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26.03.05 / Hilfe in großer Not

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. März 2005

Hilfe in großer Not
von Kurt Baltinowitz

Weit entfernt vom nächsten Dorf, gut getarnt im Unterholz eines kleinen Mischwaldes, bewohnte der Bundesvor-sitzende der Berufsosterhasen, Leporicos, genannt "Der Wohltäter", mit seiner Hasenfrau Leporita, die den Kosenamen "Goldschnute" trug, eine moderne Sasse, ausgestattet mit Mini-Computer, Faxgerät und Telefon. Wohl einmalig in der Osterhasengeschichte, daß der oberste Osterhase im Wald kampieren mußte, doch er hatte keine andere Wahl, denn auch sein Hasenleben war ständig bedroht von skrupellosen Jägern, die auf alle Hasen rück-sichtslos ballerten - sogar auf Osterhasen.

Jetzt tobte wieder einmal die gnadenlose Treibjagd. Daß erneut viele Osterhasen den Schrotkugeln zum Opfer fallen würden, stand außer Frage. Darunter würden auch zahlreiche Berufsosterhasen sein. Und die mußten ersetzt werden, wenn viele Kinder nicht vor leeren Osternestern stehen sollten. Das Problem zu lösen, oblag nun einmal dem Bundesvorsitzenden der Berufs-osterhasen, der als Chef der Osterhasenschule sich um den Nachwuchs hingebungsvoll kümmerte.

Und um den Nachwuchs stand es nicht schlecht. Allein seine attraktive "Goldschnute" hatte ihm im vergangenen Jahr 55 Häslein geschenkt, darunter 20 Rammler, die schon teils in Ausbildung waren, jedoch noch nicht einsetzbar. Die durch brutale Jäger gerissenen Lücken ließen sich allerdings kaum füllen. Fast täglich trafen Schrekkensmeldungen ein.

"Hier, schau mal, Leporicos, ein Fax aus Wehlenstein: 122 Osterhasen innerhalb zweier Tage abgeknallt", seufzte Goldschnute. "Bald bin ich mit meinen Nerven am Ende! Was können wir nur machen?"

Leporicos nagte nachdenklich an seiner Karotte, stützte sein weises Haupt in die Pfoten und sagte mit schleppender Stimme: "Augenblicklich fällt mir nichts ein. Ich hab' mir doch die größte Mühe gegeben, allen Berufsosterhasen eine intensive Ausbildung angedeihen zu lassen. Jeder Absolvent hat das Tarnen und Täuschen, das blitzartige Hakenschlagen und den Überraschungsweitsprung ausgiebig geübt. Soll das alles umsonst gewesen sein?"

"Beruhige dich, mein Rammelchen! Wir hatten doch schon oft große Schwierigkeiten, die schließlich immer gelöst wurden", sagte die Häsin tröstend. "Ich schau mal im Internet nach. Es könnte ja sein, daß Leihosterhasen angeboten werden. Das wäre eine Lösung!"

"Schon, nur wie du selbst weiß, ist unsere Kasse leer", gab der Hasenmann zu verstehen. "Doch da fällt mir etwas ein: Vor Jahren habe ich doch mal einem holländischen Kollegen ausgeholfen, ihm mehrere Leihosterhasen unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Da könnten wir ja mal nachfragen ... Wie viele Ausfälle haben wir überhaupt bundesweit?"

Goldschnute warf den Computer an, rümpfte das Näschen und sagte dann bedrückt: "Etwa 2.000 ... Können auch ein paar mehr sein!"

Geschockt schlug Leporicos die Pfoten über dem Kopf zusammen und stöhnte: "Diese Menge leiht uns niemand. Ein Fiasko! Allein schon die Vorstellung, daß zu Ostern viele Kinder vor leeren Nestern stehen, bringt mich fast um den Verstand. Und wir müssen damit rechnen, daß noch mehr Opfer gefordert werden könnten, denn die Treibjagd ist noch nicht zu Ende. Wir sitzen hier einigermaßen sicher, doch die Kollegen ..." - "Wart mal", unterbrach ihn Goldschnute, "ich frag' mal in Dänemark an. Die haben bekanntlich immer Osterhasenüberschuß. Vielleicht ..."

Sie stockte. Auch Leporicos spitzte die Löffel: Schüsse und Hundegebell waren zu hören, rasch näher kommend, schneller, als dies dem Hasenpärchen lieb war. Die Situation wurde ernst. Schon drangen die Hunde gefährlich kläffend in das Waldstück ein, gefolgt von einer Gruppe schießwütiger Jäger. In letzter Sekunde setzte die Häsin noch einen Notruf ab. Dann liefen beide um ihr Leben und erreichten glück-lich den Waldrand, vor dem sich ein umgepflügtes Feld erstreckte, das gute Deckungsmöglichkeiten bot. Außer Atem schauten sie sich kurz um, keine Verfolger, denn die Hunde hatten die Sasse aufgespürt und die Jäger auf den Plan gerufen. Die staunten, als sie die Mini-Computeranlage entdeckten und sich damit beschäftigten, was den beiden Hasen einen enormen Fluchtvorsprung sicherte. Sie konnten sich endgültig in Sicherheit bringen.

In einem Hühnerstall waren sie gelandet. Eine Notlösung. Bleiben konnten sie hier nicht - und wollten es auch nicht, denn ihr Ziel war die Osterhasenschule, die außerhalb der Treibjagdgebiete lag. Nach vier Tagen war das Ziel erreicht.

"Wir haben euren Notruf empfangen. Was habt ihr nur für ein Glück gehabt", empfing der Übungsleiter das völlig erschöpfte Paar und servierte zur Stärkung Karottensaft, Grünkohl und Weißkohlsalat. Dann schliefen sie sich erst einmal in der Gästesasse richtig aus. "So, Chef, und nun eine gute Nachricht", sagte der Übungsleiter am anderen Tag während des Frühstücks. "Der Schlußsatz eures Notrufs, daß wir Personalsorgen haben, wurde nicht nur von uns empfangen, sondern auch von allen Berufsosterhasenver-einigungen innerhalb der EU. Bei mir liefen die Telefone heiß. Hier, das ist die Angebotsliste!"

Eher skeptisch nahm Leporicos die Liste in die Pfoten, doch gleich hellte sich seine Miene auf, als er die Zahl 4.000 las. "Das darf doch wohl nicht wahr sein?" sprudelte es aus ihm heraus. "Wie hast du das nur geschafft?"

"Nun, du siehst es ja", entgegnete der Übungsleiter voller Stolz. "Osterhasen sind nun mal solidarisch, wenn es darauf ankommt ..." - "Wir sind dir ja so dankbar für dein Engagement", fiel ihm Leporita ins Wort. "Das ist wirklich wie in einem echten Märchen." - "Ja, ja, wie im Märchen", sagte Leporicos schmunzelnd. "Wollen wir hoffen, daß die Kinder auch fernerhin an den Osterhasen glauben, das Märchen vom eierlegenden Osterhasen Bestand hat und wir nicht unseren Beruf verlieren ..."


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