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29.01.05 / Keine Glitzerwelt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 4 vom 29. Januar 2005

Keine Glitzerwelt
von Ronald Gläser

Karl Lagerfeld ist hart im Umgang mit Berlin. Der Modeschöpfer unkte kürzlich gegenüber der Zeitschrift Textilwirtschaft: "Ich sehe da ehrlich gesagt nichts ... Berlin wird wohl eine Verwaltungsstadt wie Washington. Ich höre nur noch Leute, die da weggehen, die sagen, da ist nichts los. Da ist kein Geld, da verliert man seine Zeit."

Letztes Wochenende hätte er Gelegenheit gehabt, sich ein anderes Bild von Berlin zu machen. Sicherlich: Wer in Europa an Mode denkt, der denkt an Mailand, in Deutschland vielleicht an Düsseldorf. Aber Berlin?

Doch die Zeiten ändern sich. Für ein Wochenende war Berlin die unangefochtene Mode-Hauptstadt Deutschlands mit Ausstrahlungskraft über die deutschen Grenzen hinaus. In Berlin-Spandau fand die Modemesse "Bread & Butter" (Brot und Butter) statt. Allein hier waren 600 Aussteller - zu 80 Prozent aus dem Ausland - zu finden. Vier weitere Messen lockten Aussteller und Besucher in die Spreemetropole.

Bread & Butter fand standesgemäß in einem alten Kabelwerk statt. Das ist typisch für Berlin, wo Entindustrialisierung, Untergrund-Gefühl und die vermeintliche Schönheit des Verfalls zusammenkommen. Mehr Gammelklamotten als Haute Couture. Nichts für einen Mann wie Lagerfeld, der aus einer lupenreinen Glitzerwelt stammt. Den 40.000 Besuchern scheint es aber gefallen zu haben. Und selbst wenn Berlin noch nicht das neue deutsche Mode-Mekka ist, so ist doch ein Trend erkennbar, der einen Ausweg aus der Dauer-Wirtschaftskrise seit 1990 zeigt. Als Hauptstadt zieht die Spreemetropole kreative Kräfte aus dem ganzen Land wie ein Magnet an. Kein produzierendes Gewerbe, leider, aber immerhin Künstler, Schriftsteller und eben Modeschöpfer zum Beispiel.

Auch die Touristen kommen. 2004 stieg die Zahl der Übernachtungen in Herbergen ab neun Betten auf einen Monatsdurchschnitt von 1,34 Millionen (Januar bis Oktober). Die Vorjahresmonate kamen nur auf je 977.000 - ein Plus von knapp 14 Prozent. Um zwölf Prozent stieg die Zahl der an den Berliner Flughäfen abgefertigten Fluggäste. Dank der Billigflieger wie Easyjet oder Air Berlin stieg der Flugtourismus von und nach Berlin auf fast 15 Millionen Fluggäste insgesamt. Damit hat der Standort Berlin auch Köln von seiner deutschlandweiten Spitzenposition bei den Billigfliegern, die für den Freizeittourismus von besonderer Bedeutung sind, verdrängt. Und das liegt sicher nicht daran, daß die Menschen nur wegfliegen, ohne zurückzukommen, wie Karl Lagerfeld behauptet.


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