20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.01.05 / "Üb' immer Treu und Redlichkeit" / Von Wilhelm v. Gottberg, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 1 vom 08. Januar 2005

"Üb' immer Treu und Redlichkeit"
Von Wilhelm v. Gottberg, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen

Wer gerade seine Furche pflügt,

Den Freund und Kumpel nicht betrügt,

Wer keinem Lump die Stiefel putzt

und nicht das eigene Nest beschmutzt;

Wer, gleich wie auch der Würfel fällt,

dem Vaterland die Treue hält,

tut auch im neuen Jahre

das Wahre.

Georg Gluytermann von Langenweyde

 

Zum Jahreswechsel und am Beginn des Neuen Jahres wünschen sich die Menschen ein gutes Jahr, und sie meinen damit Wohlergehen und Gesundheit für sich und ihre Angehörigen. Die Alten, die den Krieg noch bewußt erlebt haben, wünschen sich auch den Erhalt des Friedens. Die junge und mittlere Generation, die ihre Sozialisation in den Wirtschaftwunderjahren der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erfahren hat, weiß nicht mehr, welch ein hohes Gut der Frieden für die Menschheit ist, und das Vaterland hat für sie nur als Sozialstaat Bedeutung.

Gut verdienen, ein sicherer Arbeitsplatz, Kontinuität bei der Rente, viel Spaß haben, sind häufig geäußerte Wünsche der Erwachsenen, die im dritten, vierten und fünften Lebensjahrzehnt stehen. Die veränderten ökonomischen und demographischen Rahmenbedingungen in dieser Republik machen jedem Vernunftbegabten klar, warum derartige Wünsche geäußert werden. Es hat sich ausgespaßt, weist Peter Hahne in seinem jüngsten Buch "Schluß mit lustig" überzeugend nach. Die Vergangenheit, das heißt die Fehler der Bundesregierungen unter Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder, holen die Gesellschaft dieser Republik ein. Die auf die Zukunft gezogenen Wechsel müssen - ob wir es wollen oder nicht - eingelöst werden.

Zukunftsangst hat die bundesrepublikanische Gesellschaft erfaßt. Vor dem Hintergrund von mindestens fünf Millionen Arbeitslosen, des erforderlichen Rückschnitts des ausgeuferten Sozialstaates, der schon eingesetzten Absenkung der Renten und der sich abzeichnenden weiteren Verminderung der Arbeitsplätze - der öffentliche Dienst muß sparen - ist dies nicht verwunderlich.

Die Menschen fragen nach dem wegweisenden Licht. Lösungsansätze der politischen Klasse haben sich bisher als Irrlichter erwiesen. Die Politik gibt Anlaß zur Desorientierung.

Einerseits sagt man, die Bürgerinnen und Bürger sollen konsumieren, um der lahmen Konjunktur aufzuhelfen, andererseits sollen sie Eigenvorsorge für das Alter treffen, da die Renten auf Grundversorgungsniveau herabsinken werden. Beides aber kann aufgrund der Euro-Teuerungswelle nicht funktionieren. Hartz IV und die Gesundheitsreform, Kopfpauschale, Rentenreform, die notleidende Pflegeversicherung, die exorbitante Staatsverschuldung und, trotz allen Schönredens, der sich abzeichnende Konflikt der Zuwanderer mit der deutschen Mehrheitsbevölkerung: eine Hiobsbotschaft jagt die andere. Wo ist das orientierende Licht in diesem Wirrwarr der Dunkelheit?

Diese Zeitung wird von Menschen verantwortlich getragen, die in der Bewahrung des Preußischen Erbes eine Lebensaufgabe sehen. Es erübrigt sich festzustellen, daß das Erbe Ostpreußens als Kernprovinz Preußens darin eingeschlossen ist. Wir wollen nicht die Asche des untergegangenen Preußens konservieren, sondern wir sind verpflichtet, die Werte Preußens als flammende Zukunftshoffnung an die nachwachsende Generation zu übergeben. Die Werte Preußens sind zeitlos gültig. Wir müssen bemüht sein, ihnen im Bewußtsein der Menschen wieder einen höheren Stellenwert einzuräumen. Ihre Verächtlichmachung durch Grüne und linke Ideologen fällt auf die Urheber zurück, wie das Beispiel Lafontaine zeigt. Er war ein grandioser Populist und mutierte zur gescheiterten Existenz.

Die Herausgeber der PAZ/OB erheben den Anspruch, einen eigenen Beitrag zur Lösung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme dieses Landes zu leisten. Der Hinweis auf die preußischen Werte und die Handlungsanweisung im Eingangsspruch dieses Artikels genügen dem selbstgewählten Anspruch nicht.

Was ist zu tun? Lesen wir bei Friedrich August von Hayek nach. Dieser in der ganzen Welt bekannte Wirtschaftswissenschaftler, Jurist und Sozialphilosoph wurde 1899 in Wien geboren und starb 1992 in Freiburg. Er lehrte und forschte viele Jahre an Universitäten in Großbritannien und den USA. Schon in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte er sich zum Hauptkritiker des sozialistischen Wirtschaftssystems. 1962 erhielt von Hayek eine Professur in Freiburg. 1974 wurde ihm der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft verliehen.

Für von Hayek ist das Wohl der Bürger in einem Staat abhängig von drei Voraussetzungen. Es sind dies intakte Familien, der Bestandsschutz des persönlichen Eigentums und die Aufrichtigkeit der politischen Klasse. Es bedarf kaum des Nachdenkens: Hayeks Essentials für das Allgemeinwohl sind in der Bundesrepublik nicht oder nur noch eingeschränkt vorhanden.

Zwar leben noch 75 Prozent aller Kinder bei ihren verheirateten Eltern, und die überwiegende Mehrheit in unserem Lande definiert Familie als Ehepaar mit Kind(ern). Die Programme der im Bundestag vertretenen Parteien sprechen eine andere Sprache. Familie ist überall dort, wo Kinder sind, heißt es unisono. Wenn aber alles Familie ist, dann ist nichts mehr Familie. So wird der Familienbegriff ausgehöhlt. Die Gleichsetzung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit der Ehe ist ein weiterer Angriff auf die Institution Familie. Wie lange wird die CDU noch Widerstand leisten gegen die Absicht von Rot-Grün, den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften das Adoptivrecht zuzuerkennen?

Wo Kinder in der Geborgenheit der Familie - das heißt, mit Vater, Mutter und im Idealfall mit weiteren Geschwistern - aufwachsen können, entwickeln sie sich in der Regel zu eigenständigen und verantwortungsbewußten Persönlichkeiten. Die ganz überwiegende Mehrzahl der therapiebedürftigen auffälligen Kinder entstammen Scheidungsfamilien und sind Kinder von Alleinerziehenden. Jahrelang haben die politische Klasse und Feministinnen die Alleinerziehung durch Frauen propagiert. Auch das war ein Angriff auf die Familie, wie auch die kritiklose Hinnahme der Ehe ohne Trauschein.

Da braucht man sich nicht mehr zu wundern, wenn keine Kinder in diesem Lande geboren werden. Die demographische Situation ist unser größtes Problem. Wo Kinder sind, ist Zukunft. Kinder sind Humankapital, das durch nichts zu ersetzen ist. Ohne Kinder erstarrt und vergreist eine Gesellschaft. Am Ende steht Hoffnungslosigkeit oder gar Depression. Wir haben es weit gebracht auf diesem Weg.

Bei der ganzen Reformdiskussion wird die Hauptkalamität, die defizitäre Geburtenrate, überhaupt nicht angesprochen. Frankreich hatte in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ähnliche Probleme. Durch großzügige Alimentierung der Familien und der Kinder konnte das Problem bei unseren Nachbarn schnell beseitigt werden.

Für jedes Kind ein Kindergeld in Höhe von 300 Euro und für die Mütter 300 Euro Rente pro Kind: Das wäre eine Zukunftsinvestition für das Humankapital und würde die Geburtenrate rasch ansteigen lassen. Eine abnehmende Alimentierung ab einem bestimmten Jahresverdienst wäre angemessen. Heute klagen die Meinungsbildner in den gesellschaftlich relevanten Gruppen über die demographische Katastrophe. Diese ist nicht über Nacht eingetreten. Einzelne haben schon vor 25 Jahren auf die schlimmen Folgen des Geburtendefizits hingewiesen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß ein Teil der so dringend benötigten Kinder als Ungeborene auf Kosten der notleidenden Krankenversicherung vernichtet werden. Ungewollte Schwangerschaft wird flugs zur Krankheit umgedeutet. Wer die Hand an das ungeborene Leben legt - unsere Gesellschaft duldet das seit 30 Jahren - wird bald auch Hand an die Alten und chronisch Schwerkranken legen. Die Debatte dazu ist ja bereits eröffnet.

Zurück zu Friedrich August von Hayek. Er fordert staatlichen Bestandsschutz für das Eigentum. Was die Eigentumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz wert ist, konnte man beim Fall der Mauer erkennen. Was hätte sich unser Land ersparen können, wenn nach der Wende großzügig das in Staatsbesitz befindliche Vermögen den Enteigneten zurückgegeben worden wäre. Diese Maßnahme, verbunden mit Auflagen zur Investition, hätte das Beitrittsgebiet deutlich schneller vorangebracht als die Alimentierung über Steuern und Solidarzuschlag. Die Pläne der Parteien, den Fiskus erheblich beim Erbfall partizipieren zu lassen, liegen bereits in der Schublade. Über das Erbrecht soll ein wesentlicher Teil des Eigentums in Staatshand kommen.

Steuerhinterziehung ist schändlich. Aber die Kürzung des Freibetrages aus Kapitalvermögen auf geringe 1.300 Euro fördert die Steuerhinterziehung und ist ein Anschlag auf die mühsame Eigentumsbildung der Strebsamen.

Mit der Aufrichtigkeit sind wir bei Hayeks drittem Essential. Die politische Klasse ist im Regelfall wenig aufrichtig. Die Massenmedien unterliegen keiner Zensur. Aber die geschickte Auswahl der Themen unter Auslassung wichtiger Details und die strikte Beachtung der Political correctness kommen einer Zensur gleich. Aufrichtigkeit? Wer wagt es noch, den Menschen in diesem Land die ungeschminkte Wahrheit bezüglich der Arbeitslosigkeit, der Staatsverschuldung, der Ausländerkriminalität u. a. zu sagen? Welcher Parteienvertreter hält sich noch an Wahlversprechen? Wer von der politischen Klasse vertritt spezifisch deutsche Interessen gegenüber dem Ausland, wie das bei Franzosen, Briten und Italienern selbstverständlich ist? Es ist leider so, die Verlogenheit ist in dieser Republik auf der politischen Ebene zum System erhoben worden.

"Üb' immer Treu und Redlichkeit" tönte es stündlich in der Preußenmetropole Potsdam aus der Garnisonskirche, bis die alliierten Bomber diesen Sakralbau zerstörten. Der naturgetreue Wiederaufbau der Kirche samt dem schon wiedererstellten Glockenspiel wird von der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg nachhaltig blockiert. Warum? Ach ja: "und weiche keinen Fingerbreit von Gottes Wegen ab", so endet die Melodie des Glockenspiels. Soll nicht deutlich werden, daß wir erheblich von Gottes Wegen abgewichen sind? Christliche Glaubenstreue war ein nicht wegzudenkender Grundwert in Preußen. Nicht alle, aber die Mehrheit der Menschen und der Machtausübenden richteten ihr Alltagshandeln nach den zehn Geboten. Heute kann ein überzeugter Christ wie der Italiener Butiglione nicht mehr EU-Kommissar werden und die Lebensdevise "Üb' immer Trug und Scheinheiligkeit" gewinnt Bedeutung.

Die Ursachen für die schlimmen Ereignisse in Europa während der roten und braunen Diktatur liegen in der Abkehr von Gott, erkannte schon vor dreißig Jahren Alexander Solschenizyn. Der Verlust der transzendentalen Dimension, so formulierte es später Karl Carstens, bringt uns ungeahnte Probleme.

Die deutsche Krankheit ist nicht primär eine Wirtschaftskrise oder Konjunkturflaute, sondern eine geistig-moralische Krise. Zu ihrer Überwindung bedarf es einer allgemeinen Umorientierung. Im Osten Europas erlebt die frohe Botschaft des Evangeliums eine nicht für möglich gehaltene Blüte. In den USA bekennt der Präsident sein Christentum und gewinnt Wahlen. EU-Europa geht noch den entgegengesetzten Weg, obwohl sich sein Werden und Wachsen unter dem Kreuz vollzog. Wann erfolgt bei uns der Rückgriff auf die christliche Geschichte des Kontinents?

Der große Preuße Ernst Moritz Arndt wußte schon 1819: "Ich weiß woran ich glaube, ich weiß was fest besteht... Ich weiß, was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt, wo Wahn die Weisen treibet und Trug die Klugen prellt".

Bild: Symbol für den christlichen Kern preußischer Gesinnung: die Potsdamer Garnisonkirche, von deren Turm es stündlich tönte: "Üb' immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab!" (Ölgemälde von Bruno Bielefeld, geboren 1879 im ostpreußischen Blumenau, gestorben 1972 in Berlin) Foto: pa


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren