19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.04.05 / Folterkeller und goldene Herrscherstatue / Turkmenistan ist in fester Hand 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. April 2005

Folterkeller und goldene Herrscherstatue
Turkmenistan ist in fester Hand 
von Albrecht Rothacher

Im März war es wieder einmal so weit. Saparmurat Nijazow, Präsident auf Lebenszeit von Turkmenistan und selbsternannter Turkmenbaschi, oberster Herrscher aller Turkmenenstämme, warf seinen Vizepremier wegen Unfähigkeit und Korruption heraus und kündigte ihm einen Prozeß an. Raschid Meredow war nicht der erste Vizepremier, den der Turkmenbaschi vor laufender Kamera öffentlich beleidigte und dem er kündigte. Er war der 58. in 13 Jahren Unabhängigkeit.

Wer sich nicht rechtzeitig ins Ausland rettet, dem droht ein Schauprozeß mit Schuldeingeständnis und Ergebenheitsadresse an den Turkmenbaschi im Staatsfernsehen, in der oft vergeblichen Hoffnung, die lebenslange Haft im turkmenischen GULag noch abzuwenden. Für die Apparatschiks des mittelasiatischen Wüstenstaates ist als logische Konsequenz der unberechenbaren Despotie zwingend: Soviel Geld wie möglich in der kurz bemessenen Zeit der Gunst des Turkmenbaschi an sich zu raffen und sich dann rechtzeitig mit Familie ins Ausland abzusetzen. Ex-Außenminister Schikmuradow denunzierte Nijazow aus dem sicheren Moskauer Exil. Seine Herrschaft sei eine persönliche Tyrannei, die sich auf einen primitiven Polizeistaat gründe. Der Staatshaushalt verschwinde in dem schwarzen Loch seiner persönlichen Konten, die nicht nur von den Öl- und Erdgaseinnahmen, sondern auch vom Drogenhandel alimentiert würden. Mit einem "Fremdwährungsfonds" ist der Diktator gewinnbringend an allen internationalen Gemeinschaftsunternehmen im Lande beteiligt. Auch die Devisenreserven der Zentralbank, zu denen nur Nijasow Zugang hat, werden von der "Präsidentenstiftung" des Turkmenbaschi kontrolliert. Die Depot- und Kontenführung der präsidialen Schätze in Höhe von drei bis fünf Milliarden US-Dollar obliegt übrigens der Deutschen Bank.

Saparmurad Nijasow wurde 1940 geboren. Laut offizieller Biographie fiel sein Vater an der Front. Nach anderen Berichten kam er aus deutscher Kriegsgefangenschaft nicht zurück. Seine Mutter und die meisten Verwandten kamen am 6. Oktober 1948 ums Leben, als bei einem großen Erdbeben die turkmenische Hauptstadt Aschkabad völlig zerstört wurde und 110.000 Menschen, zwei Drittel der Einwohner - darunter fast die gesamte Mittel- und Oberschicht des Wüstenlandes - starben. Nijasow wuchs in einem Waisenhaus in der Spätphase des Stalinismus auf, der ihn offenkundig nachdrücklich prägte. 1962 wurde er Mitglied der KPdSU und in den 60er Jahren im Leningrader Polytechnikum zum Kraftwerksingenieur ausgebildet. 1985 zum Ersten Sekretär der KP Turkmenistans befördert, saß er auch bald im Moskauer Politbüro. 1990 wurde er Präsident der Turkmenischen Sowjetrepublik. Den Putsch gegen Jelzin begrüßte er und wurde von der Entlassung in die Unabhängigkeit eher kalt erwischt. Nach diesen Fehleinschätzungen gewann Nijasow im Rückgriff auf alte Rezepte wieder die Fassung.

Die KP wurde kurzerhand in Demokratische Partei umbenannt. Die Opposition blieb weiter verboten, und die Presse unter Zensur. Privatisierungen und Reformen waren nicht beabsichtigt. Nijasow ließ sich 1992 mit 99,5 Prozent aller Stimmen zum Präsidenten wählen und 1999 der Einfachheit halber zum Präsident auf Lebenszeit deklamieren. Sein Personenkult imitiert sein Jugendideal Stalin. Nijasows Porträt grüßt überlebensgroß von allen öffentlichen Gebäuden, ist auf allen Banknoten und Wodkaflaschen verewigt und wird bei allen Sendungen des Staatsfernsehens stets eingeblendet.

Der Turkmenbaschi bietet seinen Untertanen gratis Strom, Gas und Wasser sowie verbilligt Wohnraum und Brot. Wenn sie in der Hauptstadt Aschgabad ("Stadt der Liebe") wohnen, können sie sich auch an seinen Springbrunnen, der Turkmenbaschi-Prachtstraße mit neuen Marmorpalästen, leeren Luxushotels und Denkmälern des Präsidenten erfreuen. Zu einem gehört eine elf Meter hohe goldene Statue des Diktators, die sich auf einem 75 Meter hohen Turm stets der Sonne entgegen dreht. Ein anderes zeigt die übergroße Fibel des Turkmenbaschi, ein pseudophilophisches Traktat namens Ruhnama ("Buch des Geistes"), das alle Beamten, Lehrer und Studenten auswendig lernen müssen, auf einem Triumphbogen. Ausländische Firmen, die in Turkmenistan Geschäfte betreiben wollen, sind gut beraten, eine Übersetzung und den Vertrieb des Werkes in der jeweiligen Landessprache anzufertigen. Für Deutschland besorgt Daimler-Chrysler dieses "verdienstvolle Werk". 

Aus Dankbarkeit hat Daimler dem Autor auch gleich noch eine gepanzerte Edellimousine geschenkt. Auch Siemens läßt sich nicht lumpen. Es läßt deutsche Professoren als Leibärzte einfliegen. Um dem Turkmenbaschi einen Bypass legen zu lassen, spendierte Siemens ihm eine Herzklinik für 40 Millionen US-Dollar. Dafür darf Siemens in Turkmenistan Kraftwerke, Kliniken, Ölförderanlagen und Kommunikationsnetze ausrüsten sowie, laut Spiegel, auch Abhöranlagen installieren.

Bei solchen Projekten geizt der Turkmenbaschi nicht. Beim Bau seiner Paläste durch französische Konzerne muß alles vom Feinsten sein. Der Marmor stammt aus Italien. Türkische Firmen bauen ein leeres Einkaufszentrum, ein Nationalmuseum und eine übergroße Moschee.

Derweil verarmt die Bevölkerung zusehends. Selbst nach den geschönten offiziellen Statistiken leben 34 Prozent des Fünfmillionenvolkes unter der Armutsschwelle. Das Einkommensniveau liegt beim Durchschnitt von Kamerun. Die Arbeitslosigkeit beträgt je nach Schätzung zwischen 20 Prozent und 60 Prozent. Die Säuglingssterblichkeit liegt bei 7,3 Prozent. Die Lebenserwartung nur bei 61 Jahren. Die Krankenhäuser sind meist ohne fließend Wasser und Strom. Der Turkmenbaschi ließ deshalb die meisten Provinzkrankenhäuser vor Jahresfrist schließen. Stationäre Behandlungen in dem Land der Größe Schwedens gibt es deshalb nur noch in der Hauptstadt. Medikamente gibt es nur gegen bar. Schulkinder verbringen ein Drittel ihrer Schulzeit bei der Arbeit auf Baumwollkolchosen.

Von regionaler Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn hält das Binnenland Turkmenistan wenig. Mit dem nördlichen Nachbarn Usbekistan streitet es um das Wasser des Amu Flusses und um Erdgasfelder, mit dem völkisch eng verwandten Aserbaidschan um die Seegrenze im Kaspischen Meer. Im Juli 2002 explodierte im Hafen von Turkmenbaschi unter ungeklärten Umständen der aserbaidschanische Tanker "General Schiklinski" nach öffentlichen Disputen um Ölfelder unter dem Kaspischen Meer. Da sich die Diktatoren Alijew und Nijasow persönlich herzlich abgeneigt sind, wurde aus menschlichen Antipathien zwischen den autokratischen Herrschern schnell ein zwischenstaatlicher Dis-put. Die auf vier Trillionen Kubikmeter geschätzten Erdgasvorkommen entsprechen den Gesamtvorräten Rußlands, können bisher aber nur zu Bruchteilen gefördert werden. Neben den mangelnden Pipelines schreckt die internationalen Energiegesellschaften auch das unberechenbare Geschäftsgebaren des Turkmenbaschi ab, der als Alleinentscheider zuletzt von den Amerikanern 500 Millionen US-Dollar Vorkasse verlangte.

Die Zahl der politischen Gefangenen wird auf 30.000 geschätzt, die Nijasow im GULag und in der Psychiatrie einsperren ließ. Folter, Schauprozesse, die Zerstörung der Häuser und das spurlose Verschwinden politischer Gefangener sind an der Tagesordnung. Nach einem an-geblichen Attentatsversuch im November 2002, als der Turkmenbaschi Schüssen auf die Präsidentenkarosse wundersam entrann, wurde der Vizepremier neben 65 anderen Verdächtigen zu 248 Jahren Haft verurteilt. Vorher mußte er sich im Fernsehen als "Null" und "Verbrecher" beschimpfen und Nijasow um Gnade anflehen. Dazu führte Nijasow skurrile Regeln wie die Vielweiberei wieder ein. Auch der traditionelle Brautkauf mit Schafen und Kamelen wurde wieder belebt. Als Religionen sind nur der Islam und die Orthodoxie erlaubt. Die Kirche der Adventisten und den Tempel der Hindus ließ der Turkmenbaschi kurzerhand abreißen.

Kein Zweifel: Die Despotie des Turkmenbaschi wurde von sechs Jahrzehnten Kommunismus begünstigt. Traditionell lebten die turkmenischen Stämme von der nomadischen Viehzucht in der Wüste und in Flußoasen. Der bewaffnete Widerstand der turkmenischen Stämme gegen den Bolschewismus dauerte bis 1927. Viele Klans flohen dann mit ihren Herden in den benachbarten Iran und danach Afghanistan. Die zurück-bleibenden Häuptlingsfamilien wurden erschossen. Stalin ließ 1937 die gesamte Intelligenz und die nicht gerade zahlreiche Führung der turkmenischen KP als Pan-Türkisten und britische Agenten hinrichten. Wirtschaftliche und politische Führungsfunktionen wurden seither fast nur von Russen ausgeübt, die unter dem Regime des Turkmenbaschi jedoch nach und nach abwandern, ohne daß einheimischer Führungsnachwuchs ausgebildet würde oder sich halten könnte. Auch wirkt die im Moskauer Exil lebende Nomenklatura-Opposition gegen Nijasow nicht gerade vertrauenserweckend. Sie will nach dem Sturz des Diktators erst zwei Jahre später Neuwahlen abhalten. Genug Zeit, um sich selbst die Taschen zu füllen.

"Turkmenbaschi der Große" ist überall: Selbst das Staatsfernsehen zeigt das Konterfei des Herrschers auf Lebenszeit in einer Bildschirmecke. Foto: Reuters


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren