig gedeutet. Ich überlegte. Die junge Frau legte mir die Puppe in den Arm. "Nun denken Sie nicht lange nach, Ihre Enkelin wird sich schrecklich freuen." Da schüttelte ich den Kopf: "Meine Enkelin ist behindert. Sie spielt gar nicht mit Puppen."

Schon hatte ich mein Portemonnaie herausgezogen. Ich zögerte nicht mehr, zahlte den ersten Betrag an - und jubelte innerlich. In einem halben Jahr oder auch früher würde das bezaubernde Puppenmädchen auf meiner Sofalehne sitzen!

Endlich war es so weit. Ich hatte eisern gespart und mir so manches Schöne versagt. Und nun konnte ich mich nicht satt sehen an der kleinen Gestalt, die auf meinem alten Möbel saß und sinnend in die Ferne blickte. Aber vor der kleinen Sarah, meiner Enkelin, wollte ich das Geschenk, das ich mir selber gemacht hatte, verstecken. Das Kind war einfach zu klein für eine solche Kostbarkeit. Später vielleicht. Aber ich wußte genau, ich würde nie imstande sein, auf meine Puppe zu verzichten.

Und dann vergaß ich doch, meinen Schatz in Sicherheit zu bringen, ehe meine Tochter mit ihrer Familie zur gewohnten Stunde eintraf. Meine Enkelin, die nie mit Puppen oder Plüschtieren gespielt und sich eher Spielautos und Legosteinen zugewandt hatte, steuerte wie das personifizierte Schicksal auf das Sofa zu, um mein Ersatzkind an sich zu reißen. Ich stand wie gelähmt. Sarah hockte auf dem Sofa, die Puppe fest an ihr Herz gedrückt, und ihre blauen Augen leuchteten, wie es eben nur Kinderaugen können.

Meine Tochter bemerkte mein stummes Entsetzen und wollte Sarah die Puppe wegnehmen, die aber preßte sie heftig an sich und fing an bitterlich zu weinen. Ich nahm meine Enkelin auf den Schoß und wiegte sie tröstend in meinen Armen. "Ruhig, meine Kleine, du darfst sie ja behalten!"

Die Tränen der Kleinen versiegten so schnell wie ein Gewitterregenguß im Hochsommer. "Mutter, das geht doch nicht!" protestierte meine Tochter. "Laß nur", unterbrach ich sie, obwohl mein Herz ein paar zu rasche Schläge tat, "Puppen gehören nun mal zu kleinen Mädchen und nicht zu Omas." Ich drückte mein Gesicht in das duftende Haar der Enkelin. Die gab erst dem schönen Porzellankind einen Kuß und dann mir, und der Widerschein der Freude auf ihrem Gesichtchen fiel direkt in mein Herz.


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