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25.12.04 / Schuld war nur der köstliche Duft / Frieda-Louise Drent wird durch eine Einladung am Heiligen Abend in Verlegenheit gebracht

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004


Schuld war nur der köstliche Duft
Frieda-Louise Drent wird durch eine Einladung am Heiligen Abend in Verlegenheit gebracht

Für die Weihnachtstage hatte ich mir schon ein hübsches Programm zusammengestellt. Aber dann kam da die Einladung meiner Nachbarn zur Linken, den Heiligabend in ihrem Familienkreis zu verbringen. Sie kamen persönlich zu mir, Herr und Frau Michaelis. Seit etwa drei Jahren sind wir Nachbarn. Nachdem sie ihre große Villa neben mir gebaut haben, sieht mein Häuschen aus wie ein Puppenhaus – aber das nur nebenbei. Sie brachten mich mit ihrer Einladung ein wenig in Verlegenheit, denn erstens hatte ich mir schon etwas Angenehmes vorgenommen, und zweitens hatte ich von ihnen nicht den Eindruck einer Familie, in der es an Feiertagen recht gemütlich zugeht. Aber ich wollte sie auch nicht enttäuschen: Waren sie doch ganz offensichtlich so mächtig stolz darauf, daß sie einmal im Jahr an ihre arme, alte Nachbarin gedacht hatten. Ob das vielleicht eine neue Modeerscheinung wird – ältere Leute, die man sonst kaum beachtet, zu Weihnachten einzuladen? Ich für meinen Teil hoffe es nicht! Wenn ich da an die anderen Familien in meiner Nachbarschaft denke ...

Auch die Michaelis huldigten anscheinend dem weitverbreiteten Mißverständnis, daß ältere, alleinstehende Menschen vor allem zu Weihnachten bedauernswerte Kreaturen seien, denen man unbedingt aus sozialem Engagement heraus eine Freude bereiten sollte. Nun, das mag zwar in einigen Fällen zutreffen, aber ganz bestimmt nicht immer. Es gibt durchaus ältere Alleinstehende, die sehr wohl imstande sind, ihr Leben sinnvoll und vollauf befriedigend zu gestalten. Und außerdem: Herrscht denn im Familienkreis immer lauter Harmonie und Gemütlichkeit? Ich kenne da eine Frau, die würde viel darum geben, wenn sie die Weihnachtszeit einmal in Ruhe allein verbringen könnte. Wie oft ihr Mann ihr schon die Feiertage vermiest hat, ist schon gar nicht mehr zu zählen! Ich sage immer: Lieber allein als in schlechter Gesellschaft!

Aber zurück zu meiner Einladung. Am Heiligabend, gegen sieben Uhr – so war es ausgemacht, denn die Familie nahm natürlich an, daß eine alte Frau auch am Heiligabend früh zu Bett geht – betrat ich zum ersten Mal das Haus meiner Nachbarn. Was mir sofort auffiel, war, daß der typische Weihnachtsgeruch fehlte. Auch sonst mutete alles sehr kalt an. Nachdem der Herr des Hauses mich überschwenglich begrüßt hatte, führte Frau Michaelis mich voller Stolz in ihrem unpersönlich-kalten Heim herum. Das Haus war supermodern eingerichtet und mit allen möglichen Schikanen versehen, die einem das Leben leichter machen sollen. Blitzsauber und aufgeräumt war es – viel zu aufgeräumt. Es gab auch nicht einen Funken Leben und Wärme in diesem Haus. Schrecklich! In einer Ecke des riesigen Wohnzimmers – Living nannte sie es – stand ein kleiner künstlicher Weihnachtsbaum.

„Ja, wir haben uns für einen künstlichen Tannenbaum entschieden. Sie wissen ja, wenn die Nadeln eines richtigen Baumes anfangen herunterzufallen ... diese Unordnung, fürchterlich! Und so ein künstliches Bäumchen vermittelt ja genausogut eine weihnachtliche Atmosphäre, meinen Sie nicht auch?“ Ich gab ihr recht und sehnte mich nach meinem eigenen – richtigen – Weihnachtsbaum. Von wegen Atmosphäre!

Nach der Besichtigung begrüßten mich die Tochter Beate, 16 Jahre alt, und der Sohn Markus, 19 Jahre. Und dann wurde auch schon das Essen geliefert – Partyservice, versteht sich. Vorher gab es aber noch eine Art von Bescherung, mit Hintergrundmusik von einer Weihnachts-platte, die Herr Michaelis nach langem Suchen doch noch aus dem Schallplattenvorrat herausgezogen hatte, und mit einem Glas Sekt. Die jungen Leute hatten spürbar keine Lust, sie konnten ihre schlechte Laune kaum verbergen. Es wird den Herrn Papa wohl ein zusätzliches Taschengeld gekostet haben, damit sie diesen Abend zu Hause blieben.

Das Essen war wirklich vom Feinsten. Dennoch wollte es nicht so recht schmecken – und es ging anscheinend nicht nur mir so. Mit der Konversation haperte es ab und zu ein bißchen. Herr und vor allem Frau Michaelis bemühten sich zwar sehr, aber es klang alles so gekünstelt. Ich hatte Mühe, mich diesem Stil anzupassen. Der Sohn engagiert sich enorm für die Probleme der dritten Welt, für die Umwelt und dergleichen. Er steckt seine ganze Zeit in Demonstrationen für die Armen und Unterdrückten von Nicaragua, von El Salvador und wie die fernen Länder alle heißen mögen. Natürlich konnte er mit so einer bürgerlichen Tante wie mir – er sah mich übrigens diesen Abend zum ersten Mal – nicht über solche Probleme diskutieren. Na, soll er’s halt lassen! Etwas gemütlicher wurde es, als Beate merkte, daß sie bei mir ein offenes Ohr fand für ihre lustigen Schulgeschichten. Ihre humorvollen Schilderungen des Gymnasiumsalltags brachten alle zum Lachen. „Sag mal“, meinte die Mutter, „warum erzählst du uns diese Geschichten nie?“ – „Du bist gut! In diesem Haus gibt es doch keinen Schwanz, der einem mal zuhört!“

Gleich nach dem Essen kam Markus auf die Idee, die von mir mitgebrachten selbstgebackenen Zimtsterne mal zu probieren. Im Nu fielen sie alle darüber her, sogar die Dame des Hauses, als ob sie nicht gerade gegessen hätten. Ich habe Ehre eingelegt mit meinem Mitbringsel – die nicht gerade kleine Dose war in Rekordzeit leer!

Als ich mich gegen zehn Uhr verabschiedete, wollten die beiden jungen Leute mich zu meiner Verwunderung unbedingt nach Hause begleiten. Sie waren neugierig, wie ich wohnte, sagten sie.

„Ah, wie gut das hier duftet! Sind das die Weihnachtssachen, die Sie selbst gebacken haben?“ – „Sicher! Wollt ihr mal kosten?“ – „O ja, gern!“ – „Dann mach ich uns auch noch was zu trinken dazu, einverstanden?“ Und so wurde es doch noch ein gemütlicher Abend. Etwas Gutes hatte diese Einladung am Heiligabend: Ich habe zwei neue junge Freunde dazubekommen!


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