28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
19.02.05 / Der schmelzende Koch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. Februar 2005

Der schmelzende Koch
von Robert Reinick

Es war im Monat Januar; tagelang war ein dichter Schnee gefallen und lag nun fast ellenhoch im Hofe und auf den Dächern, so weiß und rein, so zart und glänzend, daß, wenn man darauf hinsah, einen die größte Lust ankam, sich hineinzulegen, hätte man nicht gewußt, daß es sich eben nicht sehr behaglich darin liegt.

Endlich teilten sich die Wolken, der blaue Himmel schaute freundlich wieder hervor und lockte auch gleich drei lustige Kinder, zwei Knaben und ein Mädchen, aus der engen Stube in den Hof hinaus. Die wateten nun munter in dem tiefen Schnee, warfen sich mit Schneebällen, fuhren einander auf dem Schlitten und bekamen vor Vergnügen und Kälte die frischesten roten Backen und fast ebenso rote Hände. "Seht", rief der Älteste, "der Schnee läßt sich herrlich kneten, jetzt ist gerade die rechte Zeit, einen Schneemann zu machen."

"Ja, ja, einen Schneemann!" riefen die andern und machten sich gleich daran, einen aufzubauen.

"Soll's ein Koch oder eine Köchin werden?" fragte das Mädchen.

"Ein Koch, ein Koch!" war die Antwort. "Ein Schneemann ist viel hübscher als eine Schneefrau, die ist plump und hat keine zwei Beine."

So war denn die Statue eines Kochs aufgerichtet und stand in wenigen Stunden da, viel weißer und stattlicher, als der magere Koch, den der Gutsbesitzer sich kürzlich aus Paris mitgebracht hatte; der ging zwar auch immer in Weiß gekleidet, aber sah doch oft recht schmutzig aus.

Nun will ich Euch einmal den schönen Schneemann beschreiben, den die Kinder sich aufbauten: Seine Beine bestanden aus zwei plumpen Säulen, die eher einem Paar Elefantenbeinen als menschlichen Gliedmaßen ähnlich sahen. Darauf ruhte der Leib, ein großer, dicker Schneeklumpen. Wo seine Brust aufhörte und der Bauch anfing, wäre schwer zu erkennen gewesen, hätte nicht das Mädchen ihm ihre Schürze umgebunden; denn ein Koch ohne Schürze ist kein rechter Koch. Nun sollte er aber auch noch ein paar alte hölzerne Löffel im Gürtel haben. Doch weil diese ihm immer wieder herunterfielen, wurden sie ihm unbarmherzig in den Bauch hineingebohrt, wo sie denn auch recht fest steckten.

Ganz vorzüglich war der Kopf des Schneemannes geraten, obgleich man die Nase nicht wohl erkennen konnte, weil sie nicht hatte ankleben wollen. Dafür aber hatte der Mann große, kohlrabenschwarze Augen (denn es waren wirkliche Kohlen) und schöne, ziegelrote Lippen (denn sie waren aus einem Paar wirklichen Ziegelscherben zusammengesetzt). In diesen Lippen steckte eine wirkliche, schwarzgerauchte irdene Pfeife, die der Hausknecht erst vor einer Stunde auf den Kehricht geworfen, weil sie keine Luft mehr zog. Endlich ward der Statue noch als Mütze ein alter Kochtopf gerade auf den Kopf gestülpt, der ihr denn ein äußerst ehrwürdiges Ansehen gab. Über die Arme und Hände wollen wir aber nicht viel sprechen, die waren weniger gelungen und bröckelten immer ab.

Das gab einen prächtigen Anblick, wie der dicke, weiße Kerl fix und fertig in dem hellen Sonnenscheine glänzend dastand. Aber trotz seiner kohlschwarzen Augen, trotz seiner ziegelroten Lippen, trotz Pfeife und Kochtopf machte der Schneemann noch immer ein sehr unzufriedenes, zerrissenes Gesicht, soviel die Kinder auch daran herumgeknetet hatten. Ein geheimer Kummer schien an seinem Inneren zu nagen.

"Schneemann, bist du den nicht zufrieden?" rief das Mädchen, nachdem sie sein Gesicht längere Zeit betrachtet hatte.

Der Schneemann schwieg und sah nach wie vor verdrießlich aus.

"Ich weiß, was ihm fehlt", sprach der älteste Knabe. "Er ist ein Koch und hat keinen Herd. Kommt her, den müssen wir noch bauen!" Und rasch trugen sie Steine zusammen und bauten vor dem Schneemann einen Herd.

"Schneemann, bist du nun zufrieden?" riefen die Kinder; aber der schwieg und sah brummig aus, nach wie vor.

"Aha, auf den Herd gehören Töpfe; die sollst du haben", sprach das Mädchen und holte dann rasch einige Scherben vom Kehrichthaufen und stellte sie auf die Steine; aber der Schneemann sah unzufrieden aus, nach wie vor.

"Jetzt will ich euch sagen, was ihm fehlt", sprach der jüngere Knabe. "Er will kochen und hat kein Feuer und dazu friert ihn auch. Kommt, laßt uns Feuer holen."

Rasch brachten sie nun Späne aus der Küche herbei, steckten sie an, und bald brannte ein großmächtiges Feuer vor dem Schneemann auf dem Herd.

"Nun, Alter", riefen die Kinder, "ist dir doch endlich wohl, nicht wahr?" Und siehe da, die zerrissenen Gesichtszüge des Schneemannes veränderten sich wirklich, seine Miene wurde milde und weich, die Lippen gingen ihm auseinander, die Pfeife fiel ihm aus dem Munde.

"Seht, seht, endlich ist er zufrieden!" jubelten die Kinder.

"Seht wie gerührt er ist, wie ihm die Tränen über die Backen laufen!"

Und so war es auch wirklich, der gute Schneemann war so gerührt, wie kein Mensch es jemals werden kann! Nicht nur die Tränen liefen ihm über die Backen, er troff auch am ganzen Leibe; die Augen fielen ihm aus dem Kopf, die Lippen aus dem Gesicht, die Kochlöffel aus der Brust, mit einem Worte, der ganze Koch zerschmolz in Wasser.

In kurzer Zeit war von ihm nicht mehr übrig als ein nasser Fleck, zwei schwarze Kohlen, einige Scherben und die alte, schmutzige Tabakspfeife. Das war das rührende Ende des Schneemannes.

Ob die Kinder wohl auch vor Rührung darüber Tränen vergossen haben?

Nein, auch nicht eine einzige; im Gegenteil, sie lachten aus vollem Halse darüber, denn sie hatten sich einen lustigen Spaß gemacht und sich königlich daran vergnügt.

 Auch heute noch beliebt: Der Schneemann Foto: Winter & Medwedeff


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren