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12.03.05 / "Ich bin dem Schicksal dankbar ..." / Interview mit Karl Dönitz über die Flucht über die Ostsee vor 60 Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. März 2005

"Ich bin dem Schicksal dankbar ..."
Interview mit Karl Dönitz über die Flucht über die Ostsee vor 60 Jahren

Herr Großadmiral, zu welchem Zeitpunkt und auf Grund welcher Umstände ergab sich für die Marineleitung die Notwendigkeit, die Menschen aus Ost- und Westpreußen über See zu retten?

Karl Dönitz: Durch den Abfall Finnlands, durch das Näherrücken der Ostfront an die deutsche Grenze und damit auch der verstärkten Bedrohung Ostpreußens, hatte sich für die Kriegsmarine schon 1944 immer mehr als eine Hauptaufgabe ergeben, durch Seetransporte über die Ostsee der deutschen Ostfront zu helfen, Soldaten, Waffen und Munition nach Osten zu bringen und mit den gleichen Schiffen Heeresteile, Verwundete und Flüchtlinge nach Westen zu überführen.

Diese Aufgabe der Kriegsmarine stand neben dem opfervoll gewordenen U-Boot-Krieg, der fortgesetzt werden mußte, weil er unermeßliche Kräfte des Gegners band. Die Seetransporte über die Ostsee erwiesen sich noch mehr als richtig und notwendig, als den Russen Januar 1945 der Durchbruch durch unsere Ostfront gelang.

Wäre es möglich gewesen, diese Menschen rechtzeitiger zurückzuführen, wenn man die Räumungsbefehle zu einem früheren Zeitpunkt gegeben haben würde?

Karl Dönitz: Ich glaube dies, was die Flucht der Menschen auf dem Lande anbetrifft. Über See waren die Rücktransporte schon ab Ende 1944 voll ausgelastet, so daß ein früherer Räumungsbefehl kaum etwas geändert hätte."

Welche Kräfte hat die Kriegsmarine für diese Rettungsaktion aufgewandt und wie viele Einsätze wurden durchgeführt?

Karl Dönitz: Alle fahrbereiten Überwasser-Seestreitkräfte der Kriegsmarine, soweit sie nicht für dringende Aufgaben in der Nordsee oder in anderen Seeräumen benötigt wurden, waren für die Seetransporte in der Ostsee eingesetzt; und ebenso die gesamte zur Verfügung stehende Handelsschifftonnage in Zusammenarbeit mit diesen genannten Seestreitkräften. Alle befanden sich also in einem unaufhörlichen Einsatz. Wie sehr jede Transportmöglichkeit jedes einzelnen Schiffes ausgenutzt wurde, geht auch aus den Befehlen hervor, welche noch Anfang Mai 1945 hierfür erlassen wurden, zum Beispiel: "Transporte deutscher Menschen aus Osten mit höchster Beschleunigung durchführen." - Und: "Schiffe und Boote bis an Grenze Fassungsvermögen mit Menschen und kleinstem Gepäck verladen."

Wo wurden die Menschen an Bord genommen und wo wurden sie an Land gebracht?

Karl Dönitz: An Bord genommen wurden diese Menschen - was die Bewohner Ostpreußens anbetrifft - in Königsberg, Pillau, Danzig, Gotenhafen und Hela. - An Land gebracht wurden sie in Kiel, Neustadt, Eckernförde, Kappeln, Flensburg, Heiligenhafen, Travemünde und Rostock und auch in dänischen Häfen.

Wie hoch ist die Zahl derer, die über See aus Ostpreußen gerettet wurden?

Karl Dönitz: Nach einer Meldung des Oberkommandos der Ostsee an mich vom 21. Mai 1945 wurden in der Zeit vom 23. Januar 1945 bis zum 8. Mai 1945 durch diese Seetransporte über die Ostsee 2.022.602 Menschen nach Westen gebracht. Nach neuerer Forschung ist die wirkliche Zahl der nach Westen transportierten Menschen erheblich größer, da wohl nicht jeder, der sich im Sturm und Drang der Einschiffung an Bord dieser Schiffe, manchmal auf irgendeinem Wege, begab, gezählt werden konnte. Nach der genannten Meldung des Oberkommandos der Ostsee wurden von dieser Gesamtzahl aus folgenden Häfen folgende Menschen abtransportiert: a) von Königsberg, Pillau, Danzig, Gotenhafen und Hela nach Westen 680.000 Flüchtlinge, 345.000 Verwundete, 182.000 Soldaten, insgesamt 1.207.000 Menschen. b) Im Pendelverkehr von Königsberg nach Pillau, von Pillau nach Gotenhafen, von Kahlberg nach Danzig und von Schievenhorst nach Hela: 494.000 Flüchtlinge, 154.000 Verwundete, 79.000 Soldaten, insgesamt 727.000 Menschen. Sicherlich hatten an diesen vorstehend genannten Flüchtlingszahlen die Flüchtlinge aus Ostpreußen einen großen Anteil. Weitere Menschen wurden noch aus Libau, der Pommernküste und aus Vorpommern-Mecklenburg nach Westen abtransportiert.

Wie hoch sind die Verluste zu beziffern, die bei der Rückführung über See entstanden sind?

Karl Dönitz: Die Verluste, die sich bei den Seetransporten ereigneten, waren sehr schmerzlich. Wir denken hierbei vor allem an die Transportschiffe "Wilhelm Gustloff", "Goya", und an das Lazarettschiff "Steuben". Aber alles in allem gingen bei diesen Verlusten nur ein Prozent der verschifften Menschen verloren, während 99 Prozent glücklich in die Seehäfen der westlichen Ostsee gelangten. - Verglichen hiermit waren die Verluste an Menschen, die bei den Flüchtlingstrecks auf dem Lande entstanden, relativ größer.

Die Fragen stellte unsere Zeitung im Jahre 1968.

Karl Dönitz: "Ich bin dem Schicksal dankbar, daß ich bei der Erfüllung dieser Rettungsaufgabe von Nutzen sein konnte." Foto: DHM


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