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Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004
Kurz vor Weihnachten hat Berlin ein Geschenk der besonderen Art bekommen. Die
letzte der insgesamt 2.711 Betonstelen des Holocaust-Mahnmals wurde auf das
19.000 Quadratmeter große Stelenfeld in der Mitte der Hauptstadt gepflanzt. In
Berlin sind die religiös gebundenen Menschen – einschließlich der gläubigen
Muslime – in der Minderheit. Bald aber werden sogar Atheisten wieder Gelegenheit
zur sakralen Erhebung haben. Die größte Stele ist fünf Meter hoch, die kleinste
95 Zentimeter. Besucher sollen laut dem Architekten Peter Eisenman die Gefühle
einer Auschwitz-Überlebenden, denen er begegnet ist, nachvollziehen.
Im Mai 2005 wird das Denkmal offiziell eröffnet. Bei der letzten Stelenpflanzung
waren außer Eisenman und der mittelmäßigen Publizistin Lea Rosh auch
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) anwesend. Thierse äußerte sich
glücklich, weil Zeitplan und Kostenrahmen eingehalten worden seien. So äußern
sich Firmenchefs oder Buchhalter über eine gelungene Investition zur
industriellen Standortsicherung. Doch leider, darum geht es in Berlin so gut wie
nie.
„Ein Denkmal für das Volk“ sei entstanden, glaubt der Sprecher der
Mahnmalstiftung. Keine Frage, für Touristen und Schulklassen wird es zum
Pflichtprogramm gehören. Aber ist es das, was das Volk tatsächlich will und
braucht? Nur noch 39 Prozent der Berliner leben von ihrem Arbeitseinkommen (1990
waren es knapp 50), 38 Prozent beziehen Sozialleistungen. Durch Hartz IV gehen
der Stadt noch einmal 300 Millionen Euro Kaufkraft verloren, was weiteren
Einzelhandelsgeschäften den Garaus machen wird. Für die verrotteten Schulen ist
kein Geld da, die Bibliotheken können keine Neuanschaffungen mehr tätigen, nur
für Trauerarbeit sind immer noch ein paar Millionen übrig.
Die aktuelle Berliner Selbstaufopferung kennt nur wenige historische
Präzedenzfälle, und leider sind es nicht die besten. Man kann darin aber auch
ein schönes Beispiel sehen, wie radikal ein permanentes Lernen aus der
Geschichte das Verständnis von Politik zu verändern vermag. Wohl in diesem Sinne
nennt Wolfgang Thierse das Mahnmal „im besten Sinne anstößig“.
Leider weiß die Nation das Berliner Notopfer kaum zu würdigen. Die Heilbronner
Stimme meint zwar, das Denkmal in der Mitte der Hauptstadt stünde „uns (?) wohl
an“, doch in Heilbronn sagt sich so etwas bequem. Berlin wird die Funktion der
nationalen Bewältigungszentrale zugewiesen, wenn es aber um den Umzug von
Behörden geht, die ein bißchen Finanzkraft in die Stadt bringen könnten, dann
zeigt die Provinz sich zugeknöpft. Bonn verfügt noch immer über viel mehr
Ministerialbeamte als die offizielle Hauptstadt.
Peter Eisenman hatte in einem Interview geäußert, es sei einmalig, so ein
Denkmal mitten in ein Stadtzentrum zu bauen. Berlin sei damit eine symbolische
Stadt – das Wort Nekropolis (Totenstadt) verkniff er sich –, in der er selber
aber nicht leben wolle. Um so größer sei sein Respekt vor der Entscheidung der
Deutschen. Doch wer hat die Entscheidung eigentlich gefällt?
Letzten Endes der Bundestag. Vorbereitet hatte sie die xanthippische Lea Rosh.
Die 68jährige, kinderlose Rosh sieht das Denkmal als ihr „Baby“ an. Zur
Erinnerung: Edward Teller, der Vater der amerikanischen Wasserstoffbombe nannte
diese Hervorbringung ebenfalls sein „Baby“. Es war nicht so sehr Roshs
intellektuelle Sturheit, die überzeugte, sondern ihr schneidender Tonfall. Auch
Helmut Kohl wirkte vor der kleinen Frau wie ein tumber Riese.
Was sagt uns das Denkmal? Es steht auf geschichtsträchtigem Gelände, in den
ehemaligen Ministergärten. Es bildet den Schnittpunkt zwischen Brandenburger
Tor, Reichstag, Preußischem Herrenhaus und Goethe-Denkmal. Hier soll sich die
Summe der deutschen Geschichte manifestieren. Ist es ein Wunder, daß die
Gegenwart dieses Landes von Niedergeschlagenheit, vom Angstsparen und von
Pleitewellen geprägt ist? |