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15.01.05 / Das Leid mit der Leitkultur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 2 vom 15. Januar 2005

Gedanken zur Zeit:
Das Leid mit der Leitkultur
von Gottfried Loeck

Mit schöner Regelmäßigkeit werden nach Wahlen „die Wunden geleckt“, Schuldige an dem oder Ursachen für das Wahlergebnis ausgemacht. Jüngstes Beispiel solcher Diagnose lieferte der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt, als er der Sächsischen Zeitung gegenüber freimütig bekannte, daß sich seine Partei nicht genügend gegenüber Themen wie Zuwanderung und Heimat geöffnet habe. Die Debatte fernab und „über die Köpfe der betroffenen Mitbürger hinweg“ geführt zu haben hatte sich nicht ausgezahlt. Durch den Einzug der NPD ins sächsische Parlament hatte die CDU ihre absolute Mehrheit verloren. Daß das Entdecken sogenannter „rechter Themen“ nur nach Wahlniederlagen passiert, hat bei bürgerlichen Parteien fast schon Tradition. Wenn so viele Wähler von der Fahne gegangen sind, sollten bürgerliche Parteien dringend darüber nachdenken, ob mit Europa, Globalisierung und Wirtschaftswachstum allein Wahlen dauerhaft zu gewinnen sind.

Milbradts Umorientierung auf bisher vernachlässigte Themenbereiche entsprang offensichtlich weniger eigenen Ideen, vielmehr waren es äußere Erkenntnisse aus einem wenig schmeichelhaften Wahlergebnis. Auswärtige Beobachter wollen erkannt haben, daß die CDU mit ihren politisch abgehobenen Schwerpunkten gemäßigte bürgerliche Wähler nicht mehr erreicht hat. Weniger die Einsicht, daß eine solche Analyse zu spät kommt, als die Verläßlichkeit in ein wirkliches Umdenken lassen die Skepsis gegenüber der CDU bei eher konservativen Wählern geboten erscheinen. Zu oft sind in den letzten Jahren bei bürgerlichen Parteien derartige thematische Impulse ins Leere gelaufen. Nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern“ läßt sich dauerhaft niemand mehr begeistern.

Als der einstige Fraktionsvize der CDU / CSU-Fraktion, Friedrich Merz, im Herbst 2000 den Begriff „Leitkultur“ aufwarf, wurde er von eigenen Parteigenossen mit Häme überschüttet. Die Wortschöpfung ging auf den islamischen Gelehrten Bassam Tibi zurück, der damit nur seine eigene Position gegenüber der Wertebeliebigkeit von Multikulti und ihren ruhelosen Verfechtern in diesem Land zum Ausdruck bringen wollte. Merz verstand zunächst unter dem längst ad acta gelegten Begriff eine Aufforderung an alle Zuwanderer, die deutsche Sprache zu lernen und sich an die Gesetze zu halten. Was in allen sonstigen Einwanderungsstaaten unter Demokraten Selbstverständlichkeit ist, führte in diesem Land zu wilden Irritationen. Schon der Begriff genügte, um Empörung auszudrücken und manchen selbsternannten Gutdeutschen zu aktivieren. Daß bei entsprechendem Medienrummel der richtige Ansatz schnell und ohne vertiefende innerparteiliche Debatte verschwand, kam nach früheren Erfahrungen keineswegs unerwartet. Mit Gesundheitsreform und Staatsverschuldung glaubte man besser punkten zu können.

Mit erheblichen Anstrengungen konnte Merz zwar eine völlige Streichung des Begriffs und der damit verbundenen Orientierung verhindern, bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß des deutschen Parlaments zum Zuwanderungsgesetz jedoch spielte eine verbindliche Leitkultur keine Rolle mehr. Seitdem der Bundeskanzler am 9. November 2000 zum „Aufstand der Anständigen“ in Berlin sammeln ließ und seine markigen Worte verhallt waren, empfand die berauschte Menge selbst minimale Ansprüche an Zuwanderer als diskriminierende Fremdbestimmung. Damit war jeder Ansatz nationaler Interessenswahrung programmatisch beerdigt, die überfällige Debatte darüber beendet, noch bevor sie richtig begonnen hatte.

Daß solche Interessenwahrung der eigenen nationalen Identität bei unseren Nachbarn ganz selbstverständlich ist, bedarf kaum ausführlicher Begründung. Schon die Kenntnis des Textes der Nationalhymne oder der Respekt vor den Staatssymbolen widerspricht nach Meinung der medial permanent gegenwärtigen Bedenkenträger der Toleranz und Weltoffenheit. Das reichte im Verbund der Gutmenschen, um von nationalen Vorgaben an die hier lebende Bevölkerung nicht mehr laut zu sprechen. Aus Angst vor dem eigenen öffentlichen Bekenntnis war der Ballon zerplatzt, das Thema Leitkultur als unergiebig, unerwünscht abgehakt.

Um nicht die letzten Wertkonservativen der Fraktion nach dem Rauswurf Hohmanns vollends zu verprellen, startete die Parteichefin kürzlich mit der „Patriotismusdebatte“ eine weitere, vermutlich folgenlose Luftblase. Zwar betonten sie und ihre Umgebung mehrfach, daß es legitim sei, nationale Interessen zu verfolgen, von inhaltlichen Ausführungen, Abgrenzungen hingegen drang wenig nach außen. Allein mit dem Grundgesetz zu operieren verspricht, sich im Abstrakten zu erschöpfen. Die Idee, Unterschriften gegen einen EU-Betritt der Türkei zu sammeln, wurde nach heftiger Gegenwehr von links und aus den eigenen Reihen jäh abgebrochen. Insofern blieb Frau Merkel in der „bewährten“ Spur strebsamer Mandatsträger. Wer große Ziele verfolgt, muß vermutlich in diesem Staat so handeln. Rhetorische Vorstöße in den Kernkompetenzbereich der bürgerlichen Parteien verpuffen meistens schnell, sobald es an die politische Durchsetzung und Umsetzung geht. Der sächsische Ministerpräsident hat offenkundige Ursachen der Wahlniederlage richtig erkannt. Ob er allerdings daraufhin seine Politik erkennbar verändern wird, bleibt leider aufgrund vergleichbarer Erfahrungen mehr als zweifelhaft.


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