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25.12.04 / Nun wird es still auf Erden

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004


Nun wird es still auf Erden
von Eva Pultke-Sradnick

Es war Heiliger Abend. Am späten Nachmittag hing der Himmel voller Schnee. Die Flocken fielen dicht und weich, so daß Weg und Steg nicht mehr zu sehen waren. Hedwig zog einen Schlitten hinter sich her. Er war für ihre kleinen Brüder Ludwig und Klaus gedacht. Ein Tischler aus Kirpehnen hatte ihn extra für sie angefertigt, denn er mußte ja was aushalten für zwei Lorbasse auf dem Lande.

Wegen des schlechten Wetters hatte Hedwig ihre Geschenke in einen Sack gesteckt, so konnte auch das schöne, weiche Weihnachtspapier mit den bedruckten Tannenästchen nicht verdorben werden. Für ihren Vater hatte sie an den langen Winterabenden eine grüne Strickjacke mit roten Bündchen und Randstreifen gestrickt. Die Mutter bekam eine Klammerschürze und gehäkelte Topflappen und Opa eine kleine Flasche Rum und ein Päckchen Knaster. Oma wurde mit einem Viertelpfündchen Kaffee und gestrickten Bettwuschen erfreut.

Ihre Gedanken liefen weit voraus, so daß sie das Schnauben und Prusten der Pferde erst hörte, als sie dicht hinter ihr waren. Aber wo sollte sie auf der engen verschneiten Straße nur ausweichen, rechts und links lag hoher Schnee? Hoffentlich hatte der Kutscher sie gesehen, die Dunkelheit nahm schnell zu. Sie stellte sich und den Schlitten nun ganz dicht an

den Chausseegraben und hielt vor Schreck die Luft an. Alles ging ja ganz gut, aber dann rutschte das Pferd mit den Huf von einem Eisklumpen ab und sein Bauch machte einen Schlenker, er traf Hedwig und ihren Schlitten mit seiner Breitseite, und sie flog in den weichen Schnee.

„Prrr, Prrr“, hörte sie eine Stimme, und zwei Hände streckten sich ihr entgegen. Sie gehörten dem jungen Drews, dessen Vater einen Bauernhof in Studitten besaß. Erbarmung, war der erschrocken! „Mönsch, Heta, wat moakst du denn am Hillje Oawend noch oppe Landstroat? Du hadst di de Knoakes bräke könne!“

Er überlegte nicht lange. Hedwig kam auf den Bock und ihr Gepäck hinten in seinen Schlitten. Und schon ging es wieder los. Eisig wehte der Wind, und die Flocken wurden firniger. „Das mußte wohl alles so sein“, meinte Hedwig, „das war bestimmt die Vorsehung, die dich hier vorbeikommen ließ.“ Hannes lachte: „Ich glaub nich, daß hier die Vorsehung im Spiel war, das war bloß meine Mutter. Die hat nämlich drauf bestanden, daß ich dem alten Melker Pretzke, der jetzt bei seiner Tochter lebt, eine Flasche Schnaps und ein Stück geräucherten Schinken und den bunten Teller rüber bring. Alte Männer mögen es auch gern süß. Aber du hast recht, dazu kann man auch Vorsehung sagen.“

Die beiden hatten sich viel aus ihrer Kinderzeit zu erzählen. Hedwig sprach immerzu von ihren Geschwistern, und Hannes meinte, zu gerne würde auch er einmal Weihnachtsmann spielen. „Tu’s doch“, meinte Hedwig, „krempel deinen Pelz nach außen, auch deine Mütze. Steck ein bißchen Stroh in die Stiefel und die Rut’, die schneiden wir vom nächsten Weidenbaum. Komm mit, das wird eine Überraschung.“

Nun standen sie vor Hedwigs Zuhause. Alle Fenster waren erleuchtet. Schon draußen roch es nach Gebratenem. Jetzt hörten sie Vaters krächzende Fidel, und Ludwig spielte auf der Flöte, die anderen sangen dazu. Hedwig gab Hannes letzte Anweisungen und trat sich ganz laut ihr Schuhwerk ab. Das war dann ein liebevolles Begrüßen, alle hatten sie sehnlichst erwartet.

Doch was war das denn? „De Wiehnachtsmann“, meinte die Oma geistesgegenwärtig. Wer sollte das sein, es waren doch alle da? Dann kam mit großem Gepolter eine zottelige Gestalt in die Stube. Schnee und Stroh hingen an seinen Stiefeln, er zog einen Schlitten und im Gürtel steckte eine Rute. Einen Sack hatte er natürlich auch noch dabei. Ludwig und Klaus begannen zu schlucken. Es gab ihn also doch den Weihnachtsmann? Die Mutter faßte sich zuerst, ging dicht an ihn heran und fragte leise: „Wem’s böst?“

Aber dafür bekam sie einen leichten Streich mit der Rute auf den Rücken. Sie sollte ihre Neugier zähmen, sagte er, er käme direkt aus den himmlischen Gefilden. Ludwig und Klaus lehnten sich erschrocken an Oma und Opa. Der Weihnachtsmann holte jetzt sein Notizbuch heraus. Es war recht abgewetzt von all den Jahren. Er zählte mit den Fingern die Posten ab. Auf allen Seiten stand aber nur etwas über Kälberaufzucht, Gerstensaussaat und wieviel Liter Milch jede Kuh gab. „Habt ihr auch ein Gedicht gelernt?“ Brummig sah er sie an. Ludwig ging vor, machte einen steifen Diener und sagte ohne zu Stottern alle Verse auf: „Nun wird es still auf Erden.“ Der Weihnachtsmann wiegte den Kopf. Jetzt schubste Oma den kleinen Klaus nach vorne. Der wußte gar nicht, wo er seine Hände lassen sollte, bald kratzte er sich am Kopf und bald an den Beinen. Dann sah er den großen Mann ehrfurchtsvoll und vertrauensvoll an: „Wiehnachtmann, du witter Krät, bring mi Äppel on Päpernät, singe, bäde kann ök nich, Wiehnachtsmann vergät mi nich.“ Hoffentlich steckte der ihn nicht in den Sack!

Jetzt nahm der Weihnachtsmann seine Rute aus dem Gürtel und meinte, daß er sie nicht brauche. Dann las er noch ein paar kleine Schandtaten aus seinem abgewetzten Notizbuch vor, aber er verschonte auch Vater und Mutter nicht. Dann machte er den Sack auf. Die Mutter hatte unauffällig einen zweiten dazugestellt und sie dirigierte mit den Augen, wer was bekam. Der Schlitten war natürlich das Größte, und Ludwig und Klaus wären am liebsten nach draußen gestürmt, um ihn auszuprobieren.

Jeder bewunderte und freute sich über die Geschenke und niemand, außer Hedwig, hatte bemerkt, daß der Weihnachtsmann leise, selbst beglückt, das Haus verlassen hatte.


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