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27.11.04 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. November 2004


Goethe kann weg / Leitkultur geht auch ohne Deutsche
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Deutschland wird klüger" jubelt die Welt und meint damit, daß wir endlich begriffen hätten, daß die Sache mit "Multikulti" Quatsch ist. Rot-grüne Politiker empfinden solche Überschriften als herbe Kränkung. Sie bestehen nämlich neuerdings darauf, niemals für Multikulti eingetreten zu sein, eigentlich. Schadenfrohe Hinweise darauf, daß sogar die Grünen-Chefin Claudia Roth höchstpersönlich die Multikulturelle Gesellschaft noch dieser Tage öffentlich gepriesen hat, weisen ihre Partei- und Koalitionsfreunde als "billigen Populismus" zurück. Es ist halt ein wenig peinlich, das Geschwätz von gestern. Die Regierung will das Thema daher schleunigst loswerden. Ob das gelingt?

Dagegen spricht, daß die Union viel zu viel Spaß daran hat, weiterzusticheln. Dafür spricht indes, daß Grüne und Sozialdemokraten im Entsorgen ihres ideologischen Hausmülls Meister sind, wie sie vor 14, 15 Jahren schon einmal bewiesen haben: Noch 1989 warnte Gerhard Schröder vor der deutschen Einheit, sie zu fordern sei "reaktionär" und "gefährlich". Kurz darauf eröffneten uns führende SPD-Redner, die Wiedervereinigung sei das Herzensziel gewesen, auf das sie in all den "schmerzlichen Jahren der Trennung" unablässig hingearbeitet hätten. Im Verborgenen. Deshalb hat's auch keiner gemerkt.

Glücklicherweise teilte Rot-Grün sein Schicksal in jenen bewegten Monaten mit der großen Mehrheit der deutschen Medienmacher, denen die Mauer ebenso unverhofft auf die Füße gefallen war. Es waren die gleichen, die jetzt dabei helfen, den "umstrittenen" Begriff von der deutschen Leitkultur wieder von der Bühne zu zerren, auf den ihn die Union in genießerischer Häme zurückgebracht hat.

Für Integration sei die Sprache das wichtigste, das habe man schon immer gesagt, lautet die neue Sprachregelung aus Berlin. Das stimmt: Im Bereich der Sprachfertigkeit haben wir in den vergangenen 20 Jahren gewaltige Fortschritte gemacht. Allerdings eher bei den Einheimischen als bei den Ausländern. Die Wortwahl der deutschen Mehrheitsbevölkerung ist heute viel integrationsfreundlicher als früher. Einst sagten wir noch "Gastarbeiter", das wurde uns abgewöhnt, weshalb es bald nur noch "Ausländer" hieß. Doch "Ausländer" könnten ja wieder gehen, das sollen sie aber nicht, also wurde der Begriff "Zuwanderer" eingebürgert, und die "Zugewanderten" per Doppelpaß gleich mit. Da nun aber "Zuwanderer" in Stadtteilen mit 70 oder 80 Prozent Zugewanderten-Anteil "unbegründete Ängste" auslösten, ersetzte man das heikle Wort durch "Migrantinnen und Migranten". Die Vokabel verstanden die meisten Deutschen glücklicherweise gar nicht, bis ihnen eine Hand voll Hetzer übersetzte, was "Migrant" auf deutsch bedeutet: Zuwanderer. Aufgeschreckt ersetzte man den enttarnten "Migranten" durch den "Menschen mit Migrationshintergrund". Dieser Wortklotz ist dermaßen sperrig, daß ihn kein Normalsterblicher in den Mund bekommt, was günstig schien, denn Ziel war ja, die Debatte zu beenden.

Das gemeine Volk indes neigt dazu, solche sprachlichen Kunstwerke entweder gar nicht zu bemerken oder - noch schlimmer - mit giftiger Ironie zu überziehen. Wer in den Zeiten des besonders regen Asylantenzustroms Anfang der 90er Jahre in Hamburg flapsig von den "Politisch Verfolgten" redete, meinte im Klartext: Drogendealer. Um nicht als Ausländerfeind überführt zu werden, witzelten die Leute auf der Straße über "unsere Mitbürger". Jeder wußte, wer gemeint war. Ja, das Volk ist hinterhältig und schwer zu fassen.

Doch ruhig Blut: Am Ende läßt es sich doch immer wieder einfangen, es ist recht billig zu unterhalten. Wie das geht, führt die Union den Regierenden gerade vor: Im Reichstag bringt die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag ein, nach dem künftig von allen in Deutschland lebenden Ausländern ein Bekenntnis zur "freiheitlichen demokratischen Leitkultur" verlangt wird. Fürs Volk wird das mundgerecht verkürzt auf "deutsche Leitkultur", ist aber natürlich ganz etwas anderes. Goethe beispielsweise, der Leitstern deutscher Kultur, wurde nach dem Anblick des französischen Blutrauschs, auch "Revolution" genannt von denen, die das Massaker überlebten, konservativ bis auf die Knochen. Sicher rechtsstaatlich gesinnt und in Maßen auch freiheitlich, aber von "Demokratie" hatte er nach der Pariser Kostprobe fürs Erste die Nase gestrichen voll. In dem, was die Union als unsere Leitkultur feiert, hat so ein Mann nichts zu suchen. Und wie er fast alle der großen Kulturschaffenden der deutschen und europäischen Geschichte. Die Unionisten sollten daher konsequent sein und die Goethe-Institute vom Namen dieses Verdächtigen reinigen. Wie wär's mit "Helmut-Kohl-Institut"? - spendenfinanziert, versteht sich.

Wer sich also fürchtet vor dem großen Parteienstreit und panisch die "Spaltung der Gesellschaft" heraufdämmern sieht, darf sich entspannen. Ob die Regierung davon spricht, daß die Ausländer nur unsere Gesetze respektieren sollen und die Sprache lernen müßten, damit sie die Gesetze auch lesen können, oder ob uns die Union ihre originelle Vorstellung von Leitkultur präsentiert - dem Inhalt nach ist es in etwa das Gleiche.

Das sagt keiner gern offen, denn ein bißchen Streit muß sein, schon um unser Vertrauen in den funktionierenden Parteienstaat willen. Was soll das für einen Eindruck auf die Bürger machen, wenn die großen Parteien auf einmal zugäben, daß sie im Grunde auf einer Linie liegen? Wir brauchen schließlich eine Entscheidungshilfe, wen wir beim nächsten mal ankreuzen sollen. Da verstört es uns eher, wenn wir erfahren müssen, daß die "deutsche Leitkultur" der Union mit Deutschland nur am Rande zu tun hat und ebenso auf 100 andere Länder der Welt passen würde.

Penetrant sachlichen Wissenschaftlern wie Bassam Tibi sind solche Erfordernisse unserer Parteien-Demokratie natürlich fremd. Er, der stolz sein Urheberrecht an der Leitkultur herumreicht (er hat das Wort tatsächlich erfunden), sagt ganz offen, was damit gemeint ist: Eine "demokratische Hausordnung und Werteorientierung". Basta, mehr nicht. Das schenkt uns neue Hoffnung. Denn für diese "Leitkultur" brauchen wir Deutschland gar nicht, weshalb wir uns um sein mögliches Verschwinden auch keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Wir meißeln das Grundgesetz in Stein, wie es die alten Römer mit ihrem römischen Recht gemacht haben, und lassen unsere Hausordnung für die Nachfolgevölker in Mitteleuropa einfach hängen. Damit wäre alles gerettet, was uns wirklich wichtig ist.

Knüppel aus dem Jutesack Zeichnung: Götz Wiedenroth


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