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26.02.05 / Die "Liquidierung der Kulaken als Klasse" / Vor 75 Jahren erschien Stalins Prawda-Artikel "Der Rausch des Erfolges" 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. Februar 2005

Die "Liquidierung der Kulaken als Klasse"
Vor 75 Jahren erschien Stalins Prawda-Artikel "Der Rausch des Erfolges" 
von Manuel Ruoff

Wenn in diesen Tagen von offizieller oder offiziöser Seite die Sprache auf die Verbrechen der Roten Armee in Deutschland kommt, dann doch regelmäßig mit dem um Verständnis heischenden Hinweis, daß es sich dabei um eine Reaktion auf deutsche Verbrechen in der Sowjetunion gehandelt habe. Dieser Versuch, Stalin auf Kosten Hitlers zu entlasten, wäre zweifelsohne überzeugender, wenn nicht vor der Eroberung Ost- und Mitteldeutschlands durch die Rote Armee schon Millionen wehrlose Zivilisten anderer Nationalität dem Stalinismus zum Opfer gefallen wären. Dazu zählen Bewohner anderer von der Roten Armee eroberter Gebiete ebenso wie jene Angehörigen des "Sowjetvolkes", die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Stalins sogenannter Revolution von oben zum Opfer gefallen sind, die der rote Diktator stets für sein größtes Verdienst um die Sache des Kommunismus erachtet hat und die nach seinem eigenen Urteil mehr Menschenleben gekostet hat als die Oktoberrevolution und der nachfolgende Bürgerkrieg zwischen "Roten" und "Weißen" zusammen.

Ernst Nolte hat die Bedeutung der bolschewistischen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung sogar derart hoch eingeschätzt, daß er den Spieß umdrehte. Statt wie üblich sowjetische Verbrechen (in Deutschland) auf NS-Verbrechen zurückzuführen, führte er NS-Verbrechen auf sowjetische (in Rußland) zurück. Entsprechend groß war die Aufregung, denn das war ein Tabubruch. So sehr die Political Correctness es gebietet, für die Verbrechen der Alliierten - sei es nun "Nemmersdorf" oder "Dresden" - Ursachen in der Politik der Kriegsverlierer zu finden, so sehr verbietet sie es, umgekehrt für die Verbrechen der Nationalsozialisten Ursachen in der Politik der Kriegssieger zu suchen - sei es die den Deutschen ihr Selbstbestimmungsrecht vorenthaltende Deutschlandpolitik der Diktatoren von Versailles, die wir in unserer Serie "Befreiung oder Niederlage oder was?" aus Anlaß des Kriegsendes vor 60 Jahren beleuchten, oder seien es die in der Zwischenkriegszeit von der Sowjetmacht in Rußland verübten Massenmorde, die viele Deutsche (und nicht nur Deutsche) in den Nationalsozialisten das kleinere Übel sehen ließen im Vergleich zum Kommunismus.

Einen Höhepunkt erreichte der sowjetische Staatsterror gegen die eigene Bevölkerung vor einem Dreivierteljahrhundert mit der sogenannten Entkulakisierung. Nicht ohne Grund ging Günther Stökl so weit, diesen systematischen Massenmord als "die größte menschliche Katastrophe, die jemals einem Volk in Friedenszeiten von seiner eigenen Regierung bereitet worden ist", zu bezeichnen.

Stalins Ideologie unterschied sich von jener Trotzkis vor allem in der Annahme, daß der Aufbau des Sozialismus in einem Lande möglich sei und es keiner Weltrevolution bedürfe. Sollte dieses wirklich so sein, so setzte dieses einen unheimlichen Industrialisierungsschub in Rußland voraus. Gemäß der marxistisch-leninistischen Lehre folgt dem Feudalismus der Kapitalismus. Dabei löst die Arbeiterschaft die Bauernschaft als zahlenmäßig größte Gruppe ab, um dann schließlich mit der sozialistischen Revolution die Macht im Staate zu übernehmen. Zum Zeitpunkt der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution hatte Rußland hinsichtlich seiner Produktionsverhältnisse, seiner Bevölkerungsstruktur, seines Unterbaus, seines Seins noch nicht einmal den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus abgeschlossen. Die bürgerliche Februarrevolution lag erst wenige Monate zurück. Rußland hatte also einen gewaltigen Nachholbedarf, wollte es den Unterbau dem Überbau anpassen. Es mußte Resteuropa nicht nur einholen, sondern überholen.

Derartige ideologische Überlegungen mögen für Stalin jedoch sekundär gewesen sein. Noch in den 20er Jahren soll er auf einer Versammlung in einer Replik auf Trotzki von einem Zwischenrufer mit dem bezeichnenden Rat unterbrochen worden sein: "Halt ein ... Überanstreng dich nicht! Die Theorie ist nicht dein Feld." In der Tat war der Generalsekretär der KPdSU (B) eher Praktiker, Pragmatiker und vor allem Machtmensch. Es gab jedoch auch machtpolitische Gründe, die einen Industrialisierungsschub notwendig erscheinen ließen. Beim Aufbau des Sozialismus in einem Lande mußte davon ausgegangen werden, daß sich dieses Land bis auf weiteres in einem kapitalistischen Umfeld bewegte. Um in einem solchen mehr oder weniger feindlichen Umfeld längerfristig bestehen und seine Unabhängigkeit wahren zu können, schien es notwendig, eine eigene leistungsfähige Industrie zu entwickeln.

Der Sprung vom Agrar- zum Industriestaat schien also in vielerlei Beziehung vonnöten. Wofür die bereits durchindustrialisierten Großmächte des Westens ein Vielfaches an Zeit benötigt hatten, sollte nun in Rußland innerhalb von Jahrzehnten nachgeholt und möglichst auch noch übertroffen werden. Das schien nur mit der Anwendung von Zwang möglich, und so bildet die Zwangsindustrialisierung den einen Teil der von Stalin durchgeführten sogenannten zweiten Revolution nach der Oktoberrevolution. Den zweiten Teil bildete die Zwangskollektivierung.

Die Zwangsindustrialisierung führte zu einer großen Nachfrage der Staatsmacht nach landwirtschaftlichen Produkten. Zum einen galt es, das wachsende Industrieproletariat in den Städten zu versorgen. Zum anderen exportierte der Staat ungeachtet von Hungersnöten im eigenen Land einen Großteil der Agrarerzeugnisse ins Ausland, um mit den Devisen die Industrialisierung voranzutreiben und um mit Dumpingpreisen Nachbarstaaten zu destabilisieren. Anfänglich waren Rußlands Bauern bereit gewesen, dem Staat die gewünschten Mengen zu verkaufen. Das änderte sich, als sie merkten, daß dem für ihre Produkte erhaltenen Geld kein entsprechendes Angebot an sie interessierenden industriellen Gütern gegenüberstand. Das lag zum einen an der traditionell geringen Leistungsfähigkeit der russischen Industrie. Es lag aber auch an dem absoluten Vorrang, den Stalin dem Ausbau der Schwerindustrie einräumte, denn der kostete zwar immense Kräfte und Ressourcen, brachte aber zumindest kurzfristig keine Vergrößerung des Konsumgüterangebotes. Viele Bauern entwickelten daraufhin Alternativen zum Verkauf ihrer Erzeugnisse an den Staat. Sie horteten sie oder verfütterten sie an ihr Vieh. Das interpretierte Stalin als Opposition und Sabotage. Er reagierte hierauf mit der Zwangskollektivierung, die den Bauern ihre Existenzgrundlage und wirtschaftliche Unabhängigkeit nehmen sollte.

Schon vorher war in der Partei der Wunsch nach einer Kollektivierung der Landwirtschaft aus ideologischen Gründen vertreten worden. Der Wunsch ist unschwer nachzuvollziehen. Von der Ablehnung des Privatbesitzes industrieller Produktionsmittel ist es kein weiter Schritt, auch den privaten Besitz von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln abzulehnen. Der Klassenkampf wurde von der Stadt aufs Land getragen. Die Rolle der zu bekämpfenden Ausbeuterklasse, die dort die Kapitalisten hatte, wurde hier nun den Kulaken zugewiesen. An niedere Neidinstinkte bei den armen und mittleren Bauern appellierend, hoffte Stalin, die Landbevölkerung spalten und so leichter in die Kollektive führen zu können.

Am 27. Dezember 1929 kündigte Stalin vor Landwirtschaftsexperten den Übergang "von der Begrenzung der ausbeuterischen Tendenzen der Kulaken zur Liquidierung der Kulaken als Klasse" an.

Während man jedoch den Kapitalisten über den Besitz an Produktionsmitteln definieren kann, ist das beim Kulaken nicht so leicht, denn seit der Oktoberrevolution besaßen auch arme und mittlere Bauern Land. Auch über einen großbäuerlichen Wohlstand war der Kulak schwer zu definieren, da die hohen Steuern und Abgaben im Sowjetstaat zu einer Nivellierung auf niedrigem Niveau geführt hatten. Dieses führte zu der absurden Situation, daß in einer ukrainischen Ortschaft ein Mitglied der Entkulakisierungsbrigade von Vertretern einer am anderen Ortsende operierenden Entkulakisierungsbrigade als Kulak verhaftet wurde. Der Willkür waren Tür und Tor geöffnet.

Entsprechend groß war schließlich der Widerstand, und es kam staatlicherseits zu einem Rückzug. Vor 75 Jahren, am 2. März 1930, erschien Stalins Prawda-Artikel "Der Rausch des Erfolges", in dem er den Beamten Übereifer vorwarf. Das Zentralkomitee blies noch im selben Monat ins selbe Horn. Nun wurde auf einmal kritisiert, daß "das Prinzip der Freiwilligkeit beim Kolchosaufbau verletzt" worden sei und "die Entkulakisierung manchmal einen Teil der Mittelbauern und sogar der Dorfarmen" erfaßt habe. Dieser Rückzug war jedoch nur ein taktischer, und wie die Zwangskollektivierung ging auch die Entkulakisierung weiter.

Nach einer Verfügung vom 1. Februar 1930 waren "alle notwendigen Maßnahen im Kampfe gegen das Kulakentum anzuwenden, einschließlich der vollständigen Konfiszierung des Vermögens der Kulaken und deren Aussiedlung aus dem Gebiet der einzelnen Rayons und Provinzen". Die Enteignung und Vertreibung unschuldiger Zivilisten hat im Bolschewismus also durchaus Tradition.

Nach Hans von Rimscha wurden zwei bis drei Millionen Kulaken und sogenannte Kulaken entweder deportiert oder als "Konterrevolutionäre" sofort liquidiert, was häufig auf dasselbe hinauslief, da die Rahmenbedingungen der Deportationen so unmenschlich, um nicht zu sagen mörderisch gestaltet wurden, daß die Deportierten großenteils umkamen.

Kulaken vor der Deportation in Zwangsarbeiterlager: Auf den mitgeführten Transparenten steht Stalins Forderung nach der "Liquidierung der Kulaken als Klasse". Foto: Ullstein


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