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22.01.05 / Die Gegenwart singt längst Deutsch / Junge Gruppen und Interpreten begeistern mit ehrlicher Musik und frechen Texten ihr Publikum 

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 3 vom 22. Januar 2005

Die Gegenwart singt längst Deutsch
Junge Gruppen und Interpreten begeistern mit ehrlicher Musik und frechen Texten ihr Publikum 
von Rebecca Bellano

Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres ärgerten sich zahlreiche deutsche Musiker über die Bundestagsabgeordneten in Berlin. Im September hatten etwa 600 "Musiker in eigener Sache", unter ihnen Smudo von den "Fantastischen Vier", Udo Lindenberg, Peter Maffay, Yvonne Catterfeld und Xavier Naidoo, eine Mindestquote für deutsche Musik im Radio gefordert, denn obwohl die Verkaufszahlen der deutschen Produktionen mit 55 Prozent 2003 bei den Singlecharts einen deutschen Rekord darstellten, spielten die Rundfunksender kaum Musik aus deutscher Produktion, geschweige denn deutschsprachige Lieder. Im Dezember nun wollten die deutschen Volksvertreter über das Anliegen der Künstler entscheiden, die damit argumentierten, daß Länder wie Kanada, Frankreich, Australien, die Schweiz, Polen, Rumänien und Estland mit solch einer Quote schon seit Jahren ihre einheimischen Nachwuchsmusiker förderten. Doch die Meinung der Politiker war gespalten. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Kulturstaatsministerin Christina Weiss hielten in diesem Fall nichts von gesetzlicher Regelung. Die FDP sprach abwertend sogar von "Deutschtümelei". Zudem kam von Seiten der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF der Vorwurf der Bevormundung, und der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) drohte gar mit dem Gang vor das Verfassungsgericht, wenn die Abgeordneten den Wünschen der deutschen Künstler entsprächen.

Für ihre Verhältnisse tapfer wagte sich die rot-grüne Regierungsfraktion dann doch vor und forderte "eine Selbstverpflichtung öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunksender zur Förderung von Vielfalt im Bereich Pop und Rockmusik in Deutschland", was weder die Musiker befriedigte - denn was ist schon eine Selbstverpflichtung wert - noch die Sender begeisterte. Wer von der Union klarere Worte erwartet hatte, wurde von deren Konzept "Musik aus Deutschland fördern - Für eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hörfunksender zugunsten deutschsprachiger Musik" ebenfalls enttäuscht. Nach stundenlanger Debatte im schlecht besetzten Reichstag beschloß die Bundesregierung, den Radiosendern zu empfehlen, "in den Musikprogrammen einen Anteil von annähernd 35 Prozent deutschsprachiger beziehungsweise in Deutschland produzierter Pop- und Rockmusik zu senden". Flauer geht es nicht!

Was bei dieser ganzen Diskussion um die Quote untergegangen ist, ist die Realität, denn schon seit über einem Jahr beginnt nach der "Neuen Deutsche Welle" der 80er Jahre nun eine zweite über das Land zu schwappen, der auch die Radiosender allmählich folgen. So nahm beispielsweise der Anteil der deutschsprachigen Lieder im Programm des privaten Radiosenders Energy Berlin von 4,7 Prozent im Oktober 2003 um 6,6 Prozentpunkte auf 11,3 Prozent zu. Auch der öffentlich-rechtliche Anbieter N-Joy erhöhte seinen vergleichsweise hohen deutschsprachigen Musikanteil von 11,3 auf 13,9 Prozent. Grund hierfür ist auch die Tatsache, daß deutschsprachige Musik derzeit "in" ist. Bands wie "Silbermond" und "Juli" spielten sich mit ehrlicher Musik und frechen Texten aus dem Nichts in die Top Ten, also in den Kreis der zehn meistgekauften Musikstücke; "Wir sind Helden" und "Mia" begeistern mit ihrem neuen deutschen Pop. Diese neue Generation von Musikern tritt selbstbewußt auf und entschuldigt sich nicht dafür, daß sie Deutsch singt, wie es in den 90er Jahren üblich gewesen war.

Die vier Mitglieder von "Silbermond" lernten sich 2000 bei dem kirchlichen Musikprojekt "Ten Sing" kennen, wo sie, wie der Projektname schon nahelegt, auch in Englisch sangen. Erst als sie ihre Lieder in Deutsch sangen und damit gerade ihre anspruchsvollen Texte für alle verständlich wurden, fanden sie ihr Publikum.

Die Gruppe "Wir sind Helden" hingegen hatte sich von Beginn an für ihre Muttersprache entschieden. "Muß ich immer alles müssen was ich kann / Eine Hand in den Sternen die andre im Hintern vom Vordermann / Das ist das Land der begrenzten Unmöglichkeiten / Wir können Pferde ohne Beine rück-wärts reiten / Wir können alles was zu eng ist mit dem Schlagbohrer weiten / Wir können glücklich sein und trotzdem Konzerne leiten." Rotzfrech und die Gefühle ihrer Generation in stimmige Worte und Melodien fassend, zogen ihre Songs schon im Sommer 2003 die Menschen im Alter zwischen 15 und 30 in die zahlreichen Konzerte unter freiem Himmel.

Auch die Gießener Band "Juli" tingelte sich mit ihrer "Perfekten Welle" via zahlreiche kleinere Konzerte in die Herzen ihrer Fans. Bei dem Refrain "Das ist die perfekte Welle / Das ist der perfekte Tag / laß dich einfach von ihr tragen / denk am besten gar nicht nach" ist es gar nicht möglich, nicht die Hände in den Himmel zu heben und in Hochstimmung mitzusingen, und so wurde die Gruppe zum Chartstürmer 2004.

Vom Herzschmerz der piepsig-koketten "Lolita" Annett Louisan, über die melancholischen Liebeslieder der vier "Töffel" von "Virginia Jetzt" bis zu dem aggressiven Rock der "Ärzte" ist derzeit das Angebot an deutschsprachiger Musik erstaunlich vielfältig. Die Bands "Rammstein" und "Die Toten Hosen" haben sogar schon seit Jahren auch im Ausland Erfolg. "Von unseren 20 besten Konzerten überhaupt haben wir mindestens sechs in Argentinien gemacht", schwärmt Campino von den "Toten Hosen".

Umfragen haben inzwischen ergeben, daß deutschsprachige Musik vor allem in den osteuropäischen Staaten im Trend liegt. Kein Wunder also, daß die Deutschen inzwischen auch im eigenen Land selbstbewußter auftreten und sogar kritisch ihre Geschichte besingen. "Auferstanden aus Ruinen dachten wir / wir hätten einen Traum vollbracht / 40 Jahre zogen wir an einem Strang / Aus Asche haben wir Gold gemacht. Wir sind wir! Wir stehen hier! / Wieder Eins in einem Land / superreich und abgebrannt" stimmen "Paul van Dyk & Peter Heppner" durchaus nachdenklich.

Frei nach dem Motto der "Ärzte" "Es ist nicht deine Schuld, daß die Welt ist, wie sie ist / Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt" mischen deutsche Bands den Musikmarkt und auch die Rundfunksender auf. Qualität setzt sich auch ohne Quote durch, und zahlreiche vor allem junge Bands haben bewiesen, daß sie mit deutschsprachiger Musik die Befindlichkeiten ihres deutschen Publikums hervorragend treffen können. Die Gegenwart singt schon Deutsch.

 Live-Konzert: Die Band "Juli" wird nach der Flutkatastrophe in Südostasien ihr Lied "Die perfekte Welle" nicht mehr spielen. Foto: Universal


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