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08.01.05 / Die Rückkehr der Alten / Trend und Gegentrend in der Wirtschaft - Worauf es ankommt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 1 vom 08. Januar 2005

Die Rückkehr der Alten
Trend und Gegentrend in der Wirtschaft - Worauf es ankommt
von Jürgen Liminski

Der Trend ist seit Jahren ungebrochen: Weg mit den Alten. Jedes zweite Unternehmen in Deutschland beschäftigt keine Arbeitnehmer mehr im Alter von über 50 Jahren. Statt auf erfahrene ältere Manager, baut man nach einer Marktanalyse des Düsseldorfer Personalberatungsunternehmens Harvey Nash aus Gründen der Innovation und Kostenersparnis vermehrt auf den Führungsnachwuchs. Dabei werde stets vergessen, daß der Firma damit auch ein Großteil an Erfahrungen und Kenntnissen verloren geht. Niemand kennt ein Unternehmen so gut wie jemand, der mit ihm gewachsen ist oder es mit aufgebaut hat - und niemand kann dieses Wissen so kompetent weitergeben. Wie es Unternehmen ergehen könne, die auf die Kompetenz älterer Manager verzichten, sei nach Erkenntnissen von Harvey Nash seit geraumer Zeit in vielen Betrieben zu beobachten: Entweder sind sie extrem angeschlagen oder völlig vom Markt verschwunden. Der Einbruch der New Economy vor drei Jahren hängt auch mit der mangelhaften Marktkompetenz von jungen Firmengründern zusammen. Die Ausgrenzung älterer Mitarbeiter ist kurzsichtig und gefährdet die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft.

Also her mit den Alten. Auch das läßt sich beobachten. Der Gegentrend wächst an. Die Telekom oder Bertelsmann haben es vorgemacht. Andere ziehen nach. Die Bild-Zeitung titelte im Fall Telekom flapsig: "Ein Rentner soll es nun machen". Aber sie machen es schon seit Jahren, in organisierter Form sogar seit genau einem Jahrzehnt. Der Senior Experten Services (SES) mit Sitz in Bonn hilft in Deutschland und darüber hinaus Unternehmen über Wasser zu halten oder auch zu retten. Der ehrenamtliche Dienst der deutschen Wirtschaft schickt seine mittlerweile mehr als 6.000 rüstigen Rentner in alle Welt. In elftausend Projekten sind sie tätig, meistens in Entwicklungs- und Schwellenländern, aber eben auch in Deutschland. Erfahrung wird überall gebraucht. Denn was Unternehmen in diesen Zeiten des Umbruchs mehr brauchen als dynamische Antreiber sind die ruhigen aber sicheren Hände von Patriarchen oder die gestandenen Persönlichkeiten, die dem Leben durch manche Fährnisse hindurch Gelassenheit und Sinn abgetrotzt haben und es auch weiter tun.

Das ist mehr als eine Mode-Erscheinung in schwierigen Zeiten. Für Vera Bloemer, Autorin des Buches "Interim Management: Top-Kräfte auf Zeit", sollte man Interim Manager nicht nur als "Feuerwehrleute" einsetzen, die Sanierungen umsetzen und kurzfristige personelle Engpässe überbrücken. Das Wissen der "Manager auf Zeit" könne auch für Generationswechsel und Projektmanagement ins Unternehmen geholt werden. Zu lange hätte nach Ansicht von Bloemer das Image gegolten, wer Experten von außen holt, könne seine Probleme nicht eigenständig lösen: "Die aktuellen wirtschaftlichen Entwick-lungen zeigen eine Trendwende weg von den smarten, dynamischen Jungmanagern wieder hin zu gestandenen Profis mit großem Erfahrungsschatz. Diese Rückkehr zu langjährigem Know-how lenkt den Blickwinkel auf ein bewährtes, aber auch sehr innovatives Managementtool, das für Zuverlässigkeit und Professionalität steht."

Vor fast vierzig Jahren schrieb der amerikanische Ökonom John K. Galbraith seinen Weltbestseller über die "Überflußgesellschaft". In ihm analysierte er die Antriebskräfte der modernen Wirtschaft und Gesellschaft und das Konsumverhalten des modernen Massenmenschen. Seine wichtigsten Kapitel behandeln die Begriffe Motivation und Identifikation. Es sind die tragenden Säulen jedes Unternehmens. Es sind Begriffe, die in die Tiefe des menschlichen Daseins hinabreichen. Wer die Mitarbeiter eines Unternehmens nur als Instrumente oder reine Produktionsfaktoren sieht, der baut ein goldenes Kalb, das glänzt aber nicht lebt, totes Kapital, das seinen Wert schnell verlieren kann. Die Krise der letzten Jahre lehrt, worauf es ankommt: Auf Humankapital. Das sind die Daseinskompetenzen, die grundlegenden Fähigkeiten des Menschen, das Lernenkönnen, das Miteinander-Umgehen-Können, Ausdauer, teilen und selbstlos geben können, nach Lösungen suchen statt zu jammern, Gefühle erkennen und einordnen, Vertrauen schenken ohne naiv zu sein, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung von Alltagsproblemen, es sind die Kompetenzen zum Lernen und zur Anwendung des Gelernten, es ist die soziale Kompetenz und die Fähigkeit emotionale Intelligenz zu steuern. Das ist mehr als Wissen. Der amerikanische Nobelpreisträger Gary Becker, ein liberaler Ökonom, der den Begriff des Humankapitals in die Wirtschaft eingeführt und dafür den Nobelpreis erhalten hat, sagte vor einem Jahr auf dem Kongreß "Demographie und Wohlstand" in Berlin: "Das grundlegende Humanvermögen wird in der Familie erzeugt. Die Schule kann die Familie nicht ersetzen."

Die Wirtschaftswissenschaft hat den Wert der emotionalen Stabilität entdeckt und sie als eine Quelle ausgemacht, aus der das Humanvermögen sich speist. Es ist mittlerweile zur wichtigste Ressource der modernen Wirtschaft avanciert. Ohne dieses Humanvermögen kommt keine Wirtschaft aus. Investition in die Gewinnung und Förderung dieser Ressource bringt die beste Rendite. Kein Wunder, sie ist für die Betriebe und die Wirtschaft bisher gratis, es sind die Familien, die diese Investition mit der Erziehung aufbringen. Ohne emotionale Stabilität allerdings, die nicht nur ein Ergebnis der Präsenz der ersten Bezugsperson - in der Regel die Mutter -, sondern auch der inneren Ausgeglichenheit dieser Bezugsperson ist, sinken Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufnahme neuer Lerninhalte und zum Meistern neuer Situationen. Die dafür notwendige emotionale Kraft (Motivation, Offenheit, Flexibilität) ist ohne diese Stabilität weitgehend absorbiert.

Emotionale Stabilität und Humanvermögen - darauf kommt es an, das bringen ältere Arbeitnehmer mit. Gesellschaft und Wirtschaft aber handeln oft gegen die Vernunft. Man setzt die Alten mit ihrem Erfahrungsschatz auf die Parkbank oder man hat die Großeltern aussortiert, in Heime ausgelagert oder abgeschoben. Das geschieht auch oft mit gutem Willen, weil die vielfach geforderten und nicht selten überforderten Eltern die Pflege nicht mehr leisten können. Natürlich ist jeder Fall einzeln zu sehen. Aber auch hier ist ein Trend zu beobachten. Es gibt Wohnhäuser für jung und alt und beide Generationen brauchen einander (die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen fördert die sogenannten Mehrgenerationenhäuser), es gibt Stellen, wo bedürftige Familien eine Oma, einen Opa ausleihen können, ein Senior-Experten-Service für das Kleinunternehmen Familie. Die Idee kommt aus Paris, ist aber auch in München und Hamburg zuhause. Vor allem die Oma-Opa-Kinderhilfe in München expandiert kräftig. In der Psychologie und in den Erziehungswissenschaften weiß man, daß Großeltern eine besondere Rolle spielen. Sie haben Zeit und kommunizieren anders. Der amerikanische Jugendpsychotherapeut Arthur Kornhauser siedelt die Bedeutung der Großeltern ganz oben an: "Sie sind wie lebende Bücher und Familienarchive. Sie vermitteln Erfahrung und Werte. In der Kinder-Hierarchie der Zuneigung stehen nur noch die Eltern über Oma und Opa."

Management und Führung bestehen, so lehrt uns die Wissenschaft, weniger aus der Anwendung von irgendwelchen Organisationsformen oder Techniken. Sie bestehen zu 80 Prozent aus Kommunikation und Umgang mit Menschen. Das ist die Chance des Alters im doppelten Sinn. Ältere Menschen haben diesen Umgang gelernt und bieten diese Fähigkeiten selbstverständlich an, Jüngere nehmen das unausgesprochene Angebot wahr. Es ist eine Art Markt, geregelt von der "unsichtbaren Hand", die schon der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaft, Adam Smith am Werke sah. Smith ordnete die unsichtbare Hand den menschlichen Eigenschaften zu, vergaß aber die Familie als Einheit. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß diese Hand nun die Alten in den Kreislauf zurückführt und damit die Bedeutung der Familie sichtbar macht.


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