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29.01.05 / Ein Besuch im Buchstabenhäuschen / Christa Schulz-Jedamski stöbert in alten Erinnerungen und blättert in einem Buch aus Kindertagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 4 vom 29. Januar 2005

Ein Besuch im Buchstabenhäuschen
Christa Schulz-Jedamski stöbert in alten Erinnerungen und blättert in einem Buch aus Kindertagen

Ich hab noch einen Koffer, nein, nicht in Berlin, sondern auf der Lucht. Nach so langer Zeit, nach Flucht, Vertreibung und vielen Umzügen von Ort zu Ort, hatte ich schon vergessen, was da alles zusammengetragen wurde an Erinnerungen ...

Als ich unlängst darin rumstöberte, fand ich ein Buch aus meiner Kinderzeit. Ich hatte es schon vergessen, total, aber als ich es jetzt in meinen Händen hielt, meinte ich mich zurückversetzt in die Bücherei von Mohrungen.

Viele Bilder steigen in mir auf, und ich kann mich wieder erinnern, wie es in der Herderbücherei ausgesehen hat. Das schmale, engbrüstige kleine Häuschen, links ein Fenster und rechts daneben gleich die Eingangstüre, zu der ich aber erst vier schon gewaltig ausgetretene Steinstufen bewältigen mußte.

Wer mag da wohl alles schon drübergelaufen sein, um den schmiedeeisernen Griff, der auf der linken Seite der schweren Türe zu finden war, niederzudrücken, um in das Reich der Buchstaben zu gelangen. Wie die alten Holzdielen knarzten, wenn ich an der Anmeldung vorbei in die hinteren Räume mit den vielen, vielen Büchern ging, und wie mein erwartungsvolles und staunendes Kinderherz klopfte, wenn ich die vielen Regale mit den verschieden farbigen Buchrücken sah ... und dazu die Vorstellung, was da alles zwischen zwei Buchdeckeln gebündelt und versteckt war! Geheimnisse über Geheimnisse! Meiner Phantasie waren keine Grenzen gesetzt.

Und da durfte ich mir eines aussuchen und mit nach Hause nehmen! Und wie es in den Räumen nach Druckerschwärze, nach alten Ledereinbänden und schon vergilbten Buchseiten roch.

Für mich war es immer ein großer Augenblick, wenn mich Omchen an die Hand nahm, und wir beide in Richtung Herderstraße gingen und das Buchstabenhäuschen, wie ich es nannte, betraten, um mit ihrer Hilfe das richtig schöne Kinderbuch zu finden. Ja, und dieses Kinderbuch war das Letzte, welches ich mir ausgeliehen hatte und nicht mehr zurückgeben konnte.

Als wir dann die Flucht antraten, hatte ich es in meinem Schultornister zwischen Brot und Geräuchertem versteckt. Dieses Kinderbuch hat alles mitgemacht, Eis, Schnee und Regen - auch alle Strapazen der Flucht, und ich habe es verteidigt gegen alle Repressalien der restlichen bösen Welt.

Gedankenvoll blättere ich in diesem Buch aus Kindertagen und finde, es hat sich erstaunlich gut gehalten. Wenn man bedenkt, was hat es doch alles mitgemacht, durch wieviele Hände ist es gegangen, und wie viele Schulfreundinnen darin gelesen haben. Langsam und bedächtig schlage ich das Buch zu, und dabei entdecke ich auf der Innenseite des Buchdeckels ein eingeklebtes Etikett. Es bezeugt, daß dieses Buch einstmals der Besitz der Bücherei in Mohrungen war. Dieses Bucheignerzeichen ist schlicht, aber liebevoll gestaltet, auch aufschlußreich, weil es mit genauem Datum die Gründung der Herderbücherei belegt.

Wer mag dieses Bücherzeichen wohl entworfen haben und wer hat es dann gedruckt?


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