24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.04.05 / Die Rote Armee überrennt Ostdeutschland / Im Zuge der größten Offensive aller Zeiten belagerten die Sowjettruppen vor 60 Jahren Königsberg 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. April 2005

Die Rote Armee überrennt Ostdeutschland
Im Zuge der größten Offensive aller Zeiten belagerten die Sowjettruppen vor 60 Jahren Königsberg 
von Heinz Magenheimer

Während die Armeen Schukovs an die Oder vorstießen und schon am 31. Januar einen Brückenkopf bei Kienitz nördlich Küstrin eroberte, strebte der Kampf um Ostpreußen seinem Höhepunkt zu. Unter dem Oberkommando der Heeresgruppe Mitte hatten sich die 3. Panzerarmee sowie die 2. und 4. Armee sehr sorgfältig auf die Abwehrschlacht vorbereitet. Das ausgezeichnete, tiefgegliederte Stellungssystem gab Hoffnung auf eine erfolgreiche Verteidigung; unmittelbar vor dem Großangriff sollte die vorderste Stellung unbemerkt geräumt und die "Großkampfstellung" bezogen werden, um dem gefürchteten Vorbereitungsfeuer zu entgehen. Hitler hatte gegen den Willen von Generalstabschef Guderian das IV. SS-Panzerkorps aus dem Raum nördlich von Warschau nach Ungarn verlegt, um das seit dem 24. Dezember 1944 eingeschlossene Budapest zu entsetzen. Nach dem sowjetischen Durchbruch an der Weichsel am 12. Januar 1945 entzog er auch noch das Panzerkorps "Großdeutschland" der Heeresgruppe Mitte, um es weiter südlich den Angreifern entgegenzuwerfen. Solcherart standen nur mehr drei gepanzerte Divisionen als Reserven der Heeresgruppe zur Verfügung.

Als die 3. Weißrussische Front am 13. Januar zur Offensive auf Königsberg ansetzte, wehrten die Truppen der 3. Panzerarmee und der Nordflügel der 4. Armee zunächst alle Angriffe unter sehr hohen Verlusten für den Gegner ab. Die Großkampfzone hatte ihre Vorteile bewiesen. Das im Schwergewicht eingesetzte Armeekorps verdankte seinen Erfolg dem tiefen Stellungssystem und der starken Artillerie. Erst als der Gegner seinen Schwerpunkt nach Norden an die Memel verlegte, glückte ihm am 20. Januar der Durchbruch. Einige Verbände wichen auf Königsberg zurück, während starke sowjetische Kräfte von Nordwesten her bis an die Nordküste des Frischen Haffs vordrangen. Dadurch wurde Königsberg am 30. Januar fast zur Gänze eingeschlossen, und die Besatzung stellte sich auf eine lange Belagerung ein. Erst ein koordinierter Gegenangriff aus dem Samland und von ausbrechenden Truppen aus der Stadt schuf am 20. Februar einen Korridor zwischen Königsberg und dem Hafen Pillau, der für die Rettung der Zivilbevölkerung unverzichtbar war. Im Zuge der Rückeroberung von Ortschaften wurden auch Greueltaten entdeckt, die eine aufgestachelte Soldateska an der wehrlosen Bevölkerung verübt hatte.

Noch dramatischer gestaltete sich die Offensive der 2. Weißrussischen Front am 14. Januar unter Generaloberst Rokossowski. Die gegenüberliegende 2. Armee war vor dem bevorstehenden Angriff gewarnt worden und konnte rechtzeitig die Großkampfstellung beziehen. Sechs Armeen des Angreifers kämpften sich mühsam durch das tiefe Stellungssystem, bis sie schließlich nach fünf Tagen den Durchbruch erzielten. Vergeblich forderte Generaloberst Reinhardt, der Befehlshaber der Heeresgruppe Mitte, Teile von Ostpreußen zu räumen und die 4. Armee auf die Seenkette beiderseits der Festung Lötzen zurückzuziehen, um starke Kräfte freizumachen, die man zur Stützung der 2. Armee braucht. Es zeichnete sich die großräumige Umfassung von ganz Ostpreußen durch eine Schwenkung des Gegners nach Norden in Richtung Weichselmündung ab. Trotz dringender Anträge stimmte Hitler erst am 21. Januar der Rücknahme der 4. Armee auf die Seenkette zu.

Wie befürchtet, zielte der sowjetische Vormarsch auf die Einschließung von ganz Ostpreußen. Thorn und Bromberg wurden eingeschlossen; die Besatzungen beider Städte mußten unter Verlusten ausbrechen. Der Gegner stieß auf Marienburg und Elbing vor, und am 25. Januar standen Angriffsspitzen bereits an der Küste des Frischen Haffs bei Tolkemit. Damit war die Heeresgruppe Mitte, die in Heeresgruppe Nord umbenannt wurde, von der Landverbindung nach Westen abgeschnitten. General Hoßbach, der Befehlshaber der 4. Armee, hatte vor, mit der Masse seiner Truppen die Einschließung zu sprengen und die Verbindung zur 2. Armee an der unteren Weichsel wieder herzustellen. Er wollte mit seinen Verbänden und allen marschfähigen Flüchtlingen nach Westen durchbrechen und dabei ganz Ostpreußen räumen. Um Kräfte zu gewinnen, gab Hoßbach die Seenkette bei Lötzen auf. Wohlweislich hatte er nicht den Generalstab des Heeres ins Vertrauen gezogen, da er mit Ablehnung rechnete. Generaloberst Reinhardt wußte zwar vom bevorstehenden Angriff, nicht aber vom Räumungsplan.

Als Hitler erfuhr, daß der Festungsbereich Lötzen ohne sein Wissen aufgegeben worden war, reagierte er wütend und löste Hoßbach, aber auch Reinhardt ab. Der am 26. Januar begonnene Angriff von drei Divisionen in Richtung Marienburg mußte fünf Tage später auf höchsten Befehl eingestellt werden. Die Armee bekam den Auftrag, den Großraum Königsberg-Heiligenbeil zu halten. Diese Entscheidung verzichtete zwar auf das Freikämpfen der eingeschlossenen Truppenteile, kam jedoch dem Schutz der Bevölkerung zugute, die versuchte, die rettenden Ostseehäfen zu erreichen. Bei der Evakuierung kam es zwar zu schrecklichen Tragödien, etwa durch die Versenkung des Rettungsschiffes "Wilhelm Gustloff" am 31. Januar, wobei über 5.000 Menschen starben; doch konnte die Kriegsmarine den Abtransport der Flüchtlinge aus Pillau und anderen Häfen im großen und ganzen erfolgreich durchführen. Immerhin wurden vom 23. Januar bis zum Kriegsende 2,2 Millionen Menschen über die Ostsee evakuiert.

In der Folge zogen sieben sowjetischen Armeen ihren Ring immer enger um die Divisionen der 4. Armee im Raum Braunsberg-Heiligenbeil. Am 13. März begann der Angriff gegen 162/3 deutsche Großverbände und Kampfgruppen, die sich erbittert zu Wehr setzten, so daß der Angriff nur mühsam vorankam. Die Verteidiger bemühten sich vor allem, möglichst viele Flüchtlinge, Verwundete und Soldaten vom Hafen Rosenberg aus mit Schiffen nach Pillau zu transportieren; vielen Einheiten gelang es, sich mit Booten und Flößen auf die Frische Nehrung zu retten. Immerhin gelang der Abtransport von über 60.000 Verwundeten. Der letzte verzweifelte Widerstand auf der Halbinsel Balga erlosch am 28./29. März.

Nachdem es im Zuge eines sowjetischen Großangriffs am 2. März gelungen war, die 2. Armee in Westpreußen von den deutschen Truppen in Hinterpommern abzuschneiden, konnte die 2. Armee nur mehr hinhaltend kämpfend auf Danzig und Gdingen (Gotenhafen) zurückweichen. Sie bemühte sich, den Truppen Rokossowskis den Durchbruch zur Danziger Buch möglichst lange zu verwehren, um Zeit für den Abtransport der Flüchtlinge und Verwundeten zu gewinnen. Um das eingeschlossene Graudenz und um die Marienburg wurde schwer gekämpft. Der Hauptsitz des ehemaligen Deutschen Ritterordens diente auf Grund seiner festen Bauweise als Lazarett für Hunderte von Verwundeten. Der Schutz der Menschen erhielt Vorrang vor der Erhaltung eines Kunstdenkmals. Mit Unterstützung der Schiffsartillerie des Kreuzers "Prinz Eugen" wurden alle Angriffe auf die Burg wochenlang abgewiesen. Immerhin durchkreuzte die hartnäckige Verteidigung der Weichsel- und Nogat-Linie die Pläne Rokossowskis völlig: Er hätte nämlich nach den Vorgaben des sowjetischen Oberkommandos bis zum 20. Februar die Weichselmündung und große Teile Hinterpommerns besetzen sollen. Die Festung Graudenz hielt bis zum 6. März stand, die Marienburg widerstand bis zum 9. März. Gdingen und Danzig wurden bis zum 28. beziehungsweise 30. März mit Unterstützung schwerer Schiffsartillerie hartnäckig verteidigt, während die Weichselmündung in deutscher Hand blieb.

Inzwischen hatten vier Armeen Königsberg in konzentrischem Angriff am 6. April zum zweiten Mal eingeschlossen. Vergeblich bemühte sich die Besatzung, die Verbindung nach Pillau wiederherzustellen. Nachdem ein Ausbruchsversuch unter großen Verlusten gescheitert war, wollte General Lasch, der Festungskommandant, weitere sinnlose Opfer vermeiden und kapitulierte am 10. April, während eine Polizeieinheit einen zweiten erfolglosen Ausbruchsversuch unternahm. 30.000 deutsche Soldaten gingen unter entwürdigenden Umständen in Gefangenschaft, während die sowjetischen Eroberer die Bevölkerung zu drangsalieren begannen. Im Samland wurde Pillau, der letzte Stützpunkt, am 27. April aufgegeben. Am Tage der Kapitulation am 8. Mai, standen noch immer rund 150.000 Mann an der Weichselmündung, auf der Halbinsel Hela und der Frischen Nehrung.

Aus nachträglicher Sicht kommt man zu der Einschätzung, daß die sowjetische politische Strategie bewußt Angst und Schrecken unter der Bevölkerung der Ostgebiete verbreitete, um eine Massenflucht zu bewirken; demgemäß würde die Ansiedlung von Polen, denen man in Moskau bereits die Oder und Lausitzer Neiße als Westgrenze zugesichert hatte, ohne Schwierigkeiten vor sich gehen.

Angreifende Rotarmisten in Königsberg: Aus Anlaß des 60. Jahrestages des Endes der Kämpfe lädt die Stadtgemeinschaft Königsberg (Pr) zu einer Gedenkveranstaltung nach Duisburg (siehe Folge 12, Seite 14). Foto: Archiv


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren